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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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philosophische Neuerscheinungen
Dr. Paul Feldkeller von

achten der jahrzehntelang zum wiederholten Male unternommene
Versuch, die Welt einschließlich der geistigen Geschehnisse natur¬
wissenschaftlich zu erklären, gescheitert ist, erfreut sich die entgegen¬
gesetzte Methode, die Welt nach Art der historischen Betrachtungs¬
weise "von innen her" zu "verstehen", einer nie dagewesenen
Wertschätzung. Dem physikalischen Positivismus ist ein psychologischer und
historischer gefolgt. Du Bois-Reymond, für den auch die geschichtliche Wirklichkeit
letzten Endes doch nur durch ein unermeßliches System simultaner Differential¬
gleichungen zu begreifen ist, hat Diltheys Methode des Verstehens und Bergsons
Jntuitionismus Platz machen müssen. Fechners Lehre vom "Jnnensein" der
Dinge, Wundes Bekenntnis zu einer kosmischen Zielstrebigkeit finden bei einer
romantisch gestimmten, das Erleben, Nacherleben, Einfühlen, Verstehen betonenden
Gegenwart Anklang und Entgegenkommen. So scheint der uralte, seit den
Tagen Demokrits nicht wieder zur Ruhe gekommene Kampf um die mechanistische
und die teleologische Weltbetrachtung sich wieder zugunsten der Zweckmäßigkeis'
lehre zu neigen. Dem engherzigen, alles Geistesleben zu ersticken drohenden
Mechanismus gegenüber das eigengesetzliche, sich von innen her gestaltende
Leben des beseelten Organismus hervorzuheben, anderseits den Rückfall in den
überwundenen Aristotelismus und Thomismus zu verhüten: das ist die Mission
von Rudolf Eislers Buch "Der Zweck, Seine Bedeutung für Natur und
Geist" (Berlin, Mittler u. Sohn 1914). Den Verfasser hat das löbliche Bestreben
geleitet, die zu neuer Wertschätzung gelangte teleologische Methode nach ihrer
logischen Bedeutung und der Fülle ihrer Anwendungen auf allen Gebieten so
zu behandeln, daß der Fachmann wie der gebildete Laie über den Zweckbegriff
und seine Brauchbarkeit zur Klarheit kommen können.

Der für den kritischen Philosophen charakteristische Zweifrontenkampf zeichnet
auch dieses Buch aus: gegen die mechanistische Weltanschauung wie gegen die
dualistische Zweckmäßigkeitslehre, lautet die Losung. Die geschlossene Kausalkette
duldet keine "Zweckursachen". Anderseits läuft dem lückenlosen Naturgeschehen
die Welt psychischer Willensregungen und schöpferischer Zwecksetzungen parallel.
So find nach Eifler Kausalität und Teleologie, richtig verstanden, durchaus
miteinander vereinbar. Die Bedeutung der Zielstrebigkeit wird in einem be°




philosophische Neuerscheinungen
Dr. Paul Feldkeller von

achten der jahrzehntelang zum wiederholten Male unternommene
Versuch, die Welt einschließlich der geistigen Geschehnisse natur¬
wissenschaftlich zu erklären, gescheitert ist, erfreut sich die entgegen¬
gesetzte Methode, die Welt nach Art der historischen Betrachtungs¬
weise „von innen her" zu „verstehen", einer nie dagewesenen
Wertschätzung. Dem physikalischen Positivismus ist ein psychologischer und
historischer gefolgt. Du Bois-Reymond, für den auch die geschichtliche Wirklichkeit
letzten Endes doch nur durch ein unermeßliches System simultaner Differential¬
gleichungen zu begreifen ist, hat Diltheys Methode des Verstehens und Bergsons
Jntuitionismus Platz machen müssen. Fechners Lehre vom „Jnnensein" der
Dinge, Wundes Bekenntnis zu einer kosmischen Zielstrebigkeit finden bei einer
romantisch gestimmten, das Erleben, Nacherleben, Einfühlen, Verstehen betonenden
Gegenwart Anklang und Entgegenkommen. So scheint der uralte, seit den
Tagen Demokrits nicht wieder zur Ruhe gekommene Kampf um die mechanistische
und die teleologische Weltbetrachtung sich wieder zugunsten der Zweckmäßigkeis'
lehre zu neigen. Dem engherzigen, alles Geistesleben zu ersticken drohenden
Mechanismus gegenüber das eigengesetzliche, sich von innen her gestaltende
Leben des beseelten Organismus hervorzuheben, anderseits den Rückfall in den
überwundenen Aristotelismus und Thomismus zu verhüten: das ist die Mission
von Rudolf Eislers Buch „Der Zweck, Seine Bedeutung für Natur und
Geist" (Berlin, Mittler u. Sohn 1914). Den Verfasser hat das löbliche Bestreben
geleitet, die zu neuer Wertschätzung gelangte teleologische Methode nach ihrer
logischen Bedeutung und der Fülle ihrer Anwendungen auf allen Gebieten so
zu behandeln, daß der Fachmann wie der gebildete Laie über den Zweckbegriff
und seine Brauchbarkeit zur Klarheit kommen können.

Der für den kritischen Philosophen charakteristische Zweifrontenkampf zeichnet
auch dieses Buch aus: gegen die mechanistische Weltanschauung wie gegen die
dualistische Zweckmäßigkeitslehre, lautet die Losung. Die geschlossene Kausalkette
duldet keine „Zweckursachen". Anderseits läuft dem lückenlosen Naturgeschehen
die Welt psychischer Willensregungen und schöpferischer Zwecksetzungen parallel.
So find nach Eifler Kausalität und Teleologie, richtig verstanden, durchaus
miteinander vereinbar. Die Bedeutung der Zielstrebigkeit wird in einem be°


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[0417] [Abbildung] philosophische Neuerscheinungen Dr. Paul Feldkeller von achten der jahrzehntelang zum wiederholten Male unternommene Versuch, die Welt einschließlich der geistigen Geschehnisse natur¬ wissenschaftlich zu erklären, gescheitert ist, erfreut sich die entgegen¬ gesetzte Methode, die Welt nach Art der historischen Betrachtungs¬ weise „von innen her" zu „verstehen", einer nie dagewesenen Wertschätzung. Dem physikalischen Positivismus ist ein psychologischer und historischer gefolgt. Du Bois-Reymond, für den auch die geschichtliche Wirklichkeit letzten Endes doch nur durch ein unermeßliches System simultaner Differential¬ gleichungen zu begreifen ist, hat Diltheys Methode des Verstehens und Bergsons Jntuitionismus Platz machen müssen. Fechners Lehre vom „Jnnensein" der Dinge, Wundes Bekenntnis zu einer kosmischen Zielstrebigkeit finden bei einer romantisch gestimmten, das Erleben, Nacherleben, Einfühlen, Verstehen betonenden Gegenwart Anklang und Entgegenkommen. So scheint der uralte, seit den Tagen Demokrits nicht wieder zur Ruhe gekommene Kampf um die mechanistische und die teleologische Weltbetrachtung sich wieder zugunsten der Zweckmäßigkeis' lehre zu neigen. Dem engherzigen, alles Geistesleben zu ersticken drohenden Mechanismus gegenüber das eigengesetzliche, sich von innen her gestaltende Leben des beseelten Organismus hervorzuheben, anderseits den Rückfall in den überwundenen Aristotelismus und Thomismus zu verhüten: das ist die Mission von Rudolf Eislers Buch „Der Zweck, Seine Bedeutung für Natur und Geist" (Berlin, Mittler u. Sohn 1914). Den Verfasser hat das löbliche Bestreben geleitet, die zu neuer Wertschätzung gelangte teleologische Methode nach ihrer logischen Bedeutung und der Fülle ihrer Anwendungen auf allen Gebieten so zu behandeln, daß der Fachmann wie der gebildete Laie über den Zweckbegriff und seine Brauchbarkeit zur Klarheit kommen können. Der für den kritischen Philosophen charakteristische Zweifrontenkampf zeichnet auch dieses Buch aus: gegen die mechanistische Weltanschauung wie gegen die dualistische Zweckmäßigkeitslehre, lautet die Losung. Die geschlossene Kausalkette duldet keine „Zweckursachen". Anderseits läuft dem lückenlosen Naturgeschehen die Welt psychischer Willensregungen und schöpferischer Zwecksetzungen parallel. So find nach Eifler Kausalität und Teleologie, richtig verstanden, durchaus miteinander vereinbar. Die Bedeutung der Zielstrebigkeit wird in einem be°

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/417>, abgerufen am 22.07.2024.