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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Aufgaben der Elektrotechnik im Kriege

heuerlich und unmöglich gegolten hat, sind auf den Plan getreten, neue
Methoden erdacht, um die bis dahin als wertlos angesehenen und dem Ver¬
derb preisgegebenen Stoffe in eine brauchbare Form zu bringen.

Wohl auf keinem anderen Gebiete der menschlichen Geistestätigkeit trat
eine so gewaltige Umwälzung ein, wie auf dem Gebiete der Elektrotechnik.
Wie durch ein Erdbeben wurde der bisher unerschütterlich gedachte Bau der
Elektrotechnik ins Wanken gebracht, alte, dem Elektrotechniker in Fleisch und
Blut übergegangene Grundsätze stürzten in sich zusammen und wurden durch
neue ersetzt, deren Umsetzung in die Praxis bis jetzt für unmöglich galt. Wer
hätte auch vor Jahresfrist daran gedacht, daß die Elektrotechnik ohne die für
sie wichtigsten Rohstoffe, wie Kupfer und Gummi, bestehen könnte? Als die
Blockade über Deutschlands Küsten verhängt wurde und das seemächtige Eng¬
land die Kontrolle über den Handel der neutralen Staaten übernahm,
dachten überängstliche Gemüter, die letzte Stunde der deutschen elektrischen
Industrie hätte geschlagen. Zum Glück ist der Fortschritt nicht an verüngstete
Seelen gefesselt, sondern an Menschen, die in der Not zu handeln verstehen
und den Mut haben, mit althergebrachten Anschauungen zu brechen und Neues,
Zeitgemäßes zu schaffen vermögen. Das Wirken dieser Menschen, die man
ruhig neben den Helden der Schlachtfelder nennen darf, ist umso anerkennens¬
werter, weil sie oft in Ermangelung gewöhnter Hilfskräfte die riesige Arbeit
fast selbst bewältigen mußten. Die bis vor Kriegsansbruch übliche Arbeits¬
teilung, welche die Grundlage unseres Wirtschaftslebens bildet, mußte von dem
Moment ab, als die Tausende von Ingenieuren und Arbeitern, dem Rufe des
Vaterlandes folgend, in's Feld zogen, eine gründliche Neuorientierung erfahren.
Eingearbeitete, mit ihrem Fach gründlich vertraute Kräfte mußten dnrch neue,
unerfahrene ersetzt werden, und wenn auch anfänglich die als unersetzlich be¬
zeichneten Heerespflichtigen frei gelassen wurden, so mußten sie später doch den
ihnen zugewiesenen Platz im Schützengraben oder bei den Geschützen einnehmen.

Trotz aller Schwierigkeiten, die der Elektrotechnik in den Weg gelegt
wurden, hat sie es verstanden, sich zu behaupten und nicht nur die Bedürfnisse
von Heer und Marine an elektrotechnischen Erzeugnissen zu befriedigen, sondern
durch Lieferungen an private Unternehmungen zur Aufrechterhaltung des wirt¬
schaftlichen Lebens beizutragen. Unermeßlich sind die Anforderungen, die der
Krieg an die elektrische Industrie stellt. Fast unbegrenzt sind die Verwendungs¬
möglichkeiten der Elektrizität im Kriege. Eine Kriegsführung im heutigen
Sinne ohne sie wäre schlechthin undenkbar. Nur unserer hochentwickelten
elektrischen Industrie, gepaart mit dem vom patriotischen Feuer durchglühten
Gewerbefleiß verdanken wir es, daß wir, von der Einfuhr aus dem Auslande
abgeschnitten, unseren Heeresbedarf selbst herstellen, mit einer Schnelligkeit,
einer Genauigkeit und Fülle erzeugen konnten, die das Staunen der ganzen
Welt und nicht zuletzt der feindlichen erregt.

Es würde zu weit führen und den Rahmen dieses Aufsatzes weit über-


Aufgaben der Elektrotechnik im Kriege

heuerlich und unmöglich gegolten hat, sind auf den Plan getreten, neue
Methoden erdacht, um die bis dahin als wertlos angesehenen und dem Ver¬
derb preisgegebenen Stoffe in eine brauchbare Form zu bringen.

Wohl auf keinem anderen Gebiete der menschlichen Geistestätigkeit trat
eine so gewaltige Umwälzung ein, wie auf dem Gebiete der Elektrotechnik.
Wie durch ein Erdbeben wurde der bisher unerschütterlich gedachte Bau der
Elektrotechnik ins Wanken gebracht, alte, dem Elektrotechniker in Fleisch und
Blut übergegangene Grundsätze stürzten in sich zusammen und wurden durch
neue ersetzt, deren Umsetzung in die Praxis bis jetzt für unmöglich galt. Wer
hätte auch vor Jahresfrist daran gedacht, daß die Elektrotechnik ohne die für
sie wichtigsten Rohstoffe, wie Kupfer und Gummi, bestehen könnte? Als die
Blockade über Deutschlands Küsten verhängt wurde und das seemächtige Eng¬
land die Kontrolle über den Handel der neutralen Staaten übernahm,
dachten überängstliche Gemüter, die letzte Stunde der deutschen elektrischen
Industrie hätte geschlagen. Zum Glück ist der Fortschritt nicht an verüngstete
Seelen gefesselt, sondern an Menschen, die in der Not zu handeln verstehen
und den Mut haben, mit althergebrachten Anschauungen zu brechen und Neues,
Zeitgemäßes zu schaffen vermögen. Das Wirken dieser Menschen, die man
ruhig neben den Helden der Schlachtfelder nennen darf, ist umso anerkennens¬
werter, weil sie oft in Ermangelung gewöhnter Hilfskräfte die riesige Arbeit
fast selbst bewältigen mußten. Die bis vor Kriegsansbruch übliche Arbeits¬
teilung, welche die Grundlage unseres Wirtschaftslebens bildet, mußte von dem
Moment ab, als die Tausende von Ingenieuren und Arbeitern, dem Rufe des
Vaterlandes folgend, in's Feld zogen, eine gründliche Neuorientierung erfahren.
Eingearbeitete, mit ihrem Fach gründlich vertraute Kräfte mußten dnrch neue,
unerfahrene ersetzt werden, und wenn auch anfänglich die als unersetzlich be¬
zeichneten Heerespflichtigen frei gelassen wurden, so mußten sie später doch den
ihnen zugewiesenen Platz im Schützengraben oder bei den Geschützen einnehmen.

Trotz aller Schwierigkeiten, die der Elektrotechnik in den Weg gelegt
wurden, hat sie es verstanden, sich zu behaupten und nicht nur die Bedürfnisse
von Heer und Marine an elektrotechnischen Erzeugnissen zu befriedigen, sondern
durch Lieferungen an private Unternehmungen zur Aufrechterhaltung des wirt¬
schaftlichen Lebens beizutragen. Unermeßlich sind die Anforderungen, die der
Krieg an die elektrische Industrie stellt. Fast unbegrenzt sind die Verwendungs¬
möglichkeiten der Elektrizität im Kriege. Eine Kriegsführung im heutigen
Sinne ohne sie wäre schlechthin undenkbar. Nur unserer hochentwickelten
elektrischen Industrie, gepaart mit dem vom patriotischen Feuer durchglühten
Gewerbefleiß verdanken wir es, daß wir, von der Einfuhr aus dem Auslande
abgeschnitten, unseren Heeresbedarf selbst herstellen, mit einer Schnelligkeit,
einer Genauigkeit und Fülle erzeugen konnten, die das Staunen der ganzen
Welt und nicht zuletzt der feindlichen erregt.

Es würde zu weit führen und den Rahmen dieses Aufsatzes weit über-


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[0246] Aufgaben der Elektrotechnik im Kriege heuerlich und unmöglich gegolten hat, sind auf den Plan getreten, neue Methoden erdacht, um die bis dahin als wertlos angesehenen und dem Ver¬ derb preisgegebenen Stoffe in eine brauchbare Form zu bringen. Wohl auf keinem anderen Gebiete der menschlichen Geistestätigkeit trat eine so gewaltige Umwälzung ein, wie auf dem Gebiete der Elektrotechnik. Wie durch ein Erdbeben wurde der bisher unerschütterlich gedachte Bau der Elektrotechnik ins Wanken gebracht, alte, dem Elektrotechniker in Fleisch und Blut übergegangene Grundsätze stürzten in sich zusammen und wurden durch neue ersetzt, deren Umsetzung in die Praxis bis jetzt für unmöglich galt. Wer hätte auch vor Jahresfrist daran gedacht, daß die Elektrotechnik ohne die für sie wichtigsten Rohstoffe, wie Kupfer und Gummi, bestehen könnte? Als die Blockade über Deutschlands Küsten verhängt wurde und das seemächtige Eng¬ land die Kontrolle über den Handel der neutralen Staaten übernahm, dachten überängstliche Gemüter, die letzte Stunde der deutschen elektrischen Industrie hätte geschlagen. Zum Glück ist der Fortschritt nicht an verüngstete Seelen gefesselt, sondern an Menschen, die in der Not zu handeln verstehen und den Mut haben, mit althergebrachten Anschauungen zu brechen und Neues, Zeitgemäßes zu schaffen vermögen. Das Wirken dieser Menschen, die man ruhig neben den Helden der Schlachtfelder nennen darf, ist umso anerkennens¬ werter, weil sie oft in Ermangelung gewöhnter Hilfskräfte die riesige Arbeit fast selbst bewältigen mußten. Die bis vor Kriegsansbruch übliche Arbeits¬ teilung, welche die Grundlage unseres Wirtschaftslebens bildet, mußte von dem Moment ab, als die Tausende von Ingenieuren und Arbeitern, dem Rufe des Vaterlandes folgend, in's Feld zogen, eine gründliche Neuorientierung erfahren. Eingearbeitete, mit ihrem Fach gründlich vertraute Kräfte mußten dnrch neue, unerfahrene ersetzt werden, und wenn auch anfänglich die als unersetzlich be¬ zeichneten Heerespflichtigen frei gelassen wurden, so mußten sie später doch den ihnen zugewiesenen Platz im Schützengraben oder bei den Geschützen einnehmen. Trotz aller Schwierigkeiten, die der Elektrotechnik in den Weg gelegt wurden, hat sie es verstanden, sich zu behaupten und nicht nur die Bedürfnisse von Heer und Marine an elektrotechnischen Erzeugnissen zu befriedigen, sondern durch Lieferungen an private Unternehmungen zur Aufrechterhaltung des wirt¬ schaftlichen Lebens beizutragen. Unermeßlich sind die Anforderungen, die der Krieg an die elektrische Industrie stellt. Fast unbegrenzt sind die Verwendungs¬ möglichkeiten der Elektrizität im Kriege. Eine Kriegsführung im heutigen Sinne ohne sie wäre schlechthin undenkbar. Nur unserer hochentwickelten elektrischen Industrie, gepaart mit dem vom patriotischen Feuer durchglühten Gewerbefleiß verdanken wir es, daß wir, von der Einfuhr aus dem Auslande abgeschnitten, unseren Heeresbedarf selbst herstellen, mit einer Schnelligkeit, einer Genauigkeit und Fülle erzeugen konnten, die das Staunen der ganzen Welt und nicht zuletzt der feindlichen erregt. Es würde zu weit führen und den Rahmen dieses Aufsatzes weit über-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/246>, abgerufen am 24.08.2024.