Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Altpreußische Romantik in Polen

diese Schrift ausführlich an: "Die Proben von der stillen Geistestätigkeit einer
guten Frau enthalten einen lebendigen Abdruck von einer wahrhaft weiblichen
Seele in Empfindungen und Meinungen über Gegenstände, die nicht außerhalb
dem Kultur- und Gefühlskreise des Weibes liegen." Ihre Arbeiten erschienen
dann noch separat unter dem Titel: "Zerstreute Blätter" (Görlitz 1800,
zweite Auflage 1821), von denen Herder wieder sagte: "Sie werden den
Namen Maria Mnioch jedem Leser von reinem Sinne werth machen."

So war mit ihrem Tode (1797), mit dem ihres Mannes (1804.) und mit
dem Weggang Werners im Oktober 1805 eine empfindliche Lücke in dem kleinen
altpreußischen Romantikerkreis gerissen worden. Hoffmann und Hitzig, die noch
in Warschau waren, hatten über ihren lebhaften literarischen Interessen das
politische Geschick Deutschlands fast vergessen, bis die Folgen der Schlacht bei
Jena entscheidend auch in Hoffmanns Leben eingriffen. Am 28. November 1806
rückte Murats Armeekorps in Warschau ein; schon nach wenigen Tagen wurde
im Namen des Kaisers die preußische Regierung aufgelöst, und ein aus Polen
gebildetes Obergericht trat an ihre Stelle. Hoffmann, der sonst unter der
französischen Okkupation verhältnismäßig wenig litt, verlor dadurch sein Amt und
Einkommen. Seine Familie sandte er mit der ersten sicheren Gelegenheit nach
Posen; er selbst folgte, nachdem ^er ein hitziges Nervenfieber überstanden
hatte, im Sommer 1807. Hitzig wurde genötigt, jetzt nach der Heimat zurück¬
zukehren; auch Mosqua und Loche waren gegangen, jener nach Königsberg,
dieser verließ mit Kuhlmeyer ^als letzter Warschau und ging nach Paris.
Morgenroth, der 1806 brotlos geworden war, war nach Dresden übergesiedelt.
Ebenso hatte die Familie Goltz sich nicht lange ihres idyllischen Landgutes
Milanowek erfreuen dürfen. Feuer vom Himmel und bald darauf der Flinten"
schuß eines polnischen Soldaten verursachten die Einäscherung des ganzen Gehöftes,
und so gelangte der kleine Bogumil 1807, als Warschau die Hauptstadt
des Großherzogtums wurde, nach Königsberg. Seine Eltern verließen ebenfalls
das Land, aber Milanowek wurde keinen Augenblick vergessen, wo sie alle so
glücklich gewesen waren. Noch in späten Jahren schrieb Goltz in Erinnerung an
das anmutige Gütchen die schönen, wehmütigen Worte nieder: "Heimat!
Heimat! Du süßer entzückender Laut, du heiliger Sabbath meiner Kindheit
und Jugendzeit, o wie wohnst du mir im Herzen! Und einst wohnte ich in
dir! O wie bist du meiner Seele Seele, und meiner Sinne heiligster Sinn!
O ihr Heimatfluren, wie seid ihr doch meine eigene Natur!"




Altpreußische Romantik in Polen

diese Schrift ausführlich an: „Die Proben von der stillen Geistestätigkeit einer
guten Frau enthalten einen lebendigen Abdruck von einer wahrhaft weiblichen
Seele in Empfindungen und Meinungen über Gegenstände, die nicht außerhalb
dem Kultur- und Gefühlskreise des Weibes liegen." Ihre Arbeiten erschienen
dann noch separat unter dem Titel: „Zerstreute Blätter" (Görlitz 1800,
zweite Auflage 1821), von denen Herder wieder sagte: „Sie werden den
Namen Maria Mnioch jedem Leser von reinem Sinne werth machen."

So war mit ihrem Tode (1797), mit dem ihres Mannes (1804.) und mit
dem Weggang Werners im Oktober 1805 eine empfindliche Lücke in dem kleinen
altpreußischen Romantikerkreis gerissen worden. Hoffmann und Hitzig, die noch
in Warschau waren, hatten über ihren lebhaften literarischen Interessen das
politische Geschick Deutschlands fast vergessen, bis die Folgen der Schlacht bei
Jena entscheidend auch in Hoffmanns Leben eingriffen. Am 28. November 1806
rückte Murats Armeekorps in Warschau ein; schon nach wenigen Tagen wurde
im Namen des Kaisers die preußische Regierung aufgelöst, und ein aus Polen
gebildetes Obergericht trat an ihre Stelle. Hoffmann, der sonst unter der
französischen Okkupation verhältnismäßig wenig litt, verlor dadurch sein Amt und
Einkommen. Seine Familie sandte er mit der ersten sicheren Gelegenheit nach
Posen; er selbst folgte, nachdem ^er ein hitziges Nervenfieber überstanden
hatte, im Sommer 1807. Hitzig wurde genötigt, jetzt nach der Heimat zurück¬
zukehren; auch Mosqua und Loche waren gegangen, jener nach Königsberg,
dieser verließ mit Kuhlmeyer ^als letzter Warschau und ging nach Paris.
Morgenroth, der 1806 brotlos geworden war, war nach Dresden übergesiedelt.
Ebenso hatte die Familie Goltz sich nicht lange ihres idyllischen Landgutes
Milanowek erfreuen dürfen. Feuer vom Himmel und bald darauf der Flinten»
schuß eines polnischen Soldaten verursachten die Einäscherung des ganzen Gehöftes,
und so gelangte der kleine Bogumil 1807, als Warschau die Hauptstadt
des Großherzogtums wurde, nach Königsberg. Seine Eltern verließen ebenfalls
das Land, aber Milanowek wurde keinen Augenblick vergessen, wo sie alle so
glücklich gewesen waren. Noch in späten Jahren schrieb Goltz in Erinnerung an
das anmutige Gütchen die schönen, wehmütigen Worte nieder: „Heimat!
Heimat! Du süßer entzückender Laut, du heiliger Sabbath meiner Kindheit
und Jugendzeit, o wie wohnst du mir im Herzen! Und einst wohnte ich in
dir! O wie bist du meiner Seele Seele, und meiner Sinne heiligster Sinn!
O ihr Heimatfluren, wie seid ihr doch meine eigene Natur!"




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324447"/>
          <fw type="header" place="top"> Altpreußische Romantik in Polen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_69" prev="#ID_68"> diese Schrift ausführlich an: &#x201E;Die Proben von der stillen Geistestätigkeit einer<lb/>
guten Frau enthalten einen lebendigen Abdruck von einer wahrhaft weiblichen<lb/>
Seele in Empfindungen und Meinungen über Gegenstände, die nicht außerhalb<lb/>
dem Kultur- und Gefühlskreise des Weibes liegen." Ihre Arbeiten erschienen<lb/>
dann noch separat unter dem Titel: &#x201E;Zerstreute Blätter" (Görlitz 1800,<lb/>
zweite Auflage 1821), von denen Herder wieder sagte: &#x201E;Sie werden den<lb/>
Namen Maria Mnioch jedem Leser von reinem Sinne werth machen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_70"> So war mit ihrem Tode (1797), mit dem ihres Mannes (1804.) und mit<lb/>
dem Weggang Werners im Oktober 1805 eine empfindliche Lücke in dem kleinen<lb/>
altpreußischen Romantikerkreis gerissen worden. Hoffmann und Hitzig, die noch<lb/>
in Warschau waren, hatten über ihren lebhaften literarischen Interessen das<lb/>
politische Geschick Deutschlands fast vergessen, bis die Folgen der Schlacht bei<lb/>
Jena entscheidend auch in Hoffmanns Leben eingriffen. Am 28. November 1806<lb/>
rückte Murats Armeekorps in Warschau ein; schon nach wenigen Tagen wurde<lb/>
im Namen des Kaisers die preußische Regierung aufgelöst, und ein aus Polen<lb/>
gebildetes Obergericht trat an ihre Stelle. Hoffmann, der sonst unter der<lb/>
französischen Okkupation verhältnismäßig wenig litt, verlor dadurch sein Amt und<lb/>
Einkommen. Seine Familie sandte er mit der ersten sicheren Gelegenheit nach<lb/>
Posen; er selbst folgte, nachdem ^er ein hitziges Nervenfieber überstanden<lb/>
hatte, im Sommer 1807. Hitzig wurde genötigt, jetzt nach der Heimat zurück¬<lb/>
zukehren; auch Mosqua und Loche waren gegangen, jener nach Königsberg,<lb/>
dieser verließ mit Kuhlmeyer ^als letzter Warschau und ging nach Paris.<lb/>
Morgenroth, der 1806 brotlos geworden war, war nach Dresden übergesiedelt.<lb/>
Ebenso hatte die Familie Goltz sich nicht lange ihres idyllischen Landgutes<lb/>
Milanowek erfreuen dürfen. Feuer vom Himmel und bald darauf der Flinten»<lb/>
schuß eines polnischen Soldaten verursachten die Einäscherung des ganzen Gehöftes,<lb/>
und so gelangte der kleine Bogumil 1807, als Warschau die Hauptstadt<lb/>
des Großherzogtums wurde, nach Königsberg. Seine Eltern verließen ebenfalls<lb/>
das Land, aber Milanowek wurde keinen Augenblick vergessen, wo sie alle so<lb/>
glücklich gewesen waren. Noch in späten Jahren schrieb Goltz in Erinnerung an<lb/>
das anmutige Gütchen die schönen, wehmütigen Worte nieder: &#x201E;Heimat!<lb/>
Heimat! Du süßer entzückender Laut, du heiliger Sabbath meiner Kindheit<lb/>
und Jugendzeit, o wie wohnst du mir im Herzen! Und einst wohnte ich in<lb/>
dir! O wie bist du meiner Seele Seele, und meiner Sinne heiligster Sinn!<lb/>
O ihr Heimatfluren, wie seid ihr doch meine eigene Natur!"</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Altpreußische Romantik in Polen diese Schrift ausführlich an: „Die Proben von der stillen Geistestätigkeit einer guten Frau enthalten einen lebendigen Abdruck von einer wahrhaft weiblichen Seele in Empfindungen und Meinungen über Gegenstände, die nicht außerhalb dem Kultur- und Gefühlskreise des Weibes liegen." Ihre Arbeiten erschienen dann noch separat unter dem Titel: „Zerstreute Blätter" (Görlitz 1800, zweite Auflage 1821), von denen Herder wieder sagte: „Sie werden den Namen Maria Mnioch jedem Leser von reinem Sinne werth machen." So war mit ihrem Tode (1797), mit dem ihres Mannes (1804.) und mit dem Weggang Werners im Oktober 1805 eine empfindliche Lücke in dem kleinen altpreußischen Romantikerkreis gerissen worden. Hoffmann und Hitzig, die noch in Warschau waren, hatten über ihren lebhaften literarischen Interessen das politische Geschick Deutschlands fast vergessen, bis die Folgen der Schlacht bei Jena entscheidend auch in Hoffmanns Leben eingriffen. Am 28. November 1806 rückte Murats Armeekorps in Warschau ein; schon nach wenigen Tagen wurde im Namen des Kaisers die preußische Regierung aufgelöst, und ein aus Polen gebildetes Obergericht trat an ihre Stelle. Hoffmann, der sonst unter der französischen Okkupation verhältnismäßig wenig litt, verlor dadurch sein Amt und Einkommen. Seine Familie sandte er mit der ersten sicheren Gelegenheit nach Posen; er selbst folgte, nachdem ^er ein hitziges Nervenfieber überstanden hatte, im Sommer 1807. Hitzig wurde genötigt, jetzt nach der Heimat zurück¬ zukehren; auch Mosqua und Loche waren gegangen, jener nach Königsberg, dieser verließ mit Kuhlmeyer ^als letzter Warschau und ging nach Paris. Morgenroth, der 1806 brotlos geworden war, war nach Dresden übergesiedelt. Ebenso hatte die Familie Goltz sich nicht lange ihres idyllischen Landgutes Milanowek erfreuen dürfen. Feuer vom Himmel und bald darauf der Flinten» schuß eines polnischen Soldaten verursachten die Einäscherung des ganzen Gehöftes, und so gelangte der kleine Bogumil 1807, als Warschau die Hauptstadt des Großherzogtums wurde, nach Königsberg. Seine Eltern verließen ebenfalls das Land, aber Milanowek wurde keinen Augenblick vergessen, wo sie alle so glücklich gewesen waren. Noch in späten Jahren schrieb Goltz in Erinnerung an das anmutige Gütchen die schönen, wehmütigen Worte nieder: „Heimat! Heimat! Du süßer entzückender Laut, du heiliger Sabbath meiner Kindheit und Jugendzeit, o wie wohnst du mir im Herzen! Und einst wohnte ich in dir! O wie bist du meiner Seele Seele, und meiner Sinne heiligster Sinn! O ihr Heimatfluren, wie seid ihr doch meine eigene Natur!"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/38>, abgerufen am 27.12.2024.