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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der neue Sohn des Himmels

auch hier in Deutschland wohlbekannten Lihungschang vorbehalten, zu entdecken,
daß in dem jungen Manne außerordentliche Gaben steckten. Li schickte ihn nach
Korea als Statthalter Chinas. Das war um 1885 herum, und für Juan
wurde Korea die Hohe Schule ostasiatischer Gehetmpolitik. Diese Politik scheut
kein Mittel: Mord, Geld, Überredung, List, brutale Gewalt, alles ist will¬
kommen. Der Zweck heiligt die Mittel. Jesuitismus und Machiavellismus
sind wundervoll gepaart. Unan ließ rücksichtslos alle Minen springen, er spielte
alle Trümpfe aus, die er in der Hand hatte, aber er mußte doch weichen. Da
waren noch Stärkere wie er; er war noch zu jung, die Gegner waren ihm
über. Das waren die Japaner. Dort in Korea, im Lande der Morgenruhe,
zankten sich Russen, Japaner und Chinesen um den Besitz des Landes. Auch
dort war Gott wieder einmal mit den stärksten Bataillonen, genau, wie unter
dem alten Fritzen, und der japanische Gott erwies sich in diesem Falle als der
kräftigste, oder wenn man so will, die japanischen Bataillone. Juan lernte
daraus, daß man mit "Bluff" keine Kriege gewinnen kann, ferner, daß die
Stufen zur Höhe, auf der die Ruhmgekrönten sitzen, mit Erfolgen gepflastert
sein müssen. Unan hatte keine solchen aufzuweisen. Er hatte mit schlechten
Trümpfen gespielt, und mußte den Krieg gegen Japan verlieren. Nach alt¬
chinesischen Anschauungen mußte er, besonders aber fein Gönner Lihungtschang,
der die Strippen gezogen hatte, in Ungnade fallen.

Ein richtiger Chinese pflügt nicht nur mit einem Pferde. Prinzipienreiterei
ist gänzlich unchinesisch. Kurze Zeit schon nach dem Sturz hatte Unan neue
Freunde gefunden, die ihn stützten. Er verstand es, mit allen Wölfen zu heulen.
Als der junge Kaiser Kwangsü 1898 gegen seine große Tante Tsuhsi konspirierte
und sie unschädlich machen wollte, um seine nicht schlechten, aber etwas ver¬
worrenen Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen, da war es wieder Auanschikai,
der den Vertrauten des Kaisers spielte. Der Kaiser suchte gerade ihn aus, um
den großen Schlag zu führen. Man wollte den ersten Mann des Reiches, den
Vertrauten der herrschsüchtigen Kaiserin-Witwe, Aunglu, hinrichten und die
Kaiserin gefangen setzen. Dann sollte China modernisiert werden.

Es sind welthistorische Ereignisse, vom Abendland noch wenig gewürdigt,
die sich hier abspielten. Wieder war es Uuanschikai, dem die Hauptrolle, eine
nach unseren Begriffen im altgermanischen Sinne unschöne, zugedacht war. Denn
er verriet seinen Kaiser und opferte ihn. Warum er es tat, wer weiß es?
Der Chinese, der nicht zugleich Opportunist ist, der in grenzenloser Selbstsucht
nicht immer zuerst an sich denkt, ist noch nicht geboren. Unan spielte ein großes
Spiel. Es ging ohne Frage um alles, sogar um Leben und Tod. Er mag
eines Tages in wenigen Sekunden erfaßt haben, daß das Spiel verloren war, und
ebenso schnell schwenkte er um, und war mit höchster Eleganz auf der anderen,
der feindlichen Seite, im Sattel. -- Die Geschichte sagt uns kurz: 1898 beging
die Kaiserin-Witwe Tsuhsi einen Staatsstreich. Sie setzte den Kaiser Kwangsü im
Jnselpalast gefangen und ergriff die Zügel der Regierung selbst. Das war der


Der neue Sohn des Himmels

auch hier in Deutschland wohlbekannten Lihungschang vorbehalten, zu entdecken,
daß in dem jungen Manne außerordentliche Gaben steckten. Li schickte ihn nach
Korea als Statthalter Chinas. Das war um 1885 herum, und für Juan
wurde Korea die Hohe Schule ostasiatischer Gehetmpolitik. Diese Politik scheut
kein Mittel: Mord, Geld, Überredung, List, brutale Gewalt, alles ist will¬
kommen. Der Zweck heiligt die Mittel. Jesuitismus und Machiavellismus
sind wundervoll gepaart. Unan ließ rücksichtslos alle Minen springen, er spielte
alle Trümpfe aus, die er in der Hand hatte, aber er mußte doch weichen. Da
waren noch Stärkere wie er; er war noch zu jung, die Gegner waren ihm
über. Das waren die Japaner. Dort in Korea, im Lande der Morgenruhe,
zankten sich Russen, Japaner und Chinesen um den Besitz des Landes. Auch
dort war Gott wieder einmal mit den stärksten Bataillonen, genau, wie unter
dem alten Fritzen, und der japanische Gott erwies sich in diesem Falle als der
kräftigste, oder wenn man so will, die japanischen Bataillone. Juan lernte
daraus, daß man mit „Bluff" keine Kriege gewinnen kann, ferner, daß die
Stufen zur Höhe, auf der die Ruhmgekrönten sitzen, mit Erfolgen gepflastert
sein müssen. Unan hatte keine solchen aufzuweisen. Er hatte mit schlechten
Trümpfen gespielt, und mußte den Krieg gegen Japan verlieren. Nach alt¬
chinesischen Anschauungen mußte er, besonders aber fein Gönner Lihungtschang,
der die Strippen gezogen hatte, in Ungnade fallen.

Ein richtiger Chinese pflügt nicht nur mit einem Pferde. Prinzipienreiterei
ist gänzlich unchinesisch. Kurze Zeit schon nach dem Sturz hatte Unan neue
Freunde gefunden, die ihn stützten. Er verstand es, mit allen Wölfen zu heulen.
Als der junge Kaiser Kwangsü 1898 gegen seine große Tante Tsuhsi konspirierte
und sie unschädlich machen wollte, um seine nicht schlechten, aber etwas ver¬
worrenen Ideen in die Wirklichkeit umzusetzen, da war es wieder Auanschikai,
der den Vertrauten des Kaisers spielte. Der Kaiser suchte gerade ihn aus, um
den großen Schlag zu führen. Man wollte den ersten Mann des Reiches, den
Vertrauten der herrschsüchtigen Kaiserin-Witwe, Aunglu, hinrichten und die
Kaiserin gefangen setzen. Dann sollte China modernisiert werden.

Es sind welthistorische Ereignisse, vom Abendland noch wenig gewürdigt,
die sich hier abspielten. Wieder war es Uuanschikai, dem die Hauptrolle, eine
nach unseren Begriffen im altgermanischen Sinne unschöne, zugedacht war. Denn
er verriet seinen Kaiser und opferte ihn. Warum er es tat, wer weiß es?
Der Chinese, der nicht zugleich Opportunist ist, der in grenzenloser Selbstsucht
nicht immer zuerst an sich denkt, ist noch nicht geboren. Unan spielte ein großes
Spiel. Es ging ohne Frage um alles, sogar um Leben und Tod. Er mag
eines Tages in wenigen Sekunden erfaßt haben, daß das Spiel verloren war, und
ebenso schnell schwenkte er um, und war mit höchster Eleganz auf der anderen,
der feindlichen Seite, im Sattel. — Die Geschichte sagt uns kurz: 1898 beging
die Kaiserin-Witwe Tsuhsi einen Staatsstreich. Sie setzte den Kaiser Kwangsü im
Jnselpalast gefangen und ergriff die Zügel der Regierung selbst. Das war der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/117>, abgerufen am 15.01.2025.