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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die Hohenzollern und die akademische Jugend

den "übermäßigen und mehrenteils zu ihrem eigenen Verderb aufschlagenden
Freiheiten" für so wichtig, daß er 1750 eine Zeitlang daran dachte, einen
Beschluß des Regensburger Reichstages zu ihrer endgültigen Regelung herbei¬
zuführen. Wenn er nun bei seinen Bemühungen auch in mancher Hinsicht zu
weit ging, wie das Verbot des Degentragens für alle nichtadligen Studenten beweist
(1750), so zeigte er anderseits einen rein praktischen Standpunkt. In der Frage
der Geldstrafen entschied er lakonisch: "Die fornehme lente ihre Lottissn werden
Mit geldt bestrafet, und der Geringere ihre mit dem Karl?6r. Sonsten müssen
die Vähter beutels vohr die Kinder ihre Thorheiten büssen . . ."

Trotzdem aber die preußischen Könige an der Hebung des akademischen
Standes nachdrücklich arbeiteten, waren ihre Sympathien keineswegs beim
Gelehrtentum, das durch die Universitäten vertreten ward. Ja, sie bemühten
sich sogar, letzterem einen Teil der besten Kräfte, die ihm zuströmen wollten,
zu entziehen und dem Heeresdienst zuzuführen. Als zum Beispiel der alte
Dessauer, der Kommandant von Halle, am 8. März 1736 den König Friedrich
Wilhelm den Ersten bat, er möge die adligen preußischen Studierenden in
Halle zum Eintritt in das Heer bewegen, "da Seine Majestät vor die Offiziere
mehr Liebe hätten als vor die Herren von der Feder", da willfahrtete der
Herrscher diesem Gesuche sofort, und Friedrich der Große veranlaßte den adligen
Sprecher der studentischen Abordnung, die ihn 1741 beim Huldigungsfest in
Königsberg begrüßte, persönlich dazu, Offizier zu werden. Gerade zur Zeit
seines Regierungsantritts lag ihm das Erziehungsideal der deutschen Universitäten
innerlich sehr fern, und er gab in seiner 1748 aufgeführten "preußischen
Komödie" I^scole 6u nouae das Urbild des Hallischen Musensohnes jener
Tage in der Person des wüsten Renommisten Bilvesöe dem Gespötte preis,
während er sein eigenes Erziehungsideal in der Gestalt des feingebildeten,
weltmännischen Mondor verherrlichte. Allerdings fühlte er im Laufe seiner
Regierung, daß sich innerhalb der Studentenschaft selbst eine Wandlung zum
Besseren vollzog, die er jedoch stark überschätzte. "Das Leben, das die Studenten
ehedem auf den Universitäten führten", so schrieb er Z770, "war ein Gegenstand
des öffentlichen Ärgernisses. Während doch diese Stätten sich als das Heiligtum
der Musen betrachten sollen, waren sie die Schule der Laster und der Zucht-
losigkeit; Raufbolde von Beruf trieben dort das Handwerk der Gladiatoren,
die Jugend verbrachte ihr Leben in Unordnung und in Ausschreitungen, sie
lernte alles, was ihr hätte ewig unbekannt bleiben sollen, und blieb unbekannt
mit dem. was sie hätte lernen müssen. Die Mißstände dieser Unordnung
gingen soweit, daß Totschläge unter den Studenten vorkamen. Das erweckte
die Regierung aus ihrer Lethargie, und sie war aufgeklärt genug, dieser
Willkür einen Zaum anzulegen und die Dinge auf den Zweck ihrer Einrichtung
zurückzuleiten. Seitdem können die Väter ihre Kinder auf die Universität schicken
mit dem gerechtfertigten Vertrauen, daß sie dort etwas lernen, und ohne die
Befürchtung, daß ihre Sitten verdorben werden."


Die Hohenzollern und die akademische Jugend

den „übermäßigen und mehrenteils zu ihrem eigenen Verderb aufschlagenden
Freiheiten" für so wichtig, daß er 1750 eine Zeitlang daran dachte, einen
Beschluß des Regensburger Reichstages zu ihrer endgültigen Regelung herbei¬
zuführen. Wenn er nun bei seinen Bemühungen auch in mancher Hinsicht zu
weit ging, wie das Verbot des Degentragens für alle nichtadligen Studenten beweist
(1750), so zeigte er anderseits einen rein praktischen Standpunkt. In der Frage
der Geldstrafen entschied er lakonisch: „Die fornehme lente ihre Lottissn werden
Mit geldt bestrafet, und der Geringere ihre mit dem Karl?6r. Sonsten müssen
die Vähter beutels vohr die Kinder ihre Thorheiten büssen . . ."

Trotzdem aber die preußischen Könige an der Hebung des akademischen
Standes nachdrücklich arbeiteten, waren ihre Sympathien keineswegs beim
Gelehrtentum, das durch die Universitäten vertreten ward. Ja, sie bemühten
sich sogar, letzterem einen Teil der besten Kräfte, die ihm zuströmen wollten,
zu entziehen und dem Heeresdienst zuzuführen. Als zum Beispiel der alte
Dessauer, der Kommandant von Halle, am 8. März 1736 den König Friedrich
Wilhelm den Ersten bat, er möge die adligen preußischen Studierenden in
Halle zum Eintritt in das Heer bewegen, „da Seine Majestät vor die Offiziere
mehr Liebe hätten als vor die Herren von der Feder", da willfahrtete der
Herrscher diesem Gesuche sofort, und Friedrich der Große veranlaßte den adligen
Sprecher der studentischen Abordnung, die ihn 1741 beim Huldigungsfest in
Königsberg begrüßte, persönlich dazu, Offizier zu werden. Gerade zur Zeit
seines Regierungsantritts lag ihm das Erziehungsideal der deutschen Universitäten
innerlich sehr fern, und er gab in seiner 1748 aufgeführten „preußischen
Komödie" I^scole 6u nouae das Urbild des Hallischen Musensohnes jener
Tage in der Person des wüsten Renommisten Bilvesöe dem Gespötte preis,
während er sein eigenes Erziehungsideal in der Gestalt des feingebildeten,
weltmännischen Mondor verherrlichte. Allerdings fühlte er im Laufe seiner
Regierung, daß sich innerhalb der Studentenschaft selbst eine Wandlung zum
Besseren vollzog, die er jedoch stark überschätzte. „Das Leben, das die Studenten
ehedem auf den Universitäten führten", so schrieb er Z770, „war ein Gegenstand
des öffentlichen Ärgernisses. Während doch diese Stätten sich als das Heiligtum
der Musen betrachten sollen, waren sie die Schule der Laster und der Zucht-
losigkeit; Raufbolde von Beruf trieben dort das Handwerk der Gladiatoren,
die Jugend verbrachte ihr Leben in Unordnung und in Ausschreitungen, sie
lernte alles, was ihr hätte ewig unbekannt bleiben sollen, und blieb unbekannt
mit dem. was sie hätte lernen müssen. Die Mißstände dieser Unordnung
gingen soweit, daß Totschläge unter den Studenten vorkamen. Das erweckte
die Regierung aus ihrer Lethargie, und sie war aufgeklärt genug, dieser
Willkür einen Zaum anzulegen und die Dinge auf den Zweck ihrer Einrichtung
zurückzuleiten. Seitdem können die Väter ihre Kinder auf die Universität schicken
mit dem gerechtfertigten Vertrauen, daß sie dort etwas lernen, und ohne die
Befürchtung, daß ihre Sitten verdorben werden."


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[0086] Die Hohenzollern und die akademische Jugend den „übermäßigen und mehrenteils zu ihrem eigenen Verderb aufschlagenden Freiheiten" für so wichtig, daß er 1750 eine Zeitlang daran dachte, einen Beschluß des Regensburger Reichstages zu ihrer endgültigen Regelung herbei¬ zuführen. Wenn er nun bei seinen Bemühungen auch in mancher Hinsicht zu weit ging, wie das Verbot des Degentragens für alle nichtadligen Studenten beweist (1750), so zeigte er anderseits einen rein praktischen Standpunkt. In der Frage der Geldstrafen entschied er lakonisch: „Die fornehme lente ihre Lottissn werden Mit geldt bestrafet, und der Geringere ihre mit dem Karl?6r. Sonsten müssen die Vähter beutels vohr die Kinder ihre Thorheiten büssen . . ." Trotzdem aber die preußischen Könige an der Hebung des akademischen Standes nachdrücklich arbeiteten, waren ihre Sympathien keineswegs beim Gelehrtentum, das durch die Universitäten vertreten ward. Ja, sie bemühten sich sogar, letzterem einen Teil der besten Kräfte, die ihm zuströmen wollten, zu entziehen und dem Heeresdienst zuzuführen. Als zum Beispiel der alte Dessauer, der Kommandant von Halle, am 8. März 1736 den König Friedrich Wilhelm den Ersten bat, er möge die adligen preußischen Studierenden in Halle zum Eintritt in das Heer bewegen, „da Seine Majestät vor die Offiziere mehr Liebe hätten als vor die Herren von der Feder", da willfahrtete der Herrscher diesem Gesuche sofort, und Friedrich der Große veranlaßte den adligen Sprecher der studentischen Abordnung, die ihn 1741 beim Huldigungsfest in Königsberg begrüßte, persönlich dazu, Offizier zu werden. Gerade zur Zeit seines Regierungsantritts lag ihm das Erziehungsideal der deutschen Universitäten innerlich sehr fern, und er gab in seiner 1748 aufgeführten „preußischen Komödie" I^scole 6u nouae das Urbild des Hallischen Musensohnes jener Tage in der Person des wüsten Renommisten Bilvesöe dem Gespötte preis, während er sein eigenes Erziehungsideal in der Gestalt des feingebildeten, weltmännischen Mondor verherrlichte. Allerdings fühlte er im Laufe seiner Regierung, daß sich innerhalb der Studentenschaft selbst eine Wandlung zum Besseren vollzog, die er jedoch stark überschätzte. „Das Leben, das die Studenten ehedem auf den Universitäten führten", so schrieb er Z770, „war ein Gegenstand des öffentlichen Ärgernisses. Während doch diese Stätten sich als das Heiligtum der Musen betrachten sollen, waren sie die Schule der Laster und der Zucht- losigkeit; Raufbolde von Beruf trieben dort das Handwerk der Gladiatoren, die Jugend verbrachte ihr Leben in Unordnung und in Ausschreitungen, sie lernte alles, was ihr hätte ewig unbekannt bleiben sollen, und blieb unbekannt mit dem. was sie hätte lernen müssen. Die Mißstände dieser Unordnung gingen soweit, daß Totschläge unter den Studenten vorkamen. Das erweckte die Regierung aus ihrer Lethargie, und sie war aufgeklärt genug, dieser Willkür einen Zaum anzulegen und die Dinge auf den Zweck ihrer Einrichtung zurückzuleiten. Seitdem können die Väter ihre Kinder auf die Universität schicken mit dem gerechtfertigten Vertrauen, daß sie dort etwas lernen, und ohne die Befürchtung, daß ihre Sitten verdorben werden."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/86>, abgerufen am 22.07.2024.