Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das deutsche volkserwachcn in Oesterreich

Recht stolz sein könne, möge eine Bürgschaft für des deutschen Volkes bessere
Zukunft sein. An die letzten Worte des sterbenden Dichters gemahnend, betonte
der Redner, daß dem hellsehender Geiste Schillers noch am Totenbett die Größe
und Zukunft seiner damals in tiefer Erniedrigung schmachtenden Nation vor¬
schwebte und darum auch das seinen unsterblichen Manen geweihte Fest ein
bedeutsames Zeichen des in Osterreich erwachten deutschen Volksbewußtseins sei
und eine günstige Vorbedeutung der erwünschten Einigung werden möge. Im
Vollgefühl nationaler Begeisterung jubelte Hermann von Gilm, Tirols ver"
folgungs gestählter Dichter:

und jauchzend fiel der gräfliche Poet mit dem schlichtbürgerlichen Namen ein:

Friedrich Halm aber dichtete ein Festspiel "Vor hundert Jahren", das einen
hellen nationalen Ton anschlug.

Die Zeit der deutschen Einigung nahte mit Riesenschritten. Die
Schlagwörter des Jahres 1848 "Einheit und Freiheit" klangen nun den
Mächtigen und Großen immer mehr in die Ohren, sie drangen aus dem
phantasicgeschwängerten Grunde leichtverhallender Reden und leichtvergessener
Aufsätze in das Bürgertum. Immer voller klang der Chorus der einst ver¬
folgten deutschen Freiheitsmänner und in vollen Akkorden setzte berauschend die
Einheitsharmonie aller deutschen Stämme ein; auf Turm-, Sänger-, Künstler-
und Schützenfesten in großen und kleinen Städten widerhallte sie in vertausend¬
fachen! Orchester. All die konfessionellen Streitigkeiten, die Deutschland in den
Bann dreihundertjähriger Zerissenheit gelockt hatten, die lächerlichen Kleinigkeiten
dynastisch - partikularistischer Zänkerein hatten nun endlich aufgehört, dis¬
harmonierend die deutsche Geschichte zu durchschritten. Schon die Proklamation
Kaiser Franz Josefs hatte im Hinblick auf die französischen Bedrohungen am
28. April 1859 ganz nationale Töne angeschlagen; schon damals war das
Heimatland des Chauvinismus und des Champagners jene Macht, die fort und
fort Deutschland nicht zur Ruhe kommen und die Ihren das bekannte "Bis zur
Rheingrenze" schreien ließ, als wäre jenseits des Rheins kein deutsches Land
mehr. Freilich die Geschicke eiserner Notwendigkeit ließen bald Norditalien,
dieses Grab germanischer Altvorderer, an den Feind im Westen fallen und der
gallische Hahn spreizte noch mehr denn je sein schillerndes Gefieder, um sprung¬
bereit Deutschland anzufallen, wenn es ihm beliebte.

Doch ging vorläufig die nationale Einheitsbewegung Deutschlands den geruhigen
Weg der Kommerse weiter; in Osterreich entstanden die lange verbotenen Turnvereine
und Burschenschafter als Horte der deutschen Einheitsbewegung, deren Angehörige-


Das deutsche volkserwachcn in Oesterreich

Recht stolz sein könne, möge eine Bürgschaft für des deutschen Volkes bessere
Zukunft sein. An die letzten Worte des sterbenden Dichters gemahnend, betonte
der Redner, daß dem hellsehender Geiste Schillers noch am Totenbett die Größe
und Zukunft seiner damals in tiefer Erniedrigung schmachtenden Nation vor¬
schwebte und darum auch das seinen unsterblichen Manen geweihte Fest ein
bedeutsames Zeichen des in Osterreich erwachten deutschen Volksbewußtseins sei
und eine günstige Vorbedeutung der erwünschten Einigung werden möge. Im
Vollgefühl nationaler Begeisterung jubelte Hermann von Gilm, Tirols ver»
folgungs gestählter Dichter:

und jauchzend fiel der gräfliche Poet mit dem schlichtbürgerlichen Namen ein:

Friedrich Halm aber dichtete ein Festspiel „Vor hundert Jahren", das einen
hellen nationalen Ton anschlug.

Die Zeit der deutschen Einigung nahte mit Riesenschritten. Die
Schlagwörter des Jahres 1848 „Einheit und Freiheit" klangen nun den
Mächtigen und Großen immer mehr in die Ohren, sie drangen aus dem
phantasicgeschwängerten Grunde leichtverhallender Reden und leichtvergessener
Aufsätze in das Bürgertum. Immer voller klang der Chorus der einst ver¬
folgten deutschen Freiheitsmänner und in vollen Akkorden setzte berauschend die
Einheitsharmonie aller deutschen Stämme ein; auf Turm-, Sänger-, Künstler-
und Schützenfesten in großen und kleinen Städten widerhallte sie in vertausend¬
fachen! Orchester. All die konfessionellen Streitigkeiten, die Deutschland in den
Bann dreihundertjähriger Zerissenheit gelockt hatten, die lächerlichen Kleinigkeiten
dynastisch - partikularistischer Zänkerein hatten nun endlich aufgehört, dis¬
harmonierend die deutsche Geschichte zu durchschritten. Schon die Proklamation
Kaiser Franz Josefs hatte im Hinblick auf die französischen Bedrohungen am
28. April 1859 ganz nationale Töne angeschlagen; schon damals war das
Heimatland des Chauvinismus und des Champagners jene Macht, die fort und
fort Deutschland nicht zur Ruhe kommen und die Ihren das bekannte „Bis zur
Rheingrenze" schreien ließ, als wäre jenseits des Rheins kein deutsches Land
mehr. Freilich die Geschicke eiserner Notwendigkeit ließen bald Norditalien,
dieses Grab germanischer Altvorderer, an den Feind im Westen fallen und der
gallische Hahn spreizte noch mehr denn je sein schillerndes Gefieder, um sprung¬
bereit Deutschland anzufallen, wenn es ihm beliebte.

Doch ging vorläufig die nationale Einheitsbewegung Deutschlands den geruhigen
Weg der Kommerse weiter; in Osterreich entstanden die lange verbotenen Turnvereine
und Burschenschafter als Horte der deutschen Einheitsbewegung, deren Angehörige-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0023" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324432"/>
          <fw type="header" place="top"> Das deutsche volkserwachcn in Oesterreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_36" prev="#ID_35" next="#ID_37"> Recht stolz sein könne, möge eine Bürgschaft für des deutschen Volkes bessere<lb/>
Zukunft sein. An die letzten Worte des sterbenden Dichters gemahnend, betonte<lb/>
der Redner, daß dem hellsehender Geiste Schillers noch am Totenbett die Größe<lb/>
und Zukunft seiner damals in tiefer Erniedrigung schmachtenden Nation vor¬<lb/>
schwebte und darum auch das seinen unsterblichen Manen geweihte Fest ein<lb/>
bedeutsames Zeichen des in Osterreich erwachten deutschen Volksbewußtseins sei<lb/>
und eine günstige Vorbedeutung der erwünschten Einigung werden möge. Im<lb/>
Vollgefühl nationaler Begeisterung jubelte Hermann von Gilm, Tirols ver»<lb/>
folgungs gestählter Dichter:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_1" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_37" prev="#ID_36" next="#ID_38"> und jauchzend fiel der gräfliche Poet mit dem schlichtbürgerlichen Namen ein:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_2" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_38" prev="#ID_37"> Friedrich Halm aber dichtete ein Festspiel &#x201E;Vor hundert Jahren", das einen<lb/>
hellen nationalen Ton anschlug.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_39"> Die Zeit  der  deutschen  Einigung nahte  mit  Riesenschritten. Die<lb/>
Schlagwörter des Jahres 1848 &#x201E;Einheit und Freiheit" klangen nun den<lb/>
Mächtigen und Großen immer mehr in die Ohren, sie drangen aus dem<lb/>
phantasicgeschwängerten Grunde leichtverhallender Reden und leichtvergessener<lb/>
Aufsätze in das Bürgertum.  Immer voller klang der Chorus der einst ver¬<lb/>
folgten deutschen Freiheitsmänner und in vollen Akkorden setzte berauschend die<lb/>
Einheitsharmonie aller deutschen Stämme ein; auf Turm-, Sänger-, Künstler-<lb/>
und Schützenfesten in großen und kleinen Städten widerhallte sie in vertausend¬<lb/>
fachen! Orchester.  All die konfessionellen Streitigkeiten, die Deutschland in den<lb/>
Bann dreihundertjähriger Zerissenheit gelockt hatten, die lächerlichen Kleinigkeiten<lb/>
dynastisch - partikularistischer Zänkerein hatten nun  endlich  aufgehört, dis¬<lb/>
harmonierend die deutsche Geschichte zu durchschritten.  Schon die Proklamation<lb/>
Kaiser Franz Josefs hatte im Hinblick auf die französischen Bedrohungen am<lb/>
28. April 1859 ganz nationale Töne angeschlagen; schon damals war das<lb/>
Heimatland des Chauvinismus und des Champagners jene Macht, die fort und<lb/>
fort Deutschland nicht zur Ruhe kommen und die Ihren das bekannte &#x201E;Bis zur<lb/>
Rheingrenze" schreien ließ, als wäre jenseits des Rheins kein deutsches Land<lb/>
mehr.  Freilich die Geschicke eiserner Notwendigkeit ließen bald Norditalien,<lb/>
dieses Grab germanischer Altvorderer, an den Feind im Westen fallen und der<lb/>
gallische Hahn spreizte noch mehr denn je sein schillerndes Gefieder, um sprung¬<lb/>
bereit Deutschland anzufallen, wenn es ihm beliebte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_40" next="#ID_41"> Doch ging vorläufig die nationale Einheitsbewegung Deutschlands den geruhigen<lb/>
Weg der Kommerse weiter; in Osterreich entstanden die lange verbotenen Turnvereine<lb/>
und Burschenschafter als Horte der deutschen Einheitsbewegung, deren Angehörige-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0023] Das deutsche volkserwachcn in Oesterreich Recht stolz sein könne, möge eine Bürgschaft für des deutschen Volkes bessere Zukunft sein. An die letzten Worte des sterbenden Dichters gemahnend, betonte der Redner, daß dem hellsehender Geiste Schillers noch am Totenbett die Größe und Zukunft seiner damals in tiefer Erniedrigung schmachtenden Nation vor¬ schwebte und darum auch das seinen unsterblichen Manen geweihte Fest ein bedeutsames Zeichen des in Osterreich erwachten deutschen Volksbewußtseins sei und eine günstige Vorbedeutung der erwünschten Einigung werden möge. Im Vollgefühl nationaler Begeisterung jubelte Hermann von Gilm, Tirols ver» folgungs gestählter Dichter: und jauchzend fiel der gräfliche Poet mit dem schlichtbürgerlichen Namen ein: Friedrich Halm aber dichtete ein Festspiel „Vor hundert Jahren", das einen hellen nationalen Ton anschlug. Die Zeit der deutschen Einigung nahte mit Riesenschritten. Die Schlagwörter des Jahres 1848 „Einheit und Freiheit" klangen nun den Mächtigen und Großen immer mehr in die Ohren, sie drangen aus dem phantasicgeschwängerten Grunde leichtverhallender Reden und leichtvergessener Aufsätze in das Bürgertum. Immer voller klang der Chorus der einst ver¬ folgten deutschen Freiheitsmänner und in vollen Akkorden setzte berauschend die Einheitsharmonie aller deutschen Stämme ein; auf Turm-, Sänger-, Künstler- und Schützenfesten in großen und kleinen Städten widerhallte sie in vertausend¬ fachen! Orchester. All die konfessionellen Streitigkeiten, die Deutschland in den Bann dreihundertjähriger Zerissenheit gelockt hatten, die lächerlichen Kleinigkeiten dynastisch - partikularistischer Zänkerein hatten nun endlich aufgehört, dis¬ harmonierend die deutsche Geschichte zu durchschritten. Schon die Proklamation Kaiser Franz Josefs hatte im Hinblick auf die französischen Bedrohungen am 28. April 1859 ganz nationale Töne angeschlagen; schon damals war das Heimatland des Chauvinismus und des Champagners jene Macht, die fort und fort Deutschland nicht zur Ruhe kommen und die Ihren das bekannte „Bis zur Rheingrenze" schreien ließ, als wäre jenseits des Rheins kein deutsches Land mehr. Freilich die Geschicke eiserner Notwendigkeit ließen bald Norditalien, dieses Grab germanischer Altvorderer, an den Feind im Westen fallen und der gallische Hahn spreizte noch mehr denn je sein schillerndes Gefieder, um sprung¬ bereit Deutschland anzufallen, wenn es ihm beliebte. Doch ging vorläufig die nationale Einheitsbewegung Deutschlands den geruhigen Weg der Kommerse weiter; in Osterreich entstanden die lange verbotenen Turnvereine und Burschenschafter als Horte der deutschen Einheitsbewegung, deren Angehörige-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/23
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/23>, abgerufen am 22.07.2024.