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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

Erfolg der Tätigkeit Auanschikais. Wer will heute sagen, wo damals seines
Herzens Stimme war, ob bei den Reformern, oder bei den Reaktionären?
Niemand weiß es. Er selbst jedenfalls hatte sich gerettet, und fiel prompt die
Treppe herauf.

Noch war sein Name dem fernen Europa unbekannt. Erst kurz darauf
kam der Augenblick, wo er in Deutschland wenigstens in aller Munde war.
Das war während der Boxerunruhen. Unan saß 1900 auf dem Gouverneur¬
sessel in Tsinanfu, der Hauptstadt Schantungs. Auch er hatte den strengen
Befehl aus Peking: "Schlagt die fremden Teufel tot!" Aber hier erwies sich
zum ersten Male die wirklich staatsmännische Klugheit dieses Mannes. Man
hatte noch nicht viel gesehen. Er kannte weder den Süden noch den Westen
seines eigenen Landes. Er kannte nicht ein einziges der fremden Reiche, und
doch fühlte er mit feinem Instinkt: Die Fremden sind uns in Vielem über,
man darf sie nicht totschlagen, denn das nehmen ihre Regierungen ganz be¬
denklich Übel. Ihre Sitten find ganz anders als die unsrigen. So hielt er
eine verhältnismäßige Ruhe in der ihm anvertrauten Provinz, und gute Nachba"-
schaft zum bösen Spiele, als das man damals ohne Frage unserer Kolonie¬
gründung Tfingtau ansah.

Peking und die Kaiserin-Witwe verstanden wohl, was Unan getan hatte.
Wiederum griff man auf ihn zurück. Als der Hof aus der Verbannung
zurückkam, da erhielt Unan den Posten eines Beschützers des Thrones, nämlich
den des Vizekönig in Tienstn. Dort sah ich ihn zum erstenmal. Ich werde
den Augenblick nie vergessen. Dieser Chinese machte ohne Frage sofort Ein¬
druck. Die brutale Stirn, das viereckige Kinn, die großen bezwingender Augen
mußten unvergessen bleiben. Es war damals eine Art Empfang im vizekönig¬
lichen Palast in der Chinesenstadt. Da stand der verhältnismäßig kleine, sehr
gedrungene untersetzte Mann, rauchte nach westländischer Sitte eine Zigarre, die
ihm wahrscheinlich garnicht schmeckte, und unterhielt sich freundlich, oft gänzlich
unmotiviert lachend, mit den Fremden, deren schlechtes Chinesisch er sicher in
neun von zehn Fällen nicht verstand. Sein Beamtenkleid war auch nach
chinesischen Begriffen schlecht zugeschnitten, und etwas schmuddelig. Der Rand
seines Beamtenhutes war fettig, ebenso wie der breite Streifen, den hinten auf
dem Kleide der eingefettete Zopf hinterlassen hatte. Der Kragen war vorn
nicht zugeknöpft, was die meisten Chinesen verabsäumen zu tun. Man sah
einen weißen niedrigen Kragen, der bewies, daß der Träger wenig auf Äußerlich¬
keiten gibt. Draußen spielte eine Militärkapelle, und drinnen waren Hunderte von
Fremden, die meist ihre schlechten Witze über die chinesische Soldateska machten,
deren Hornsignale von weither herübertönten.

Nur einige wenige dachten vielleicht weiter. Wer draußen bei der Chi¬
nesenstadt herumgeritten war, der hatte nichts wie Soldaten und wieder Sol¬
daten gesehen. Da war aller Art Kriegsmaterial, da waren Geschütze, da
waren Zelte, und auch der Henker war bei jeder Kompagnie nicht fern, der


Der neue Sohn des Himmels

Erfolg der Tätigkeit Auanschikais. Wer will heute sagen, wo damals seines
Herzens Stimme war, ob bei den Reformern, oder bei den Reaktionären?
Niemand weiß es. Er selbst jedenfalls hatte sich gerettet, und fiel prompt die
Treppe herauf.

Noch war sein Name dem fernen Europa unbekannt. Erst kurz darauf
kam der Augenblick, wo er in Deutschland wenigstens in aller Munde war.
Das war während der Boxerunruhen. Unan saß 1900 auf dem Gouverneur¬
sessel in Tsinanfu, der Hauptstadt Schantungs. Auch er hatte den strengen
Befehl aus Peking: „Schlagt die fremden Teufel tot!" Aber hier erwies sich
zum ersten Male die wirklich staatsmännische Klugheit dieses Mannes. Man
hatte noch nicht viel gesehen. Er kannte weder den Süden noch den Westen
seines eigenen Landes. Er kannte nicht ein einziges der fremden Reiche, und
doch fühlte er mit feinem Instinkt: Die Fremden sind uns in Vielem über,
man darf sie nicht totschlagen, denn das nehmen ihre Regierungen ganz be¬
denklich Übel. Ihre Sitten find ganz anders als die unsrigen. So hielt er
eine verhältnismäßige Ruhe in der ihm anvertrauten Provinz, und gute Nachba»-
schaft zum bösen Spiele, als das man damals ohne Frage unserer Kolonie¬
gründung Tfingtau ansah.

Peking und die Kaiserin-Witwe verstanden wohl, was Unan getan hatte.
Wiederum griff man auf ihn zurück. Als der Hof aus der Verbannung
zurückkam, da erhielt Unan den Posten eines Beschützers des Thrones, nämlich
den des Vizekönig in Tienstn. Dort sah ich ihn zum erstenmal. Ich werde
den Augenblick nie vergessen. Dieser Chinese machte ohne Frage sofort Ein¬
druck. Die brutale Stirn, das viereckige Kinn, die großen bezwingender Augen
mußten unvergessen bleiben. Es war damals eine Art Empfang im vizekönig¬
lichen Palast in der Chinesenstadt. Da stand der verhältnismäßig kleine, sehr
gedrungene untersetzte Mann, rauchte nach westländischer Sitte eine Zigarre, die
ihm wahrscheinlich garnicht schmeckte, und unterhielt sich freundlich, oft gänzlich
unmotiviert lachend, mit den Fremden, deren schlechtes Chinesisch er sicher in
neun von zehn Fällen nicht verstand. Sein Beamtenkleid war auch nach
chinesischen Begriffen schlecht zugeschnitten, und etwas schmuddelig. Der Rand
seines Beamtenhutes war fettig, ebenso wie der breite Streifen, den hinten auf
dem Kleide der eingefettete Zopf hinterlassen hatte. Der Kragen war vorn
nicht zugeknöpft, was die meisten Chinesen verabsäumen zu tun. Man sah
einen weißen niedrigen Kragen, der bewies, daß der Träger wenig auf Äußerlich¬
keiten gibt. Draußen spielte eine Militärkapelle, und drinnen waren Hunderte von
Fremden, die meist ihre schlechten Witze über die chinesische Soldateska machten,
deren Hornsignale von weither herübertönten.

Nur einige wenige dachten vielleicht weiter. Wer draußen bei der Chi¬
nesenstadt herumgeritten war, der hatte nichts wie Soldaten und wieder Sol¬
daten gesehen. Da war aller Art Kriegsmaterial, da waren Geschütze, da
waren Zelte, und auch der Henker war bei jeder Kompagnie nicht fern, der


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[0118] Der neue Sohn des Himmels Erfolg der Tätigkeit Auanschikais. Wer will heute sagen, wo damals seines Herzens Stimme war, ob bei den Reformern, oder bei den Reaktionären? Niemand weiß es. Er selbst jedenfalls hatte sich gerettet, und fiel prompt die Treppe herauf. Noch war sein Name dem fernen Europa unbekannt. Erst kurz darauf kam der Augenblick, wo er in Deutschland wenigstens in aller Munde war. Das war während der Boxerunruhen. Unan saß 1900 auf dem Gouverneur¬ sessel in Tsinanfu, der Hauptstadt Schantungs. Auch er hatte den strengen Befehl aus Peking: „Schlagt die fremden Teufel tot!" Aber hier erwies sich zum ersten Male die wirklich staatsmännische Klugheit dieses Mannes. Man hatte noch nicht viel gesehen. Er kannte weder den Süden noch den Westen seines eigenen Landes. Er kannte nicht ein einziges der fremden Reiche, und doch fühlte er mit feinem Instinkt: Die Fremden sind uns in Vielem über, man darf sie nicht totschlagen, denn das nehmen ihre Regierungen ganz be¬ denklich Übel. Ihre Sitten find ganz anders als die unsrigen. So hielt er eine verhältnismäßige Ruhe in der ihm anvertrauten Provinz, und gute Nachba»- schaft zum bösen Spiele, als das man damals ohne Frage unserer Kolonie¬ gründung Tfingtau ansah. Peking und die Kaiserin-Witwe verstanden wohl, was Unan getan hatte. Wiederum griff man auf ihn zurück. Als der Hof aus der Verbannung zurückkam, da erhielt Unan den Posten eines Beschützers des Thrones, nämlich den des Vizekönig in Tienstn. Dort sah ich ihn zum erstenmal. Ich werde den Augenblick nie vergessen. Dieser Chinese machte ohne Frage sofort Ein¬ druck. Die brutale Stirn, das viereckige Kinn, die großen bezwingender Augen mußten unvergessen bleiben. Es war damals eine Art Empfang im vizekönig¬ lichen Palast in der Chinesenstadt. Da stand der verhältnismäßig kleine, sehr gedrungene untersetzte Mann, rauchte nach westländischer Sitte eine Zigarre, die ihm wahrscheinlich garnicht schmeckte, und unterhielt sich freundlich, oft gänzlich unmotiviert lachend, mit den Fremden, deren schlechtes Chinesisch er sicher in neun von zehn Fällen nicht verstand. Sein Beamtenkleid war auch nach chinesischen Begriffen schlecht zugeschnitten, und etwas schmuddelig. Der Rand seines Beamtenhutes war fettig, ebenso wie der breite Streifen, den hinten auf dem Kleide der eingefettete Zopf hinterlassen hatte. Der Kragen war vorn nicht zugeknöpft, was die meisten Chinesen verabsäumen zu tun. Man sah einen weißen niedrigen Kragen, der bewies, daß der Träger wenig auf Äußerlich¬ keiten gibt. Draußen spielte eine Militärkapelle, und drinnen waren Hunderte von Fremden, die meist ihre schlechten Witze über die chinesische Soldateska machten, deren Hornsignale von weither herübertönten. Nur einige wenige dachten vielleicht weiter. Wer draußen bei der Chi¬ nesenstadt herumgeritten war, der hatte nichts wie Soldaten und wieder Sol¬ daten gesehen. Da war aller Art Kriegsmaterial, da waren Geschütze, da waren Zelte, und auch der Henker war bei jeder Kompagnie nicht fern, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/118>, abgerufen am 15.01.2025.