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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die russischen Finanzen

Nach dem Etat für 1906 hatten die Ausgaben für das Kriegs- und
Marineministerium ungefähr 480 Millionen Rubel betragen, im Etat von
1913 betrugen sie 870 Millionen, Rußland steigerte also innerhalb von sechs
Jahren nach dem japanischen Kriege seine Aufwendungen für militärische
Zwecke ungefähr auf das doppelte. Die Armeevorräte waren ergänzt worden,
eine teilweise Umbewaffnung und Dislokation des Heeres hatte stattgefunden,
Kasernen waren gebaut, große strategische Linien, die Amurbahn, der zweite
Strang auf der sibirischen Bahn, die Strecke Petersburg-Rassuli, die transkau¬
kasische Bahn von Kars nach Sarikamysch konnten angelegt werden. Ein großes
strategisches Eisenbahnnetz an der Westgrenze war geplant.

Die Anforderungen des Marineressorts, die bei der Duma wegen der
Lotteret im Ressort zuerst keine rechte Gegenliebe sanden, konnten ebenfalls
immerhin ganz bedeutend erhöht werden. Die Ausgaben für Schiffsbauten,
Waffenwesen, Kriegshafen betrugen in Millionen Rubel

1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913
48.7 49,7 45.7 51,5 78,7 113.9 179.4

Trotz dieser großen Aufwendungen ging Rußland, das mehrere glänzende
Ernten gehabt hatte, und dessen Budgets von Jahr zu Jahr steigende Erträge
gaben, nach dem äußeren Anschein finanziell gut gerüstet in den Krieg.

Es gab jedoch mehrere schwache Punkte im russischen Budget und im
russischen Wirtschaftsleben. Nußland ist ein Land mit passiver Zahlungsbilanz,
d. h. wenn es zur großen jährlichen Abrechnung mit seinen westeuropäischen
Geschäftsfreunden kommt, so hat Nußland selbst in den Jahren, wo es infolge
guter Ernten eine aktive Handelsbilsnz hat, an das Ausland zu zahlen.
Diese Erscheinung beruht einmal auf der außerordentlich großen Auslandsver¬
schuldung des russischen Staates, die ihn verpflichtet, mehrere hundert Millionen
Rubel*) jährlich an Schuldzinsen außer Landes zu zahlen, ferner aber darauf,
daß das Land kapitalarm und unanfgeschlossen ist.

Ein weiterer schwacher Punkt war der, daß das staatliche Brantwein-
monopol, die indirekten Steuern und die Zölle der rocker als bronxe waren,
auf dem die Einnahmequellen des Staates zum überwiegenden Teile beruhten.
Gerade die wirtschaftlichen Fortschritte, die das Land seit 1906 gemacht hatte,
prägten sich in bedenklicher Weise in den Erträgnissen des Branntweinmono¬
pols ans, die schließlich mit rund einer Millarde Rubel zu Buche standen.
Diese überragende Bedeutung einer Einnahmequelle mußte verhängnisvoll
werden, wenn sie wie im jetzigen Kriege aus militärischen und innerpolitischen
Gründen plötzlich einmal wegfiel. Der Bauer setzte also zum großen Teile
den Mehrertrag seiner Ernten in Schnaps um. Witte, der Begründer des
Monopols, hatte die Gefahr bemerkt, die in diesen Ziffern lag. In seiner
obenerwähnten Rede im Reichsrat erklärte er:



") Nach den Angaben von Dawydvw ungefähr 300 Millionen Rubel jährlich.
2t*
Die russischen Finanzen

Nach dem Etat für 1906 hatten die Ausgaben für das Kriegs- und
Marineministerium ungefähr 480 Millionen Rubel betragen, im Etat von
1913 betrugen sie 870 Millionen, Rußland steigerte also innerhalb von sechs
Jahren nach dem japanischen Kriege seine Aufwendungen für militärische
Zwecke ungefähr auf das doppelte. Die Armeevorräte waren ergänzt worden,
eine teilweise Umbewaffnung und Dislokation des Heeres hatte stattgefunden,
Kasernen waren gebaut, große strategische Linien, die Amurbahn, der zweite
Strang auf der sibirischen Bahn, die Strecke Petersburg-Rassuli, die transkau¬
kasische Bahn von Kars nach Sarikamysch konnten angelegt werden. Ein großes
strategisches Eisenbahnnetz an der Westgrenze war geplant.

Die Anforderungen des Marineressorts, die bei der Duma wegen der
Lotteret im Ressort zuerst keine rechte Gegenliebe sanden, konnten ebenfalls
immerhin ganz bedeutend erhöht werden. Die Ausgaben für Schiffsbauten,
Waffenwesen, Kriegshafen betrugen in Millionen Rubel

1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913
48.7 49,7 45.7 51,5 78,7 113.9 179.4

Trotz dieser großen Aufwendungen ging Rußland, das mehrere glänzende
Ernten gehabt hatte, und dessen Budgets von Jahr zu Jahr steigende Erträge
gaben, nach dem äußeren Anschein finanziell gut gerüstet in den Krieg.

Es gab jedoch mehrere schwache Punkte im russischen Budget und im
russischen Wirtschaftsleben. Nußland ist ein Land mit passiver Zahlungsbilanz,
d. h. wenn es zur großen jährlichen Abrechnung mit seinen westeuropäischen
Geschäftsfreunden kommt, so hat Nußland selbst in den Jahren, wo es infolge
guter Ernten eine aktive Handelsbilsnz hat, an das Ausland zu zahlen.
Diese Erscheinung beruht einmal auf der außerordentlich großen Auslandsver¬
schuldung des russischen Staates, die ihn verpflichtet, mehrere hundert Millionen
Rubel*) jährlich an Schuldzinsen außer Landes zu zahlen, ferner aber darauf,
daß das Land kapitalarm und unanfgeschlossen ist.

Ein weiterer schwacher Punkt war der, daß das staatliche Brantwein-
monopol, die indirekten Steuern und die Zölle der rocker als bronxe waren,
auf dem die Einnahmequellen des Staates zum überwiegenden Teile beruhten.
Gerade die wirtschaftlichen Fortschritte, die das Land seit 1906 gemacht hatte,
prägten sich in bedenklicher Weise in den Erträgnissen des Branntweinmono¬
pols ans, die schließlich mit rund einer Millarde Rubel zu Buche standen.
Diese überragende Bedeutung einer Einnahmequelle mußte verhängnisvoll
werden, wenn sie wie im jetzigen Kriege aus militärischen und innerpolitischen
Gründen plötzlich einmal wegfiel. Der Bauer setzte also zum großen Teile
den Mehrertrag seiner Ernten in Schnaps um. Witte, der Begründer des
Monopols, hatte die Gefahr bemerkt, die in diesen Ziffern lag. In seiner
obenerwähnten Rede im Reichsrat erklärte er:



") Nach den Angaben von Dawydvw ungefähr 300 Millionen Rubel jährlich.
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[0329] Die russischen Finanzen Nach dem Etat für 1906 hatten die Ausgaben für das Kriegs- und Marineministerium ungefähr 480 Millionen Rubel betragen, im Etat von 1913 betrugen sie 870 Millionen, Rußland steigerte also innerhalb von sechs Jahren nach dem japanischen Kriege seine Aufwendungen für militärische Zwecke ungefähr auf das doppelte. Die Armeevorräte waren ergänzt worden, eine teilweise Umbewaffnung und Dislokation des Heeres hatte stattgefunden, Kasernen waren gebaut, große strategische Linien, die Amurbahn, der zweite Strang auf der sibirischen Bahn, die Strecke Petersburg-Rassuli, die transkau¬ kasische Bahn von Kars nach Sarikamysch konnten angelegt werden. Ein großes strategisches Eisenbahnnetz an der Westgrenze war geplant. Die Anforderungen des Marineressorts, die bei der Duma wegen der Lotteret im Ressort zuerst keine rechte Gegenliebe sanden, konnten ebenfalls immerhin ganz bedeutend erhöht werden. Die Ausgaben für Schiffsbauten, Waffenwesen, Kriegshafen betrugen in Millionen Rubel 1907 1908 1909 1910 1911 1912 1913 48.7 49,7 45.7 51,5 78,7 113.9 179.4 Trotz dieser großen Aufwendungen ging Rußland, das mehrere glänzende Ernten gehabt hatte, und dessen Budgets von Jahr zu Jahr steigende Erträge gaben, nach dem äußeren Anschein finanziell gut gerüstet in den Krieg. Es gab jedoch mehrere schwache Punkte im russischen Budget und im russischen Wirtschaftsleben. Nußland ist ein Land mit passiver Zahlungsbilanz, d. h. wenn es zur großen jährlichen Abrechnung mit seinen westeuropäischen Geschäftsfreunden kommt, so hat Nußland selbst in den Jahren, wo es infolge guter Ernten eine aktive Handelsbilsnz hat, an das Ausland zu zahlen. Diese Erscheinung beruht einmal auf der außerordentlich großen Auslandsver¬ schuldung des russischen Staates, die ihn verpflichtet, mehrere hundert Millionen Rubel*) jährlich an Schuldzinsen außer Landes zu zahlen, ferner aber darauf, daß das Land kapitalarm und unanfgeschlossen ist. Ein weiterer schwacher Punkt war der, daß das staatliche Brantwein- monopol, die indirekten Steuern und die Zölle der rocker als bronxe waren, auf dem die Einnahmequellen des Staates zum überwiegenden Teile beruhten. Gerade die wirtschaftlichen Fortschritte, die das Land seit 1906 gemacht hatte, prägten sich in bedenklicher Weise in den Erträgnissen des Branntweinmono¬ pols ans, die schließlich mit rund einer Millarde Rubel zu Buche standen. Diese überragende Bedeutung einer Einnahmequelle mußte verhängnisvoll werden, wenn sie wie im jetzigen Kriege aus militärischen und innerpolitischen Gründen plötzlich einmal wegfiel. Der Bauer setzte also zum großen Teile den Mehrertrag seiner Ernten in Schnaps um. Witte, der Begründer des Monopols, hatte die Gefahr bemerkt, die in diesen Ziffern lag. In seiner obenerwähnten Rede im Reichsrat erklärte er: ") Nach den Angaben von Dawydvw ungefähr 300 Millionen Rubel jährlich. 2t*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/329>, abgerufen am 28.12.2024.