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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit

Und wenn sein Herz allezeit erfüllt war von dem Zauber der norddeutschen
Küste, derart, daß merkwürdigerweise der Reiz der Alpennatur, der bayerischen
Berge, in den Dichtungen des gereiften Mannes nie einen Widerhall gefunden
hat, wenn Lübecks Stadtbild und die Bilder der Ostsee den Sinn des wander-
frohen Dichters immer wieder unwiderstehlich in die Heimat zurückgezogen haben*)
so zeigen schon diese Jugendversuche ebenso wie der Brief diese Seite seines Gefühls¬
lebens, und wer will geradeste unwahrer Künstelei, gesuchterAnempfindung zeihen?**)

Dieser Brief***) läßt auch nicht erraten, daß sein Schreiber, der scherzweise
behauptet hat, nie eine Zeile Prosa geschrieben zu haben, ja in der Tat, so
sicher er diese meisterte, uns keine einzige Prosaschrift hinterlassen hat. einen --
ebenso wie die dichterische Anlage und die Grundzüge seines Wesens vom Vater
ererbten -- starken Widerwillen gegen alles Briefschreiben empfunden hat.
Klingt er nicht zu einem Teil wie echte, nur in Prosa aufgelöste Poesie?

Möchte er wie meine ganze bescheidene Gabe, gleichsam "Vorfrühlings¬
blätter" des Dichters, der seine "Spätherbstblätter" zu einem so köstlichen Strauße
zusammenband, nicht bei allen Lesern einer kühlen Ablehnung begegnen!

Möchte endlich von der Erinnerung an den hohen, treuen, wahrhaft vor¬
bildlichen deutschen Mann an seinem Ehrentage auf unser ganzes deutsches
Volk in dieser seiner schwersten Zeit, wahrlich einer "Laut'rungsglut des
Weltenbrandes"f), eine mächtige sittliche Erhebung, eine Stählung und Stärkung
seines Willens zu Sieg und Macht und weiterem segensvollen Wirken für sich
wie für die ganze Me'nschheit ausstrahlen I Auch Emanuel Geibels streitbarer
Geist zieht mit unseren Brüdern und Söhnen ins Feld, ebenso wie sein Blut,
seine prächtigen sechs Enkel, die einst palmentragend seinen Sarg umstanden
und nun sämtlich vor dem Feind stehen I Als sie einst, einer nach dem anderen,
erschienen, ohne für das von der Mutter ersehnte Schwesterchen eher Platz zu
lassen, als bis sie alle da waren, da hat der Großvater alle mit gleicher
Freude begrüßt: der König brauche doch Soldaten I

Und wer heute Trost braucht für seine Seele, der blättere nur in seinen
Liederbänden; dort steht noch viel solcher Herzstärkung wie sein köstliches Trost?
gedicht von der "Hoffnung", das wahre Stoßgebet für unsere Tage:

" "
"






") G. W. II, 62. IV. 34. 50 bis 60! V, 74, 97z vergleiche auch V, 72, "den Gletschern
nah', schwieg mir das Herz Monden lang"."
*") Artig ist, daß des jugendlichen poeta vateg "Verkündigung, Ur. 19, die 1863
unerfüllt blieb, gerade eben sich erfüllt!
***) Nach dem Brief vom 13. Oktober 1832 an Chamisso bei Gaedertz, Seite 100, ist
dieser Wohl der früheste, der bekannt wird.
1) G. W. IV, S. 213.
Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit

Und wenn sein Herz allezeit erfüllt war von dem Zauber der norddeutschen
Küste, derart, daß merkwürdigerweise der Reiz der Alpennatur, der bayerischen
Berge, in den Dichtungen des gereiften Mannes nie einen Widerhall gefunden
hat, wenn Lübecks Stadtbild und die Bilder der Ostsee den Sinn des wander-
frohen Dichters immer wieder unwiderstehlich in die Heimat zurückgezogen haben*)
so zeigen schon diese Jugendversuche ebenso wie der Brief diese Seite seines Gefühls¬
lebens, und wer will geradeste unwahrer Künstelei, gesuchterAnempfindung zeihen?**)

Dieser Brief***) läßt auch nicht erraten, daß sein Schreiber, der scherzweise
behauptet hat, nie eine Zeile Prosa geschrieben zu haben, ja in der Tat, so
sicher er diese meisterte, uns keine einzige Prosaschrift hinterlassen hat. einen —
ebenso wie die dichterische Anlage und die Grundzüge seines Wesens vom Vater
ererbten — starken Widerwillen gegen alles Briefschreiben empfunden hat.
Klingt er nicht zu einem Teil wie echte, nur in Prosa aufgelöste Poesie?

Möchte er wie meine ganze bescheidene Gabe, gleichsam „Vorfrühlings¬
blätter" des Dichters, der seine „Spätherbstblätter" zu einem so köstlichen Strauße
zusammenband, nicht bei allen Lesern einer kühlen Ablehnung begegnen!

Möchte endlich von der Erinnerung an den hohen, treuen, wahrhaft vor¬
bildlichen deutschen Mann an seinem Ehrentage auf unser ganzes deutsches
Volk in dieser seiner schwersten Zeit, wahrlich einer „Laut'rungsglut des
Weltenbrandes"f), eine mächtige sittliche Erhebung, eine Stählung und Stärkung
seines Willens zu Sieg und Macht und weiterem segensvollen Wirken für sich
wie für die ganze Me'nschheit ausstrahlen I Auch Emanuel Geibels streitbarer
Geist zieht mit unseren Brüdern und Söhnen ins Feld, ebenso wie sein Blut,
seine prächtigen sechs Enkel, die einst palmentragend seinen Sarg umstanden
und nun sämtlich vor dem Feind stehen I Als sie einst, einer nach dem anderen,
erschienen, ohne für das von der Mutter ersehnte Schwesterchen eher Platz zu
lassen, als bis sie alle da waren, da hat der Großvater alle mit gleicher
Freude begrüßt: der König brauche doch Soldaten I

Und wer heute Trost braucht für seine Seele, der blättere nur in seinen
Liederbänden; dort steht noch viel solcher Herzstärkung wie sein köstliches Trost?
gedicht von der „Hoffnung", das wahre Stoßgebet für unsere Tage:

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») G. W. II, 62. IV. 34. 50 bis 60! V, 74, 97z vergleiche auch V, 72, „den Gletschern
nah', schwieg mir das Herz Monden lang"."
*") Artig ist, daß des jugendlichen poeta vateg „Verkündigung, Ur. 19, die 1863
unerfüllt blieb, gerade eben sich erfüllt!
***) Nach dem Brief vom 13. Oktober 1832 an Chamisso bei Gaedertz, Seite 100, ist
dieser Wohl der früheste, der bekannt wird.
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[0065] Aus Lmanuel Geibels Schülerzeit Und wenn sein Herz allezeit erfüllt war von dem Zauber der norddeutschen Küste, derart, daß merkwürdigerweise der Reiz der Alpennatur, der bayerischen Berge, in den Dichtungen des gereiften Mannes nie einen Widerhall gefunden hat, wenn Lübecks Stadtbild und die Bilder der Ostsee den Sinn des wander- frohen Dichters immer wieder unwiderstehlich in die Heimat zurückgezogen haben*) so zeigen schon diese Jugendversuche ebenso wie der Brief diese Seite seines Gefühls¬ lebens, und wer will geradeste unwahrer Künstelei, gesuchterAnempfindung zeihen?**) Dieser Brief***) läßt auch nicht erraten, daß sein Schreiber, der scherzweise behauptet hat, nie eine Zeile Prosa geschrieben zu haben, ja in der Tat, so sicher er diese meisterte, uns keine einzige Prosaschrift hinterlassen hat. einen — ebenso wie die dichterische Anlage und die Grundzüge seines Wesens vom Vater ererbten — starken Widerwillen gegen alles Briefschreiben empfunden hat. Klingt er nicht zu einem Teil wie echte, nur in Prosa aufgelöste Poesie? Möchte er wie meine ganze bescheidene Gabe, gleichsam „Vorfrühlings¬ blätter" des Dichters, der seine „Spätherbstblätter" zu einem so köstlichen Strauße zusammenband, nicht bei allen Lesern einer kühlen Ablehnung begegnen! Möchte endlich von der Erinnerung an den hohen, treuen, wahrhaft vor¬ bildlichen deutschen Mann an seinem Ehrentage auf unser ganzes deutsches Volk in dieser seiner schwersten Zeit, wahrlich einer „Laut'rungsglut des Weltenbrandes"f), eine mächtige sittliche Erhebung, eine Stählung und Stärkung seines Willens zu Sieg und Macht und weiterem segensvollen Wirken für sich wie für die ganze Me'nschheit ausstrahlen I Auch Emanuel Geibels streitbarer Geist zieht mit unseren Brüdern und Söhnen ins Feld, ebenso wie sein Blut, seine prächtigen sechs Enkel, die einst palmentragend seinen Sarg umstanden und nun sämtlich vor dem Feind stehen I Als sie einst, einer nach dem anderen, erschienen, ohne für das von der Mutter ersehnte Schwesterchen eher Platz zu lassen, als bis sie alle da waren, da hat der Großvater alle mit gleicher Freude begrüßt: der König brauche doch Soldaten I Und wer heute Trost braucht für seine Seele, der blättere nur in seinen Liederbänden; dort steht noch viel solcher Herzstärkung wie sein köstliches Trost? gedicht von der „Hoffnung", das wahre Stoßgebet für unsere Tage: » » » ») G. W. II, 62. IV. 34. 50 bis 60! V, 74, 97z vergleiche auch V, 72, „den Gletschern nah', schwieg mir das Herz Monden lang"." *") Artig ist, daß des jugendlichen poeta vateg „Verkündigung, Ur. 19, die 1863 unerfüllt blieb, gerade eben sich erfüllt! ***) Nach dem Brief vom 13. Oktober 1832 an Chamisso bei Gaedertz, Seite 100, ist dieser Wohl der früheste, der bekannt wird. 1) G. W. IV, S. 213.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/65>, abgerufen am 22.07.2024.