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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Das deutsche Volkserwachen i" "Oesterreich

seit 1860 die Ideen des "Deutschen Nationalvereines" (Koburg) vertraten und
sich ihm 1863 als Mitglieder anschlössen. In den Tagen des deutschen Fürsten-
kongresses (August 1863) war eine von oben sehr begünstigte Hochflut des deutschen
Gedankens; deutsche Feste häuften sich, das Publikum sang begeistert deutsche
Lieder und Wien prangte wiederholt in schwarz-rot-goldenem Flaggenschmucke.
Die großdeutschen Dichter Rückert, Hebbel und Richard Wagner erfreuten sich
in Österreich einer Beliebtheit, die sich gut neben der Schillers sehen lassen
konnte. Auch die Schleswig-holsteinische Bewegung faßte hier Boden; man
feierte am 3. Juni 1863 Hebbel nicht nur als Verfasser der nationaldeutschen
Nibelungentrilogie und als Sprecher des damals oft zitierten Wortes "Selbst
die Vedientenvölker heben ihr struppig Kariatydenhaupt", sondern als gebürtigen
Holsteiner. Dieser Kommers arbeitete der Schleswig-holsteinischen Bewegung
äußerst wirksam vor; der Professor Lorenz von Stein und die Studenten
Hößlinger und Piffl hatten die Zukunftsfrage der albingischen Herzogtümer bei
der Hebbelehrung vorsichtig gestreift; so daß der Name "Schleswig-Holstein"
den gebildeten Kreisen Deutschösterreichs etwas geläufiger wurde. Die großen
Körner- und Völkerschlachtfeiern verdichteten den großdeutschen Überschwang;
in Österreich war damals vom Kaiser an alles großdeutsch, das heißt, es
wünschte einen großdeutschen Staatenbund mit habsburgischer Spitze. Klein¬
deutsche gab es in Osterreich seit 1848 vereinzelt, so den Historiker Springer, Hof¬
dramaturgen Laube sowie seit 1860 die nachmaligen berühmten ProfessorenWilhelm
Scherer und Heinrich Brunner; dieser trat schon 1864 für die preußische Spitze in
einem kleindeutschen Bundesstaate mit völkerrechtlich angeschlossenen Österreich,
so wie es 1879 in Erfüllung ging, ein. Zu diesem Kreise zählten auch die Künstler
Bitterlich, Eisenmenger und Griepenkerl sowie einige Turner, unter ihnen
Dr. Julius Krickl. Doch der großdeutsche Überschwang ebbte ab, als der Fürsten¬
tag im August 1863 mit einem Fiasko endete, das man gemeiniglich Bismarck,
damals wohl dem bestgehaßten Manne in Deutschösterreich, zuschrieb.

Für die nationale Partei war es aber nur ein Vorteil, daß die seit 1862
betriebene künstliche Züchtung des Großdeutschtums ein Ende nahm. Ende
November 1863 geriet die Schleswig-holsteinische Angelegenheit in Fluß; was
daran Anteil nahm -- und es war nicht so wenig -- war augustenburgisch
gesinnt; für diesen Herzog stellten die Deutschösterreicher sogar Freischaren auf,
die nach preußischem Muster einexerziert wurden. Emissäre des deutschen
Nationalvereins wirkten hier für den Befreiungsgedanken und bei den Turnern
und Burschenschaftern fanden sie den gewünschten Anhang. Die Großösterreicher
aber waren gegen eine Teilnahme Österreichs an der Schleswig-holsteinischen
Aktion, weil sie darin einen hervorquellenden Konflikt zwischen Preußen und
Österreich ahnten. Nur die Alpenländler, unter Führung Dr. Rechbauers aus
Graz, setzten sich schon aus nationalen Gründen für die Befreiung tapfer ein;
im Parlament kam es zu einer vielbemerkten Szene, als der Salzburger
Abgeordnete Gschnitzer rief: "Es handelt sich nicht um den Augustenburger


Das deutsche Volkserwachen i» «Oesterreich

seit 1860 die Ideen des „Deutschen Nationalvereines" (Koburg) vertraten und
sich ihm 1863 als Mitglieder anschlössen. In den Tagen des deutschen Fürsten-
kongresses (August 1863) war eine von oben sehr begünstigte Hochflut des deutschen
Gedankens; deutsche Feste häuften sich, das Publikum sang begeistert deutsche
Lieder und Wien prangte wiederholt in schwarz-rot-goldenem Flaggenschmucke.
Die großdeutschen Dichter Rückert, Hebbel und Richard Wagner erfreuten sich
in Österreich einer Beliebtheit, die sich gut neben der Schillers sehen lassen
konnte. Auch die Schleswig-holsteinische Bewegung faßte hier Boden; man
feierte am 3. Juni 1863 Hebbel nicht nur als Verfasser der nationaldeutschen
Nibelungentrilogie und als Sprecher des damals oft zitierten Wortes „Selbst
die Vedientenvölker heben ihr struppig Kariatydenhaupt", sondern als gebürtigen
Holsteiner. Dieser Kommers arbeitete der Schleswig-holsteinischen Bewegung
äußerst wirksam vor; der Professor Lorenz von Stein und die Studenten
Hößlinger und Piffl hatten die Zukunftsfrage der albingischen Herzogtümer bei
der Hebbelehrung vorsichtig gestreift; so daß der Name „Schleswig-Holstein"
den gebildeten Kreisen Deutschösterreichs etwas geläufiger wurde. Die großen
Körner- und Völkerschlachtfeiern verdichteten den großdeutschen Überschwang;
in Österreich war damals vom Kaiser an alles großdeutsch, das heißt, es
wünschte einen großdeutschen Staatenbund mit habsburgischer Spitze. Klein¬
deutsche gab es in Osterreich seit 1848 vereinzelt, so den Historiker Springer, Hof¬
dramaturgen Laube sowie seit 1860 die nachmaligen berühmten ProfessorenWilhelm
Scherer und Heinrich Brunner; dieser trat schon 1864 für die preußische Spitze in
einem kleindeutschen Bundesstaate mit völkerrechtlich angeschlossenen Österreich,
so wie es 1879 in Erfüllung ging, ein. Zu diesem Kreise zählten auch die Künstler
Bitterlich, Eisenmenger und Griepenkerl sowie einige Turner, unter ihnen
Dr. Julius Krickl. Doch der großdeutsche Überschwang ebbte ab, als der Fürsten¬
tag im August 1863 mit einem Fiasko endete, das man gemeiniglich Bismarck,
damals wohl dem bestgehaßten Manne in Deutschösterreich, zuschrieb.

Für die nationale Partei war es aber nur ein Vorteil, daß die seit 1862
betriebene künstliche Züchtung des Großdeutschtums ein Ende nahm. Ende
November 1863 geriet die Schleswig-holsteinische Angelegenheit in Fluß; was
daran Anteil nahm — und es war nicht so wenig — war augustenburgisch
gesinnt; für diesen Herzog stellten die Deutschösterreicher sogar Freischaren auf,
die nach preußischem Muster einexerziert wurden. Emissäre des deutschen
Nationalvereins wirkten hier für den Befreiungsgedanken und bei den Turnern
und Burschenschaftern fanden sie den gewünschten Anhang. Die Großösterreicher
aber waren gegen eine Teilnahme Österreichs an der Schleswig-holsteinischen
Aktion, weil sie darin einen hervorquellenden Konflikt zwischen Preußen und
Österreich ahnten. Nur die Alpenländler, unter Führung Dr. Rechbauers aus
Graz, setzten sich schon aus nationalen Gründen für die Befreiung tapfer ein;
im Parlament kam es zu einer vielbemerkten Szene, als der Salzburger
Abgeordnete Gschnitzer rief: „Es handelt sich nicht um den Augustenburger


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/24>, abgerufen am 24.08.2024.