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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam

Andererseits halte Deutschland in der Türkei von Jahr zu Jahr mehr
wirtschaftliche Interessen erworben, die die politischen nach sich zogen. Nur
im türkischen Reiche waren diese wirtschaftlichen Interessen geschützt, Deutschland
gewann Interesse an der Fortdauer der Türkei. Demnach mußte dieses in
Deutschland seinen natürlichen Verbündeten sehen. So fanden sich beide zu¬
sammen.

Es blieb nur noch übrig, daß der alte Bundesgenosse der Türkei, England,
von ihr abrückte. Der Grund war hier derselbe wie für Frankreich. England
konnte die russische Bundesgenossenschaft nicht gewinnen, wenn es den Russen
nicht die Meerengen preisgab. Seine Stellung im Mittelmeere glaubte es
trotzdem behaupten zu können.

So löste die Feindschaft gegen Deutschland, die die russische Bundesgenossen¬
schaft nicht zu entbehren können glaubte, die alten englischfranzösischen Be¬
ziehungen zur Vormacht des Islam. In diese Lücke trat Deutschland ein.
Das politische Bündnis ist ein um so engeres, als es auf engster Interessen¬
gemeinschaft beruht. Beide Staaten sind auf Gedeih und Verderb auf einander
angewiesen. Mit Deutschland würde auch die Türkei gefallen sein. Und der
Sieg der Mittelmächte bildet die Gewähr für den Fortbestand des türkischen Reiches.

Kein Vorwurf ist daher unberechtigter als der, daß Deutschland und seine
christlichen Verbündeten sich mit den Feinden des Christentums verbunden haben,
ein Vorwurf, den noch der Zar Nikolaus der Zweite in seiner letzten Proklamation
über Bulgarien wiederholt. Die Türken lassen die Christen, soweit sie nicht
als türkische Untertanen ihre Pflichten verletzen, ebenso nach ihrer Fasson selig
werden wie wir die Muhamedaner. Und schon längst hatten die Türkei ihre
alten Verbündeten England und Frankreich in die Völkerrechtsgemeinschaft ein¬
geführt. Jedenfalls sind die Türken ein zivilisiertes Volk im Sinne der
europäischen Kultur, was man von Scmgalnegern, Kaffern, Gurkas und ähnlichen
interessanten Völkern gerade nicht sagen kann.




Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam

Andererseits halte Deutschland in der Türkei von Jahr zu Jahr mehr
wirtschaftliche Interessen erworben, die die politischen nach sich zogen. Nur
im türkischen Reiche waren diese wirtschaftlichen Interessen geschützt, Deutschland
gewann Interesse an der Fortdauer der Türkei. Demnach mußte dieses in
Deutschland seinen natürlichen Verbündeten sehen. So fanden sich beide zu¬
sammen.

Es blieb nur noch übrig, daß der alte Bundesgenosse der Türkei, England,
von ihr abrückte. Der Grund war hier derselbe wie für Frankreich. England
konnte die russische Bundesgenossenschaft nicht gewinnen, wenn es den Russen
nicht die Meerengen preisgab. Seine Stellung im Mittelmeere glaubte es
trotzdem behaupten zu können.

So löste die Feindschaft gegen Deutschland, die die russische Bundesgenossen¬
schaft nicht zu entbehren können glaubte, die alten englischfranzösischen Be¬
ziehungen zur Vormacht des Islam. In diese Lücke trat Deutschland ein.
Das politische Bündnis ist ein um so engeres, als es auf engster Interessen¬
gemeinschaft beruht. Beide Staaten sind auf Gedeih und Verderb auf einander
angewiesen. Mit Deutschland würde auch die Türkei gefallen sein. Und der
Sieg der Mittelmächte bildet die Gewähr für den Fortbestand des türkischen Reiches.

Kein Vorwurf ist daher unberechtigter als der, daß Deutschland und seine
christlichen Verbündeten sich mit den Feinden des Christentums verbunden haben,
ein Vorwurf, den noch der Zar Nikolaus der Zweite in seiner letzten Proklamation
über Bulgarien wiederholt. Die Türken lassen die Christen, soweit sie nicht
als türkische Untertanen ihre Pflichten verletzen, ebenso nach ihrer Fasson selig
werden wie wir die Muhamedaner. Und schon längst hatten die Türkei ihre
alten Verbündeten England und Frankreich in die Völkerrechtsgemeinschaft ein¬
geführt. Jedenfalls sind die Türken ein zivilisiertes Volk im Sinne der
europäischen Kultur, was man von Scmgalnegern, Kaffern, Gurkas und ähnlichen
interessanten Völkern gerade nicht sagen kann.




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[0274] Die politischen Beziehungen zwischen Christentum und Islam Andererseits halte Deutschland in der Türkei von Jahr zu Jahr mehr wirtschaftliche Interessen erworben, die die politischen nach sich zogen. Nur im türkischen Reiche waren diese wirtschaftlichen Interessen geschützt, Deutschland gewann Interesse an der Fortdauer der Türkei. Demnach mußte dieses in Deutschland seinen natürlichen Verbündeten sehen. So fanden sich beide zu¬ sammen. Es blieb nur noch übrig, daß der alte Bundesgenosse der Türkei, England, von ihr abrückte. Der Grund war hier derselbe wie für Frankreich. England konnte die russische Bundesgenossenschaft nicht gewinnen, wenn es den Russen nicht die Meerengen preisgab. Seine Stellung im Mittelmeere glaubte es trotzdem behaupten zu können. So löste die Feindschaft gegen Deutschland, die die russische Bundesgenossen¬ schaft nicht zu entbehren können glaubte, die alten englischfranzösischen Be¬ ziehungen zur Vormacht des Islam. In diese Lücke trat Deutschland ein. Das politische Bündnis ist ein um so engeres, als es auf engster Interessen¬ gemeinschaft beruht. Beide Staaten sind auf Gedeih und Verderb auf einander angewiesen. Mit Deutschland würde auch die Türkei gefallen sein. Und der Sieg der Mittelmächte bildet die Gewähr für den Fortbestand des türkischen Reiches. Kein Vorwurf ist daher unberechtigter als der, daß Deutschland und seine christlichen Verbündeten sich mit den Feinden des Christentums verbunden haben, ein Vorwurf, den noch der Zar Nikolaus der Zweite in seiner letzten Proklamation über Bulgarien wiederholt. Die Türken lassen die Christen, soweit sie nicht als türkische Untertanen ihre Pflichten verletzen, ebenso nach ihrer Fasson selig werden wie wir die Muhamedaner. Und schon längst hatten die Türkei ihre alten Verbündeten England und Frankreich in die Völkerrechtsgemeinschaft ein¬ geführt. Jedenfalls sind die Türken ein zivilisiertes Volk im Sinne der europäischen Kultur, was man von Scmgalnegern, Kaffern, Gurkas und ähnlichen interessanten Völkern gerade nicht sagen kann.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/274>, abgerufen am 22.07.2024.