Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

endlich einmal Serbien mit seinen Truppen besetzen. Denn darin sah er das
beste Mittel, die Frage, ob russische, französische oder österreichische Schutzherr¬
schaft, schnell und gründlich zu lösen. In Wien war man erst wirklich geneigt,
mit Kam Gjorgje in Unterhandlungen zu treten, unglücklicherweise gelangte
aber damals Metternich an die Spitze der Regierung, welcher in seinem Bericht
vom 10. Oktober 1809 zwar die Überzeugung aussprach, daß Serbien ent¬
weder zur Türkei oder zu Österreich gehören müsse, daß aber gegenwärtig
noch nicht die Zeit da sei. dies zu entscheiden und man deshalb besser täte,
"allen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen". (Es sind dies dieselben
Worte, die mir 1891 Baron Passetti, erster Sektionschef im Ministerium des
Äußern sagte, als sich Österreich durch meine Verhandlungen die letzte Ge¬
legenheit bot. den Kaiser von Österreich zum König von Serbien zu machen!)
Nur dazu war Metternich bereit, daß Österreich seine Vermittlung zur Bei¬
legung der "Unruhen" (I) anbiete.

Deshalb schrieb Kaiser Franz an Simbschen, er möge den serbischen
Führern sagen, daß ihm die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich
und der Pforte nicht gestatten, sich tätig des serbischen Volkes anzunehmen,
daß er aber mit Vergnügen bereit wäre, beiden Seiten dazu zu verhelfen,
sich über die Bedingungen zu verständigen, die beide annehmen könnten.
Der kaiserliche Geschäftsträger habe bereits diesbezügliche Weisungen erhalten.

Mit Brief vom 29. Dezember 1809 stellte nun Kara Gjorgje seine
Friedensbedingungen auf. wobei er Folgendes sagte: "In Wahrheit ist es der
unaufhörliche Wunsch des serbischen Volkes, sein Glück und Wohl mit den
anderen Völkern unter dem wohltätigen Szepter Österreichs zu finden."
Sollten aber wirklich die Lage und die politischen Umstände sich der Erfüllung
dieses Wunsches des serbischen Volkes entgegenstellen, so würde es sich in Er¬
wartung besserer und günstigerer Zeiten damit begnügen, den Türken Tribut
M zahlen. Aber um den Frieden sicher und dauerhaft zu machen, bittet das
serbische Volk gehorsamst und in kindlicher Ergebenheit, daß Österreich sich bei
der Pforte dahin verwende, daß ein Vergleich auf folgender Grundlage ge¬
schaffen werde: Der Kaiser von Österreich müße der Schutzherr Serbiens
sein; für alles, was während des Krieges geschehen ist, müße die Pforte Ver¬
zeihung und Vergessenheit gewähren; eine Erklärung, daß die Serben nicht von
türkischen Steuereinnehmern geplagt werden, sondern nur den gesetzlichen Tribut
zu zahlen haben; die Grenzen Serbiens hätten zu sein: von der Sava längs
der Drina bis zur Limmündung. dann über Sargan und Javor zur Studenica,
dieser entlang zum Kopaonik, welcher, ebenso wie Samokov. zu Serbien
gehört, dann von der Toplica über die Binatschka Morava zur Quelle der
Toplica und des großen Tinot, dem entlang die Grenze bis zu seiner
Mündung in die Donau vertiefe. Ein k. k. österreichischer Konsul habe in
Belgrad zu wohnen. Jede wichtigere Angelegenheit, die die hohe Regierung
dem Volke übermitteln wollte, wäre durch Seine k. k. Majestät dem Ober-


Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert

endlich einmal Serbien mit seinen Truppen besetzen. Denn darin sah er das
beste Mittel, die Frage, ob russische, französische oder österreichische Schutzherr¬
schaft, schnell und gründlich zu lösen. In Wien war man erst wirklich geneigt,
mit Kam Gjorgje in Unterhandlungen zu treten, unglücklicherweise gelangte
aber damals Metternich an die Spitze der Regierung, welcher in seinem Bericht
vom 10. Oktober 1809 zwar die Überzeugung aussprach, daß Serbien ent¬
weder zur Türkei oder zu Österreich gehören müsse, daß aber gegenwärtig
noch nicht die Zeit da sei. dies zu entscheiden und man deshalb besser täte,
„allen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen". (Es sind dies dieselben
Worte, die mir 1891 Baron Passetti, erster Sektionschef im Ministerium des
Äußern sagte, als sich Österreich durch meine Verhandlungen die letzte Ge¬
legenheit bot. den Kaiser von Österreich zum König von Serbien zu machen!)
Nur dazu war Metternich bereit, daß Österreich seine Vermittlung zur Bei¬
legung der „Unruhen" (I) anbiete.

Deshalb schrieb Kaiser Franz an Simbschen, er möge den serbischen
Führern sagen, daß ihm die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich
und der Pforte nicht gestatten, sich tätig des serbischen Volkes anzunehmen,
daß er aber mit Vergnügen bereit wäre, beiden Seiten dazu zu verhelfen,
sich über die Bedingungen zu verständigen, die beide annehmen könnten.
Der kaiserliche Geschäftsträger habe bereits diesbezügliche Weisungen erhalten.

Mit Brief vom 29. Dezember 1809 stellte nun Kara Gjorgje seine
Friedensbedingungen auf. wobei er Folgendes sagte: „In Wahrheit ist es der
unaufhörliche Wunsch des serbischen Volkes, sein Glück und Wohl mit den
anderen Völkern unter dem wohltätigen Szepter Österreichs zu finden."
Sollten aber wirklich die Lage und die politischen Umstände sich der Erfüllung
dieses Wunsches des serbischen Volkes entgegenstellen, so würde es sich in Er¬
wartung besserer und günstigerer Zeiten damit begnügen, den Türken Tribut
M zahlen. Aber um den Frieden sicher und dauerhaft zu machen, bittet das
serbische Volk gehorsamst und in kindlicher Ergebenheit, daß Österreich sich bei
der Pforte dahin verwende, daß ein Vergleich auf folgender Grundlage ge¬
schaffen werde: Der Kaiser von Österreich müße der Schutzherr Serbiens
sein; für alles, was während des Krieges geschehen ist, müße die Pforte Ver¬
zeihung und Vergessenheit gewähren; eine Erklärung, daß die Serben nicht von
türkischen Steuereinnehmern geplagt werden, sondern nur den gesetzlichen Tribut
zu zahlen haben; die Grenzen Serbiens hätten zu sein: von der Sava längs
der Drina bis zur Limmündung. dann über Sargan und Javor zur Studenica,
dieser entlang zum Kopaonik, welcher, ebenso wie Samokov. zu Serbien
gehört, dann von der Toplica über die Binatschka Morava zur Quelle der
Toplica und des großen Tinot, dem entlang die Grenze bis zu seiner
Mündung in die Donau vertiefe. Ein k. k. österreichischer Konsul habe in
Belgrad zu wohnen. Jede wichtigere Angelegenheit, die die hohe Regierung
dem Volke übermitteln wollte, wäre durch Seine k. k. Majestät dem Ober-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0371" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324784"/>
          <fw type="header" place="top"> Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1329" prev="#ID_1328"> endlich einmal Serbien mit seinen Truppen besetzen. Denn darin sah er das<lb/>
beste Mittel, die Frage, ob russische, französische oder österreichische Schutzherr¬<lb/>
schaft, schnell und gründlich zu lösen. In Wien war man erst wirklich geneigt,<lb/>
mit Kam Gjorgje in Unterhandlungen zu treten, unglücklicherweise gelangte<lb/>
aber damals Metternich an die Spitze der Regierung, welcher in seinem Bericht<lb/>
vom 10. Oktober 1809 zwar die Überzeugung aussprach, daß Serbien ent¬<lb/>
weder zur Türkei oder zu Österreich gehören müsse, daß aber gegenwärtig<lb/>
noch nicht die Zeit da sei. dies zu entscheiden und man deshalb besser täte,<lb/>
&#x201E;allen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen". (Es sind dies dieselben<lb/>
Worte, die mir 1891 Baron Passetti, erster Sektionschef im Ministerium des<lb/>
Äußern sagte, als sich Österreich durch meine Verhandlungen die letzte Ge¬<lb/>
legenheit bot. den Kaiser von Österreich zum König von Serbien zu machen!)<lb/>
Nur dazu war Metternich bereit, daß Österreich seine Vermittlung zur Bei¬<lb/>
legung der &#x201E;Unruhen" (I) anbiete.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1330"> Deshalb schrieb Kaiser Franz an Simbschen, er möge den serbischen<lb/>
Führern sagen, daß ihm die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich<lb/>
und der Pforte nicht gestatten, sich tätig des serbischen Volkes anzunehmen,<lb/>
daß er aber mit Vergnügen bereit wäre, beiden Seiten dazu zu verhelfen,<lb/>
sich über die Bedingungen zu verständigen, die beide annehmen könnten.<lb/>
Der kaiserliche Geschäftsträger habe bereits diesbezügliche Weisungen erhalten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1331" next="#ID_1332"> Mit Brief vom 29. Dezember 1809 stellte nun Kara Gjorgje seine<lb/>
Friedensbedingungen auf. wobei er Folgendes sagte: &#x201E;In Wahrheit ist es der<lb/>
unaufhörliche Wunsch des serbischen Volkes, sein Glück und Wohl mit den<lb/>
anderen Völkern unter dem wohltätigen Szepter Österreichs zu finden."<lb/>
Sollten aber wirklich die Lage und die politischen Umstände sich der Erfüllung<lb/>
dieses Wunsches des serbischen Volkes entgegenstellen, so würde es sich in Er¬<lb/>
wartung besserer und günstigerer Zeiten damit begnügen, den Türken Tribut<lb/>
M zahlen. Aber um den Frieden sicher und dauerhaft zu machen, bittet das<lb/>
serbische Volk gehorsamst und in kindlicher Ergebenheit, daß Österreich sich bei<lb/>
der Pforte dahin verwende, daß ein Vergleich auf folgender Grundlage ge¬<lb/>
schaffen werde: Der Kaiser von Österreich müße der Schutzherr Serbiens<lb/>
sein; für alles, was während des Krieges geschehen ist, müße die Pforte Ver¬<lb/>
zeihung und Vergessenheit gewähren; eine Erklärung, daß die Serben nicht von<lb/>
türkischen Steuereinnehmern geplagt werden, sondern nur den gesetzlichen Tribut<lb/>
zu zahlen haben; die Grenzen Serbiens hätten zu sein: von der Sava längs<lb/>
der Drina bis zur Limmündung. dann über Sargan und Javor zur Studenica,<lb/>
dieser entlang zum Kopaonik, welcher, ebenso wie Samokov. zu Serbien<lb/>
gehört, dann von der Toplica über die Binatschka Morava zur Quelle der<lb/>
Toplica und des großen Tinot, dem entlang die Grenze bis zu seiner<lb/>
Mündung in die Donau vertiefe. Ein k. k. österreichischer Konsul habe in<lb/>
Belgrad zu wohnen. Jede wichtigere Angelegenheit, die die hohe Regierung<lb/>
dem Volke übermitteln wollte, wäre durch Seine k. k. Majestät dem Ober-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0371] Serbien und Oesterreich vor einem Jahrhundert endlich einmal Serbien mit seinen Truppen besetzen. Denn darin sah er das beste Mittel, die Frage, ob russische, französische oder österreichische Schutzherr¬ schaft, schnell und gründlich zu lösen. In Wien war man erst wirklich geneigt, mit Kam Gjorgje in Unterhandlungen zu treten, unglücklicherweise gelangte aber damals Metternich an die Spitze der Regierung, welcher in seinem Bericht vom 10. Oktober 1809 zwar die Überzeugung aussprach, daß Serbien ent¬ weder zur Türkei oder zu Österreich gehören müsse, daß aber gegenwärtig noch nicht die Zeit da sei. dies zu entscheiden und man deshalb besser täte, „allen Verwicklungen aus dem Wege zu gehen". (Es sind dies dieselben Worte, die mir 1891 Baron Passetti, erster Sektionschef im Ministerium des Äußern sagte, als sich Österreich durch meine Verhandlungen die letzte Ge¬ legenheit bot. den Kaiser von Österreich zum König von Serbien zu machen!) Nur dazu war Metternich bereit, daß Österreich seine Vermittlung zur Bei¬ legung der „Unruhen" (I) anbiete. Deshalb schrieb Kaiser Franz an Simbschen, er möge den serbischen Führern sagen, daß ihm die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Österreich und der Pforte nicht gestatten, sich tätig des serbischen Volkes anzunehmen, daß er aber mit Vergnügen bereit wäre, beiden Seiten dazu zu verhelfen, sich über die Bedingungen zu verständigen, die beide annehmen könnten. Der kaiserliche Geschäftsträger habe bereits diesbezügliche Weisungen erhalten. Mit Brief vom 29. Dezember 1809 stellte nun Kara Gjorgje seine Friedensbedingungen auf. wobei er Folgendes sagte: „In Wahrheit ist es der unaufhörliche Wunsch des serbischen Volkes, sein Glück und Wohl mit den anderen Völkern unter dem wohltätigen Szepter Österreichs zu finden." Sollten aber wirklich die Lage und die politischen Umstände sich der Erfüllung dieses Wunsches des serbischen Volkes entgegenstellen, so würde es sich in Er¬ wartung besserer und günstigerer Zeiten damit begnügen, den Türken Tribut M zahlen. Aber um den Frieden sicher und dauerhaft zu machen, bittet das serbische Volk gehorsamst und in kindlicher Ergebenheit, daß Österreich sich bei der Pforte dahin verwende, daß ein Vergleich auf folgender Grundlage ge¬ schaffen werde: Der Kaiser von Österreich müße der Schutzherr Serbiens sein; für alles, was während des Krieges geschehen ist, müße die Pforte Ver¬ zeihung und Vergessenheit gewähren; eine Erklärung, daß die Serben nicht von türkischen Steuereinnehmern geplagt werden, sondern nur den gesetzlichen Tribut zu zahlen haben; die Grenzen Serbiens hätten zu sein: von der Sava längs der Drina bis zur Limmündung. dann über Sargan und Javor zur Studenica, dieser entlang zum Kopaonik, welcher, ebenso wie Samokov. zu Serbien gehört, dann von der Toplica über die Binatschka Morava zur Quelle der Toplica und des großen Tinot, dem entlang die Grenze bis zu seiner Mündung in die Donau vertiefe. Ein k. k. österreichischer Konsul habe in Belgrad zu wohnen. Jede wichtigere Angelegenheit, die die hohe Regierung dem Volke übermitteln wollte, wäre durch Seine k. k. Majestät dem Ober-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/371
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/371>, abgerufen am 23.07.2024.