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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr.

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Der heilige Berg

dieser Erlaubnis Gebrauch machen, erhalten von dem Kloster, zu dem sie ge¬
hören, Brot und Wein; den übrigen Lebensunterhalt verdienen sie sich durch
Handarbeit, Gartenzucht und Ackerbau. Sie werden Kellioten genannt und wohnen
in kleinen Häusern, den Kellien, zu dreien oder vieren zusammen.

Eine weitere Eigentümlichkeit des Mönchsstaates auf dem Athos sind die
Stilen, kleine Dörfer von vier bis sechzig Häusern, in denen je drei bis vier
Einsiedler in Abhängigkeit vom Kloster leben. Kein Weib darf den Athos be¬
treten, keine weltlichen Händel dürfen die beschauliche Ruhe des Berges stören,
keine leidenschaftlichen Begierden den Sinn für das Himmlische trüben. Ja,
die Stilen leben noch strenger als ihre Brüder in den Klöstern, verbinden mit
dem Gebet und der Betrachtung, wie die Kellioten, harte körperliche Arbeit.

Die gegenwärtige Verfassung dieser tausendjährigen Mönchsrepüblik stammt
aus dem Jahre 1783. Die zwanzig Klöster sind selbständige Körperschaften.
Nur die Hälfte von ihnen sind eigentliche Klöster, Komödien, Stätten des
gemeinsamen Lebens, unter der Leitung eines Abtes. Die anderen haben eine
demokratische Verfassung und heißen Non^tira iäiorMma. Ihre oberste
Behörde besteht aus einem Rat mehrerer Mitglieder; die Gesamtregierung liegt
in der Hand der Synode zu Karyes, dem Versammlungsort der Vertreter der
zwanzig Klöster. An deren Spitze steht ein Ausschuß von vier Epistaten, die
von den Klöstern jährlich neu gewählt werden.

Ein Sitz der Wissenschaft ist der Athos nicht, wenn er auch als solcher
im Mittelalter gepriesen wurde. Die Schätze der Patriftik modern unbekannt,
unberührt und unverwertet in den Bibliotheken der zwanzig Klöster. Sie find
indessen bei weitem nicht so zahlreich und wertvoll, als man erwarten sollte.

Man zählt über neunhundert Kirchen und Kapellen, unter denen sich
schöne Denkmäler der byzantinischen Kunst befinden sollen; doch sind sowohl sie
selbst als auch ihr künstlerischer Jnnenschmuck kaum zugänglich. Es unterliegt
wohl kaum einem Zweifel, daß die Zeit auch darin Wandel schaffen wird; denn
der Sturm der Weltgeschichte umbraust den Athos mit einer Gewalt, der auch
die starrste Tradition nicht zu widerstehen imstande ist.

Im Frieden zu Bukarest 1912 fiel der Athos mit seinen Klöstern Griechen¬
land zu. Rußland suchte aber trotzdem die internationale Verwaltung der
Mönchsrepublik festzuhalten. Die Synode erklärte sich jedoch gegen alle Projekte,
die irgendeine Einmischung einer fremden Macht in Aussicht nahmen und arbeitete
am 3. bezw. 16. Oktober 1913 eine diesbezügliche Denkschrift aus, die fie der
Londoner Konferenz, dem König von Griechenland und dem Patriarchen von
Konstantinopel vorlegte. Rußland gab nach und begnügte sich damit, daß die
russischen Mönche Untertanen des Zaren und mit ihrem Vaterlande durch eigene
Post in Verbindung bleiben sollten. Als diese jedoch Unruhen erregten, wurden
ihrer etwa tausend nach Rußland zurückgeschickt.

Die zu Paris erscheinende Zeitschrift der Assumptionisten "Echos d'Orient"
gibt nach dem "Kirchlichen Herold" von Cypern eine Statistik vom 15. Dezember


Der heilige Berg

dieser Erlaubnis Gebrauch machen, erhalten von dem Kloster, zu dem sie ge¬
hören, Brot und Wein; den übrigen Lebensunterhalt verdienen sie sich durch
Handarbeit, Gartenzucht und Ackerbau. Sie werden Kellioten genannt und wohnen
in kleinen Häusern, den Kellien, zu dreien oder vieren zusammen.

Eine weitere Eigentümlichkeit des Mönchsstaates auf dem Athos sind die
Stilen, kleine Dörfer von vier bis sechzig Häusern, in denen je drei bis vier
Einsiedler in Abhängigkeit vom Kloster leben. Kein Weib darf den Athos be¬
treten, keine weltlichen Händel dürfen die beschauliche Ruhe des Berges stören,
keine leidenschaftlichen Begierden den Sinn für das Himmlische trüben. Ja,
die Stilen leben noch strenger als ihre Brüder in den Klöstern, verbinden mit
dem Gebet und der Betrachtung, wie die Kellioten, harte körperliche Arbeit.

Die gegenwärtige Verfassung dieser tausendjährigen Mönchsrepüblik stammt
aus dem Jahre 1783. Die zwanzig Klöster sind selbständige Körperschaften.
Nur die Hälfte von ihnen sind eigentliche Klöster, Komödien, Stätten des
gemeinsamen Lebens, unter der Leitung eines Abtes. Die anderen haben eine
demokratische Verfassung und heißen Non^tira iäiorMma. Ihre oberste
Behörde besteht aus einem Rat mehrerer Mitglieder; die Gesamtregierung liegt
in der Hand der Synode zu Karyes, dem Versammlungsort der Vertreter der
zwanzig Klöster. An deren Spitze steht ein Ausschuß von vier Epistaten, die
von den Klöstern jährlich neu gewählt werden.

Ein Sitz der Wissenschaft ist der Athos nicht, wenn er auch als solcher
im Mittelalter gepriesen wurde. Die Schätze der Patriftik modern unbekannt,
unberührt und unverwertet in den Bibliotheken der zwanzig Klöster. Sie find
indessen bei weitem nicht so zahlreich und wertvoll, als man erwarten sollte.

Man zählt über neunhundert Kirchen und Kapellen, unter denen sich
schöne Denkmäler der byzantinischen Kunst befinden sollen; doch sind sowohl sie
selbst als auch ihr künstlerischer Jnnenschmuck kaum zugänglich. Es unterliegt
wohl kaum einem Zweifel, daß die Zeit auch darin Wandel schaffen wird; denn
der Sturm der Weltgeschichte umbraust den Athos mit einer Gewalt, der auch
die starrste Tradition nicht zu widerstehen imstande ist.

Im Frieden zu Bukarest 1912 fiel der Athos mit seinen Klöstern Griechen¬
land zu. Rußland suchte aber trotzdem die internationale Verwaltung der
Mönchsrepublik festzuhalten. Die Synode erklärte sich jedoch gegen alle Projekte,
die irgendeine Einmischung einer fremden Macht in Aussicht nahmen und arbeitete
am 3. bezw. 16. Oktober 1913 eine diesbezügliche Denkschrift aus, die fie der
Londoner Konferenz, dem König von Griechenland und dem Patriarchen von
Konstantinopel vorlegte. Rußland gab nach und begnügte sich damit, daß die
russischen Mönche Untertanen des Zaren und mit ihrem Vaterlande durch eigene
Post in Verbindung bleiben sollten. Als diese jedoch Unruhen erregten, wurden
ihrer etwa tausend nach Rußland zurückgeschickt.

Die zu Paris erscheinende Zeitschrift der Assumptionisten „Echos d'Orient"
gibt nach dem „Kirchlichen Herold" von Cypern eine Statistik vom 15. Dezember


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[0107] Der heilige Berg dieser Erlaubnis Gebrauch machen, erhalten von dem Kloster, zu dem sie ge¬ hören, Brot und Wein; den übrigen Lebensunterhalt verdienen sie sich durch Handarbeit, Gartenzucht und Ackerbau. Sie werden Kellioten genannt und wohnen in kleinen Häusern, den Kellien, zu dreien oder vieren zusammen. Eine weitere Eigentümlichkeit des Mönchsstaates auf dem Athos sind die Stilen, kleine Dörfer von vier bis sechzig Häusern, in denen je drei bis vier Einsiedler in Abhängigkeit vom Kloster leben. Kein Weib darf den Athos be¬ treten, keine weltlichen Händel dürfen die beschauliche Ruhe des Berges stören, keine leidenschaftlichen Begierden den Sinn für das Himmlische trüben. Ja, die Stilen leben noch strenger als ihre Brüder in den Klöstern, verbinden mit dem Gebet und der Betrachtung, wie die Kellioten, harte körperliche Arbeit. Die gegenwärtige Verfassung dieser tausendjährigen Mönchsrepüblik stammt aus dem Jahre 1783. Die zwanzig Klöster sind selbständige Körperschaften. Nur die Hälfte von ihnen sind eigentliche Klöster, Komödien, Stätten des gemeinsamen Lebens, unter der Leitung eines Abtes. Die anderen haben eine demokratische Verfassung und heißen Non^tira iäiorMma. Ihre oberste Behörde besteht aus einem Rat mehrerer Mitglieder; die Gesamtregierung liegt in der Hand der Synode zu Karyes, dem Versammlungsort der Vertreter der zwanzig Klöster. An deren Spitze steht ein Ausschuß von vier Epistaten, die von den Klöstern jährlich neu gewählt werden. Ein Sitz der Wissenschaft ist der Athos nicht, wenn er auch als solcher im Mittelalter gepriesen wurde. Die Schätze der Patriftik modern unbekannt, unberührt und unverwertet in den Bibliotheken der zwanzig Klöster. Sie find indessen bei weitem nicht so zahlreich und wertvoll, als man erwarten sollte. Man zählt über neunhundert Kirchen und Kapellen, unter denen sich schöne Denkmäler der byzantinischen Kunst befinden sollen; doch sind sowohl sie selbst als auch ihr künstlerischer Jnnenschmuck kaum zugänglich. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß die Zeit auch darin Wandel schaffen wird; denn der Sturm der Weltgeschichte umbraust den Athos mit einer Gewalt, der auch die starrste Tradition nicht zu widerstehen imstande ist. Im Frieden zu Bukarest 1912 fiel der Athos mit seinen Klöstern Griechen¬ land zu. Rußland suchte aber trotzdem die internationale Verwaltung der Mönchsrepublik festzuhalten. Die Synode erklärte sich jedoch gegen alle Projekte, die irgendeine Einmischung einer fremden Macht in Aussicht nahmen und arbeitete am 3. bezw. 16. Oktober 1913 eine diesbezügliche Denkschrift aus, die fie der Londoner Konferenz, dem König von Griechenland und dem Patriarchen von Konstantinopel vorlegte. Rußland gab nach und begnügte sich damit, daß die russischen Mönche Untertanen des Zaren und mit ihrem Vaterlande durch eigene Post in Verbindung bleiben sollten. Als diese jedoch Unruhen erregten, wurden ihrer etwa tausend nach Rußland zurückgeschickt. Die zu Paris erscheinende Zeitschrift der Assumptionisten „Echos d'Orient" gibt nach dem „Kirchlichen Herold" von Cypern eine Statistik vom 15. Dezember

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_329665/107>, abgerufen am 15.01.2025.