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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges

kolonisatorischer Arbeit wiedergewonnene Gebiete, das Erbteil seines großen
Königs, dem Phantom des Nationalitätsprinzips zu opfern.

Man staunt zunächst, bei einem Manne wie Gagern derartige Gedanken
vertreten zu sehen, aber die Ausführung dieses Vorschlages ist doch für ihn
nur eine Etappe auf dem Wege zur Einigung Deutschlands, so wie er sie sich
zurechtgelegt hatte*): Erhebung des Königs von Preußen zum Kaiser des
Bundesstaates, zugleich aber Loslösung dieses Kaisers von seiner unmittelbaren
preußischen Basis und Auflösung Preußens in eine Reihe ungefähr gleich großer
Territorien. Wer so dachte, der konnte sich über Entschädigungsansprüche
Preußens ruhig hinwegsetzen, ja ihre Vertretung hätte lediglich eine Gefährdung
seines nationalen Programms bedeutet. Und in diesen Zusammenhang gehört
sicher auch die Forderung in Gagerns Denkschrift, -- sie ist gewissermaßen ein
unverkennbarer Hinweis auf sein letztes Ziel --, daß "kein Souverän" sein
Kontingent einseitig abberufen darf, daß solchen Befehlen nicht zu gehorchen
ist; es ist die Aufgabe, solche Befehle einzelner Bundesfürsten ganz unmöglich
zu machen:" von theoretischen Konstruktionen her unter willkürlicher Ausschaltung
des Machtgedankens sollte hier die deutsche Einheit geschaffen werden.

Mit dem lapidaren Satz: "Sind die deutschen Heere geschlagen, ist man
zu einem nachteiligen Frieden genötigt, dann wird der Feind schon selbst seine
Bedingungen vorzuschreiben wissen", schließt die Denkschrift Gagerns: auch für
uns heute noch eine nicht mißzuverstehende Mahnung, durchzuhalten bis ans
Ende, koste es, was es wolle.





*) Vergl. Fr. Meinecke - Weltbürgertum und Nationalstaat (München-Berlin 1S08)
S, 336 ff.
Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges

kolonisatorischer Arbeit wiedergewonnene Gebiete, das Erbteil seines großen
Königs, dem Phantom des Nationalitätsprinzips zu opfern.

Man staunt zunächst, bei einem Manne wie Gagern derartige Gedanken
vertreten zu sehen, aber die Ausführung dieses Vorschlages ist doch für ihn
nur eine Etappe auf dem Wege zur Einigung Deutschlands, so wie er sie sich
zurechtgelegt hatte*): Erhebung des Königs von Preußen zum Kaiser des
Bundesstaates, zugleich aber Loslösung dieses Kaisers von seiner unmittelbaren
preußischen Basis und Auflösung Preußens in eine Reihe ungefähr gleich großer
Territorien. Wer so dachte, der konnte sich über Entschädigungsansprüche
Preußens ruhig hinwegsetzen, ja ihre Vertretung hätte lediglich eine Gefährdung
seines nationalen Programms bedeutet. Und in diesen Zusammenhang gehört
sicher auch die Forderung in Gagerns Denkschrift, — sie ist gewissermaßen ein
unverkennbarer Hinweis auf sein letztes Ziel —, daß „kein Souverän" sein
Kontingent einseitig abberufen darf, daß solchen Befehlen nicht zu gehorchen
ist; es ist die Aufgabe, solche Befehle einzelner Bundesfürsten ganz unmöglich
zu machen:" von theoretischen Konstruktionen her unter willkürlicher Ausschaltung
des Machtgedankens sollte hier die deutsche Einheit geschaffen werden.

Mit dem lapidaren Satz: „Sind die deutschen Heere geschlagen, ist man
zu einem nachteiligen Frieden genötigt, dann wird der Feind schon selbst seine
Bedingungen vorzuschreiben wissen", schließt die Denkschrift Gagerns: auch für
uns heute noch eine nicht mißzuverstehende Mahnung, durchzuhalten bis ans
Ende, koste es, was es wolle.





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[0405] Friedrich von Gagern, ein Prophet des Weltkrieges kolonisatorischer Arbeit wiedergewonnene Gebiete, das Erbteil seines großen Königs, dem Phantom des Nationalitätsprinzips zu opfern. Man staunt zunächst, bei einem Manne wie Gagern derartige Gedanken vertreten zu sehen, aber die Ausführung dieses Vorschlages ist doch für ihn nur eine Etappe auf dem Wege zur Einigung Deutschlands, so wie er sie sich zurechtgelegt hatte*): Erhebung des Königs von Preußen zum Kaiser des Bundesstaates, zugleich aber Loslösung dieses Kaisers von seiner unmittelbaren preußischen Basis und Auflösung Preußens in eine Reihe ungefähr gleich großer Territorien. Wer so dachte, der konnte sich über Entschädigungsansprüche Preußens ruhig hinwegsetzen, ja ihre Vertretung hätte lediglich eine Gefährdung seines nationalen Programms bedeutet. Und in diesen Zusammenhang gehört sicher auch die Forderung in Gagerns Denkschrift, — sie ist gewissermaßen ein unverkennbarer Hinweis auf sein letztes Ziel —, daß „kein Souverän" sein Kontingent einseitig abberufen darf, daß solchen Befehlen nicht zu gehorchen ist; es ist die Aufgabe, solche Befehle einzelner Bundesfürsten ganz unmöglich zu machen:" von theoretischen Konstruktionen her unter willkürlicher Ausschaltung des Machtgedankens sollte hier die deutsche Einheit geschaffen werden. Mit dem lapidaren Satz: „Sind die deutschen Heere geschlagen, ist man zu einem nachteiligen Frieden genötigt, dann wird der Feind schon selbst seine Bedingungen vorzuschreiben wissen", schließt die Denkschrift Gagerns: auch für uns heute noch eine nicht mißzuverstehende Mahnung, durchzuhalten bis ans Ende, koste es, was es wolle. *) Vergl. Fr. Meinecke - Weltbürgertum und Nationalstaat (München-Berlin 1S08) S, 336 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/405>, abgerufen am 22.07.2024.