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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die Zurückführung Kriegsbeschädigter ins tätige Leben

Auch der Neichsausschuß will neben einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift eine
solche Verwundetenzeitung herausgeben. Diese Verwundetenzeitungen sind vor
allem dann wichtige Hilfsmittel bei der Aufklärung über die Krüppelfürsorge,
bei der Berufsberatung und der Arbeitsvermittclung für Kriegsbeschädigte.

Denn in dieser eigentlichen wirtschaftlichen Fürsorge, in der Wiederge¬
winnung auch der Verstümmelten oder sonstwie Kriegsversehrten für das tätige
Leben sehen die Fürsorgestellen mit Recht ihre wichtigste Aufgabe, wichtig nicht
nur vom rein menschlichen, sondern auch vom nationalwirtschaftlichen Stand¬
punkte. Nicht Mitgefühl und eine Rente allein erledigen unsere Dankesschuld
gegenüber denen, die dauernden Schaden an ihrer Gesundheit oder Verstümmelung
im Kampfe für unsere Existenz davongetragen haben. Nicht Mitleid und
Gnadengehalt gibt den Verwundeten Lebensglück und tätiges Lebensgefühl
wieder, sodaß sie sich nicht mehr als nutzlos beiseite gedrängt im Leben, als
Wracks sühlen, die unbrauchbar am Strande des Stromes liegen.

Anderseits braucht unser Volk nach dem Kriege zur Wiederherstellung und
Ausdehnung unseres nationalen Wirtschaftslebens alle Kräfte, die irgend ver¬
fügbar sind. Wenn es nun gelingt, durch geeignete Fürsorgemaßregeln dem
Kriegsbeschädigten seine Arbeitsfähigkeit in möglichst großem Maßstabe wieder¬
zugeben und dadurch Arbeitskräfte, die für immer verloren schienen, für das
nationale Wirtschaftsleben zu retten, so wird damit nicht nur einer großen
Anzahl Menschen wieder Lebenszweck und Lebensinhalt, das Gefühl tätiger
Lebensfreude neu geschaffen, sondern es wird anch der Gesamtheit ein
wichtiger Dienst geleistet.

Unter den Problemen der wirtschaftlichen Fürsorge für Kriegsbeschädigte
steht also die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit obenan. Wenn
der an Armen oder Beinen Verstümmelte ausgeheilt ist, wenn er von der
Heeresverwaltung sein künstliches Bein, seinen künstlichen Arm geliefert erhalten
hat, so ist er damit selbstverständlich noch längst nicht wieder arbeitsfähig,
selbst nicht in bescheidenem Maße. Der Verletzte muß sich erst im Gebrauch
des künstlichen Gliedes üben, vielfach muß es seinem Körper und seinen persön¬
lichen Bedürfnissen erst noch genauer angepaßt werden, bis es überhaupt für
ihn gut brauchbar wird. Vor allem muß der Träger des künstlichen Gliedes
Gelegenheit haben, es bei der Arbeit, in der Werkstatt, am Schreibpult oder
wo es sonst nötig ist, auszuprobieren, seine zweckentsprechende Verwendung zu
lernen -- oder wenn nötig, auch umzulernen.

Im Einverständnis und mit Unterstützung der Militärbehörden nehmen
die Fürsorgestellen die hier geschilderte Aufgabe in erster Reihe auf sich. An
vielen Orten sind Einarmigen Schulen für Kriegsverletzte gegründet worden,
Übungswerkstätten für Leute mit künstlichen Gliedern treten in immer größerer
Anzahl hinzu. Hierzu gehören auch die Kurse für das Ablese" gesprochener
Worte vom Munde, die für Ertaubte bestimmt sind, Blindenunterrichtskurse
u. a. Alle diese Bestrebungen zielen dahin, bei den Kriegsverletzten eine


Die Zurückführung Kriegsbeschädigter ins tätige Leben

Auch der Neichsausschuß will neben einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift eine
solche Verwundetenzeitung herausgeben. Diese Verwundetenzeitungen sind vor
allem dann wichtige Hilfsmittel bei der Aufklärung über die Krüppelfürsorge,
bei der Berufsberatung und der Arbeitsvermittclung für Kriegsbeschädigte.

Denn in dieser eigentlichen wirtschaftlichen Fürsorge, in der Wiederge¬
winnung auch der Verstümmelten oder sonstwie Kriegsversehrten für das tätige
Leben sehen die Fürsorgestellen mit Recht ihre wichtigste Aufgabe, wichtig nicht
nur vom rein menschlichen, sondern auch vom nationalwirtschaftlichen Stand¬
punkte. Nicht Mitgefühl und eine Rente allein erledigen unsere Dankesschuld
gegenüber denen, die dauernden Schaden an ihrer Gesundheit oder Verstümmelung
im Kampfe für unsere Existenz davongetragen haben. Nicht Mitleid und
Gnadengehalt gibt den Verwundeten Lebensglück und tätiges Lebensgefühl
wieder, sodaß sie sich nicht mehr als nutzlos beiseite gedrängt im Leben, als
Wracks sühlen, die unbrauchbar am Strande des Stromes liegen.

Anderseits braucht unser Volk nach dem Kriege zur Wiederherstellung und
Ausdehnung unseres nationalen Wirtschaftslebens alle Kräfte, die irgend ver¬
fügbar sind. Wenn es nun gelingt, durch geeignete Fürsorgemaßregeln dem
Kriegsbeschädigten seine Arbeitsfähigkeit in möglichst großem Maßstabe wieder¬
zugeben und dadurch Arbeitskräfte, die für immer verloren schienen, für das
nationale Wirtschaftsleben zu retten, so wird damit nicht nur einer großen
Anzahl Menschen wieder Lebenszweck und Lebensinhalt, das Gefühl tätiger
Lebensfreude neu geschaffen, sondern es wird anch der Gesamtheit ein
wichtiger Dienst geleistet.

Unter den Problemen der wirtschaftlichen Fürsorge für Kriegsbeschädigte
steht also die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit obenan. Wenn
der an Armen oder Beinen Verstümmelte ausgeheilt ist, wenn er von der
Heeresverwaltung sein künstliches Bein, seinen künstlichen Arm geliefert erhalten
hat, so ist er damit selbstverständlich noch längst nicht wieder arbeitsfähig,
selbst nicht in bescheidenem Maße. Der Verletzte muß sich erst im Gebrauch
des künstlichen Gliedes üben, vielfach muß es seinem Körper und seinen persön¬
lichen Bedürfnissen erst noch genauer angepaßt werden, bis es überhaupt für
ihn gut brauchbar wird. Vor allem muß der Träger des künstlichen Gliedes
Gelegenheit haben, es bei der Arbeit, in der Werkstatt, am Schreibpult oder
wo es sonst nötig ist, auszuprobieren, seine zweckentsprechende Verwendung zu
lernen — oder wenn nötig, auch umzulernen.

Im Einverständnis und mit Unterstützung der Militärbehörden nehmen
die Fürsorgestellen die hier geschilderte Aufgabe in erster Reihe auf sich. An
vielen Orten sind Einarmigen Schulen für Kriegsverletzte gegründet worden,
Übungswerkstätten für Leute mit künstlichen Gliedern treten in immer größerer
Anzahl hinzu. Hierzu gehören auch die Kurse für das Ablese« gesprochener
Worte vom Munde, die für Ertaubte bestimmt sind, Blindenunterrichtskurse
u. a. Alle diese Bestrebungen zielen dahin, bei den Kriegsverletzten eine


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[0227] Die Zurückführung Kriegsbeschädigter ins tätige Leben Auch der Neichsausschuß will neben einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift eine solche Verwundetenzeitung herausgeben. Diese Verwundetenzeitungen sind vor allem dann wichtige Hilfsmittel bei der Aufklärung über die Krüppelfürsorge, bei der Berufsberatung und der Arbeitsvermittclung für Kriegsbeschädigte. Denn in dieser eigentlichen wirtschaftlichen Fürsorge, in der Wiederge¬ winnung auch der Verstümmelten oder sonstwie Kriegsversehrten für das tätige Leben sehen die Fürsorgestellen mit Recht ihre wichtigste Aufgabe, wichtig nicht nur vom rein menschlichen, sondern auch vom nationalwirtschaftlichen Stand¬ punkte. Nicht Mitgefühl und eine Rente allein erledigen unsere Dankesschuld gegenüber denen, die dauernden Schaden an ihrer Gesundheit oder Verstümmelung im Kampfe für unsere Existenz davongetragen haben. Nicht Mitleid und Gnadengehalt gibt den Verwundeten Lebensglück und tätiges Lebensgefühl wieder, sodaß sie sich nicht mehr als nutzlos beiseite gedrängt im Leben, als Wracks sühlen, die unbrauchbar am Strande des Stromes liegen. Anderseits braucht unser Volk nach dem Kriege zur Wiederherstellung und Ausdehnung unseres nationalen Wirtschaftslebens alle Kräfte, die irgend ver¬ fügbar sind. Wenn es nun gelingt, durch geeignete Fürsorgemaßregeln dem Kriegsbeschädigten seine Arbeitsfähigkeit in möglichst großem Maßstabe wieder¬ zugeben und dadurch Arbeitskräfte, die für immer verloren schienen, für das nationale Wirtschaftsleben zu retten, so wird damit nicht nur einer großen Anzahl Menschen wieder Lebenszweck und Lebensinhalt, das Gefühl tätiger Lebensfreude neu geschaffen, sondern es wird anch der Gesamtheit ein wichtiger Dienst geleistet. Unter den Problemen der wirtschaftlichen Fürsorge für Kriegsbeschädigte steht also die Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit obenan. Wenn der an Armen oder Beinen Verstümmelte ausgeheilt ist, wenn er von der Heeresverwaltung sein künstliches Bein, seinen künstlichen Arm geliefert erhalten hat, so ist er damit selbstverständlich noch längst nicht wieder arbeitsfähig, selbst nicht in bescheidenem Maße. Der Verletzte muß sich erst im Gebrauch des künstlichen Gliedes üben, vielfach muß es seinem Körper und seinen persön¬ lichen Bedürfnissen erst noch genauer angepaßt werden, bis es überhaupt für ihn gut brauchbar wird. Vor allem muß der Träger des künstlichen Gliedes Gelegenheit haben, es bei der Arbeit, in der Werkstatt, am Schreibpult oder wo es sonst nötig ist, auszuprobieren, seine zweckentsprechende Verwendung zu lernen — oder wenn nötig, auch umzulernen. Im Einverständnis und mit Unterstützung der Militärbehörden nehmen die Fürsorgestellen die hier geschilderte Aufgabe in erster Reihe auf sich. An vielen Orten sind Einarmigen Schulen für Kriegsverletzte gegründet worden, Übungswerkstätten für Leute mit künstlichen Gliedern treten in immer größerer Anzahl hinzu. Hierzu gehören auch die Kurse für das Ablese« gesprochener Worte vom Munde, die für Ertaubte bestimmt sind, Blindenunterrichtskurse u. a. Alle diese Bestrebungen zielen dahin, bei den Kriegsverletzten eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/227>, abgerufen am 22.07.2024.