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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die neue dänische Verfassung

Bei den Wahlen zum Landsting fällt das privilegierte Wahlrecht fort. Von
den 74 Mitgliedern werden 54 von sämtlichen Folketingswählern, die das
35. Lebensjahr überschritten haben, in indirekter Wahl gewählt. Die übrigen
18 Mitglieder, die nach der Verfassung von 1866 vom König ernannt wurden,
werden jetzt vom Landsting selbst gewühlt.

Die Wahlperiode für das Folketing ist vier Jahre, für das Landsting
acht Jahre.

Wenn sich das Landsting einem im Folketing angenommenen Gesetzes¬
vorschlag widersetzt, auch nachdem dieser nach Ablauf der regulären Wahlperiode
von einem neugewählten Folketing abermals angenommen ist. so kann das
Landsting aufgelöst werden.

Hinsichtlich des Wahlmodus eröffnet § 32 den politischen Parteien die
Möglichkeit, nach ihren: Stärkeverhältnis im Folketing Vertretung zu erlangen
entweder durch Einführung des reinen Proportionalwahlsystems oder durch Ver¬
bindung dieses Systems mit der Wahl in Einzelkreisen. Die Regeln hierfür
sind ziemlich kompliziert.

Faßt man das Wesen der Neuerungen zusammen, so ergibt sich die Bewahrung
des Zweikammersystems gleichzeitig mit der Aufhebung aller Privilegien und
Standesunterschiede unter den Wählern.

Hierbei wird die erste Kammer durch das zehn Jahre ältere Wählerkorps,
durch die indirekte Wahl, durch die längere Funktionsdauer in Verbindung mit
der starken Sicherung gegen Auflösung sowie endlich durch die achtzehn vom
Landsting selbst gewählten Mitglieder zweifellos den mehr besonnenen Charakter
erhalten, den ihm der Wille der Verfassung gegenüber der zweiten Kammer
zugedacht hat.

Das Ergebnis ist also: Folketingsparlamentarismus in Verbindung mit
einem Senat, der geeignet ist, eine abwägende, retardierende Wirkung gegen
unreife Gesetzmacherei auszuüben, ohne doch auf die Dauer imstande zu sein,
eine innerlich berechtigte große Reformgesetzgebung zu verhindern.

Wie das Wahlrecht der Frauen wirken wird, ist schwer vorauszusagen.
Das kommunale Wahlrecht, das die Frau in Dänemark schon seit einer Reihe
von Jahren besitzt, hat die Verhältnisse wenig beeinflußt.




Die neue dänische Verfassung

Bei den Wahlen zum Landsting fällt das privilegierte Wahlrecht fort. Von
den 74 Mitgliedern werden 54 von sämtlichen Folketingswählern, die das
35. Lebensjahr überschritten haben, in indirekter Wahl gewählt. Die übrigen
18 Mitglieder, die nach der Verfassung von 1866 vom König ernannt wurden,
werden jetzt vom Landsting selbst gewühlt.

Die Wahlperiode für das Folketing ist vier Jahre, für das Landsting
acht Jahre.

Wenn sich das Landsting einem im Folketing angenommenen Gesetzes¬
vorschlag widersetzt, auch nachdem dieser nach Ablauf der regulären Wahlperiode
von einem neugewählten Folketing abermals angenommen ist. so kann das
Landsting aufgelöst werden.

Hinsichtlich des Wahlmodus eröffnet § 32 den politischen Parteien die
Möglichkeit, nach ihren: Stärkeverhältnis im Folketing Vertretung zu erlangen
entweder durch Einführung des reinen Proportionalwahlsystems oder durch Ver¬
bindung dieses Systems mit der Wahl in Einzelkreisen. Die Regeln hierfür
sind ziemlich kompliziert.

Faßt man das Wesen der Neuerungen zusammen, so ergibt sich die Bewahrung
des Zweikammersystems gleichzeitig mit der Aufhebung aller Privilegien und
Standesunterschiede unter den Wählern.

Hierbei wird die erste Kammer durch das zehn Jahre ältere Wählerkorps,
durch die indirekte Wahl, durch die längere Funktionsdauer in Verbindung mit
der starken Sicherung gegen Auflösung sowie endlich durch die achtzehn vom
Landsting selbst gewählten Mitglieder zweifellos den mehr besonnenen Charakter
erhalten, den ihm der Wille der Verfassung gegenüber der zweiten Kammer
zugedacht hat.

Das Ergebnis ist also: Folketingsparlamentarismus in Verbindung mit
einem Senat, der geeignet ist, eine abwägende, retardierende Wirkung gegen
unreife Gesetzmacherei auszuüben, ohne doch auf die Dauer imstande zu sein,
eine innerlich berechtigte große Reformgesetzgebung zu verhindern.

Wie das Wahlrecht der Frauen wirken wird, ist schwer vorauszusagen.
Das kommunale Wahlrecht, das die Frau in Dänemark schon seit einer Reihe
von Jahren besitzt, hat die Verhältnisse wenig beeinflußt.




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[0056] Die neue dänische Verfassung Bei den Wahlen zum Landsting fällt das privilegierte Wahlrecht fort. Von den 74 Mitgliedern werden 54 von sämtlichen Folketingswählern, die das 35. Lebensjahr überschritten haben, in indirekter Wahl gewählt. Die übrigen 18 Mitglieder, die nach der Verfassung von 1866 vom König ernannt wurden, werden jetzt vom Landsting selbst gewühlt. Die Wahlperiode für das Folketing ist vier Jahre, für das Landsting acht Jahre. Wenn sich das Landsting einem im Folketing angenommenen Gesetzes¬ vorschlag widersetzt, auch nachdem dieser nach Ablauf der regulären Wahlperiode von einem neugewählten Folketing abermals angenommen ist. so kann das Landsting aufgelöst werden. Hinsichtlich des Wahlmodus eröffnet § 32 den politischen Parteien die Möglichkeit, nach ihren: Stärkeverhältnis im Folketing Vertretung zu erlangen entweder durch Einführung des reinen Proportionalwahlsystems oder durch Ver¬ bindung dieses Systems mit der Wahl in Einzelkreisen. Die Regeln hierfür sind ziemlich kompliziert. Faßt man das Wesen der Neuerungen zusammen, so ergibt sich die Bewahrung des Zweikammersystems gleichzeitig mit der Aufhebung aller Privilegien und Standesunterschiede unter den Wählern. Hierbei wird die erste Kammer durch das zehn Jahre ältere Wählerkorps, durch die indirekte Wahl, durch die längere Funktionsdauer in Verbindung mit der starken Sicherung gegen Auflösung sowie endlich durch die achtzehn vom Landsting selbst gewählten Mitglieder zweifellos den mehr besonnenen Charakter erhalten, den ihm der Wille der Verfassung gegenüber der zweiten Kammer zugedacht hat. Das Ergebnis ist also: Folketingsparlamentarismus in Verbindung mit einem Senat, der geeignet ist, eine abwägende, retardierende Wirkung gegen unreife Gesetzmacherei auszuüben, ohne doch auf die Dauer imstande zu sein, eine innerlich berechtigte große Reformgesetzgebung zu verhindern. Wie das Wahlrecht der Frauen wirken wird, ist schwer vorauszusagen. Das kommunale Wahlrecht, das die Frau in Dänemark schon seit einer Reihe von Jahren besitzt, hat die Verhältnisse wenig beeinflußt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/56>, abgerufen am 27.12.2024.