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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Vie deutsche Studentenschaft in Rußland

tragen, besitzen nur die zur Verbindung wirklich gehörenden "Landsleute", die
auf Grund ihrer persönlichen Tüchtigkeit, nicht auf Grund einer bestimmten
Zahl Mensuren aufgenommen werden. Die Füchse haben schwarze (nur bei
Curonia blaue) Deckel, und die "Fechtbodisten", welche sich dem Komment
fügen, aber keine Burschenrechte genießen, gewöhnliche Kopfbedeckung. Die
Vertretung und Leitung der Korporationen liegt in den Händen des Seniors
und der beiden anderen Chargierten; der "Oldermann", der dem deutschen
Fuchsmajor entspricht, ist verpflichtet, die Füchse in die Grundregeln des Burschen¬
staates einzuführen, während der Fechtbodenvorsteher sie gehörig einzupauken
und der ^VlaZl8ter cantanäi ihnen das Farbenlied und sonstige Studentenlieder
beizubringen hat.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Dorpater Korporationen und den
deutschen Korps, der zugleich einen entwicklungsgeschichtlichen Fortschritt bedeutet,
liegt darin, daß bei elfteren seit dem Jahre 1847 der Duellzwang nicht mehr
besteht. Nach dem damals verkündeten Prinzip der "Gewissensfreiheit" wird
der Antiduellant dem Duellanhänger gleich geachtet und steht durchaus unter
dem Schutze des Komments, der ein Duell als unstatthaft bezeichnet, wenn
einer der beiden "Parder" erklärt, es sei gegen seine Überzeugung, sich zu
schlagen. In diesem Falle wird der Ehrenhandel durch Erklärungen erledigt.

Eine größere Bedeutung als bei den reichsdeutschen Verbindungen besitzt
das Ehrengericht, in das jede Korporation des Chargiertenkonvents aus ihrer
Mitte drei Ehrenrichter wählt. Es hat die Aufgabe, bei Forderungen zwischen
Mitgliedern verschiedener Verbindungen oder zwischen "Burschen" und Philistern,
falls sich letztere seiner Entscheidung fügen wollen, teils vermittelnd, teils ent>
Icheidend aufzutreten, um einerseits unnütze Skandäler zu verhüten, anderseits
aber auch, um den Beleidigten in jedem Falle genügende Satisfaktion zu ver¬
schaffen. Alle "Reißereien", das heißt Streitigkeiten, die eine Forderung zur
Folge gehabt haben, müssen, falls sie zwischen "Burschen" vorgefallen sind, vor
das Ehrengericht gebracht werden, es sei denn, daß sich die Parder vorher auf
mündliche Genugtuung geeinigt haben. Über Neißereien zwischen "Burschen"
und Philistern wird nur dann entschieden, wenn letztere es mit ihrem Ehren-'
^^ bekräftigen, sich den Bestimmungen des Ehrengerichts zu fügen, gegen dessen
Entscheidungen es keine Berufung gibt. Es bestimmt, wer von den Parder
die Wahl zwischen Waffen und mündlicher Erklärung hat. Wählt dieser die
etztere, so muß dieselbe vor dem Ehrengericht abgegeben werden, und die
Forderung wird zurückgezogen. In jedem Fall ist das Ehrengericht befugt,
soweit es nach seiner Überzeugung möglich erscheint, eine mündliche Erklärung
vorzuschreiben, ohne einem Parder die Wahl zu überlassen; es geschieht dies
vielfach, wenn die Neißerei aus Gesundheitsrücksichten eine Pistolenmensur zur
Folge hätte.

Ein Zeichen für den feinen Takt, mit dem man in Dorpat an die Regelung
auch der heikelsten Ehrenfragen herangeht, ist in der Einrichtung des Vertmuens-


Grenzboten IV 1915 14
Vie deutsche Studentenschaft in Rußland

tragen, besitzen nur die zur Verbindung wirklich gehörenden „Landsleute", die
auf Grund ihrer persönlichen Tüchtigkeit, nicht auf Grund einer bestimmten
Zahl Mensuren aufgenommen werden. Die Füchse haben schwarze (nur bei
Curonia blaue) Deckel, und die „Fechtbodisten", welche sich dem Komment
fügen, aber keine Burschenrechte genießen, gewöhnliche Kopfbedeckung. Die
Vertretung und Leitung der Korporationen liegt in den Händen des Seniors
und der beiden anderen Chargierten; der „Oldermann", der dem deutschen
Fuchsmajor entspricht, ist verpflichtet, die Füchse in die Grundregeln des Burschen¬
staates einzuführen, während der Fechtbodenvorsteher sie gehörig einzupauken
und der ^VlaZl8ter cantanäi ihnen das Farbenlied und sonstige Studentenlieder
beizubringen hat.

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Dorpater Korporationen und den
deutschen Korps, der zugleich einen entwicklungsgeschichtlichen Fortschritt bedeutet,
liegt darin, daß bei elfteren seit dem Jahre 1847 der Duellzwang nicht mehr
besteht. Nach dem damals verkündeten Prinzip der „Gewissensfreiheit" wird
der Antiduellant dem Duellanhänger gleich geachtet und steht durchaus unter
dem Schutze des Komments, der ein Duell als unstatthaft bezeichnet, wenn
einer der beiden „Parder" erklärt, es sei gegen seine Überzeugung, sich zu
schlagen. In diesem Falle wird der Ehrenhandel durch Erklärungen erledigt.

Eine größere Bedeutung als bei den reichsdeutschen Verbindungen besitzt
das Ehrengericht, in das jede Korporation des Chargiertenkonvents aus ihrer
Mitte drei Ehrenrichter wählt. Es hat die Aufgabe, bei Forderungen zwischen
Mitgliedern verschiedener Verbindungen oder zwischen „Burschen" und Philistern,
falls sich letztere seiner Entscheidung fügen wollen, teils vermittelnd, teils ent>
Icheidend aufzutreten, um einerseits unnütze Skandäler zu verhüten, anderseits
aber auch, um den Beleidigten in jedem Falle genügende Satisfaktion zu ver¬
schaffen. Alle „Reißereien", das heißt Streitigkeiten, die eine Forderung zur
Folge gehabt haben, müssen, falls sie zwischen „Burschen" vorgefallen sind, vor
das Ehrengericht gebracht werden, es sei denn, daß sich die Parder vorher auf
mündliche Genugtuung geeinigt haben. Über Neißereien zwischen „Burschen"
und Philistern wird nur dann entschieden, wenn letztere es mit ihrem Ehren-'
^^ bekräftigen, sich den Bestimmungen des Ehrengerichts zu fügen, gegen dessen
Entscheidungen es keine Berufung gibt. Es bestimmt, wer von den Parder
die Wahl zwischen Waffen und mündlicher Erklärung hat. Wählt dieser die
etztere, so muß dieselbe vor dem Ehrengericht abgegeben werden, und die
Forderung wird zurückgezogen. In jedem Fall ist das Ehrengericht befugt,
soweit es nach seiner Überzeugung möglich erscheint, eine mündliche Erklärung
vorzuschreiben, ohne einem Parder die Wahl zu überlassen; es geschieht dies
vielfach, wenn die Neißerei aus Gesundheitsrücksichten eine Pistolenmensur zur
Folge hätte.

Ein Zeichen für den feinen Takt, mit dem man in Dorpat an die Regelung
auch der heikelsten Ehrenfragen herangeht, ist in der Einrichtung des Vertmuens-


Grenzboten IV 1915 14
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[0221] Vie deutsche Studentenschaft in Rußland tragen, besitzen nur die zur Verbindung wirklich gehörenden „Landsleute", die auf Grund ihrer persönlichen Tüchtigkeit, nicht auf Grund einer bestimmten Zahl Mensuren aufgenommen werden. Die Füchse haben schwarze (nur bei Curonia blaue) Deckel, und die „Fechtbodisten", welche sich dem Komment fügen, aber keine Burschenrechte genießen, gewöhnliche Kopfbedeckung. Die Vertretung und Leitung der Korporationen liegt in den Händen des Seniors und der beiden anderen Chargierten; der „Oldermann", der dem deutschen Fuchsmajor entspricht, ist verpflichtet, die Füchse in die Grundregeln des Burschen¬ staates einzuführen, während der Fechtbodenvorsteher sie gehörig einzupauken und der ^VlaZl8ter cantanäi ihnen das Farbenlied und sonstige Studentenlieder beizubringen hat. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Dorpater Korporationen und den deutschen Korps, der zugleich einen entwicklungsgeschichtlichen Fortschritt bedeutet, liegt darin, daß bei elfteren seit dem Jahre 1847 der Duellzwang nicht mehr besteht. Nach dem damals verkündeten Prinzip der „Gewissensfreiheit" wird der Antiduellant dem Duellanhänger gleich geachtet und steht durchaus unter dem Schutze des Komments, der ein Duell als unstatthaft bezeichnet, wenn einer der beiden „Parder" erklärt, es sei gegen seine Überzeugung, sich zu schlagen. In diesem Falle wird der Ehrenhandel durch Erklärungen erledigt. Eine größere Bedeutung als bei den reichsdeutschen Verbindungen besitzt das Ehrengericht, in das jede Korporation des Chargiertenkonvents aus ihrer Mitte drei Ehrenrichter wählt. Es hat die Aufgabe, bei Forderungen zwischen Mitgliedern verschiedener Verbindungen oder zwischen „Burschen" und Philistern, falls sich letztere seiner Entscheidung fügen wollen, teils vermittelnd, teils ent> Icheidend aufzutreten, um einerseits unnütze Skandäler zu verhüten, anderseits aber auch, um den Beleidigten in jedem Falle genügende Satisfaktion zu ver¬ schaffen. Alle „Reißereien", das heißt Streitigkeiten, die eine Forderung zur Folge gehabt haben, müssen, falls sie zwischen „Burschen" vorgefallen sind, vor das Ehrengericht gebracht werden, es sei denn, daß sich die Parder vorher auf mündliche Genugtuung geeinigt haben. Über Neißereien zwischen „Burschen" und Philistern wird nur dann entschieden, wenn letztere es mit ihrem Ehren-' ^^ bekräftigen, sich den Bestimmungen des Ehrengerichts zu fügen, gegen dessen Entscheidungen es keine Berufung gibt. Es bestimmt, wer von den Parder die Wahl zwischen Waffen und mündlicher Erklärung hat. Wählt dieser die etztere, so muß dieselbe vor dem Ehrengericht abgegeben werden, und die Forderung wird zurückgezogen. In jedem Fall ist das Ehrengericht befugt, soweit es nach seiner Überzeugung möglich erscheint, eine mündliche Erklärung vorzuschreiben, ohne einem Parder die Wahl zu überlassen; es geschieht dies vielfach, wenn die Neißerei aus Gesundheitsrücksichten eine Pistolenmensur zur Folge hätte. Ein Zeichen für den feinen Takt, mit dem man in Dorpat an die Regelung auch der heikelsten Ehrenfragen herangeht, ist in der Einrichtung des Vertmuens- Grenzboten IV 1915 14

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/221>, abgerufen am 24.08.2024.