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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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ZVie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Niederlande: doch "deutsch" sind dadurch die Niederlande nicht geworden.
Maximilian hat wie sein Vater für Habsburg gearbeitet, nicht für Deutschland.
Verlangen wir von ihm nicht mehr wie von irgend einem andern Fürsten
jener Zeit, der ehrgeizig aufwärtsstrebend darauf ausging, sich einen zukunfts¬
starken Territorialstaat zurecht zu zimmern, schmücken wir ihn aber auch nicht
mit einem Kranz aus gefärbten Blättern. Nur mittelbar hat Maximilian
deutsche Politik getrieben. Indem er der französischen Krone die Stirn bot
und die Niederlande in ihrer Ganzheit erhielt, blieben die Niederlande eine
Zeitlang noch das nordwestliche Bollwerk Deutschlands gegen Frankreich.

Nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen die eigenen Untertanen
hat Maximilian die Schöpfung der burgundischen Herzöge verteidigt, zuerst
noch bei Lebzeiten der Gräfin-Herzogin Maria, dann nach ihren frühem Tode
als Vormund des Erben (1482--1494). Mit blinder Leidenschaft, wie ihn
die Parteiwut nur kennt, haben die Flandrer den Habsburger bekämpft, dessen
antifranzösische Politik ihnen zuwider war. Die Brügger Handwerker konnten
es wagen, Maximilian, den neu gekrönten römischen König, drei Monate lang-
in Gefangenschaft zu halten I Voller Mißtrauen wachten die Kommunen über
die Erziehung des Prinzen Philipp und seine Schwester Margarethe. Der
Einfluß des Vaters, der Deutschen wurde ausgeschaltet. Das Land siegte über
die Dynastie.

Als niederländischer Fürst wuchs Philipp der Schöne (1494--1S06) auf.
Er lernte kein Deutsch, das österreichische Erbe war für ihn nicht vorhanden.
Die Ratgeber, denen auch der mündig gewordene Prinz "Ovid-L()N8eiI" völlig
freie Hand ließ, trieben ohne Rücksicht auf König Maximilian national-nieder¬
ländische Politik. Zum Vorteil des Handels galt es mit Frankreich wie mit
England im Frieden zu leben. Daher gaben sie das Stammland des
Geschlechtes, das Herzogtum Burgund, preis; daher schlössen sie mit England
den berühmt gewordenen Intereursug eng,Znu8, der dem Kaufmann Tür und Tor
öffnete. Was sollten sie sich aber um Deutschland kümmern, von wo keine
ernste Gefahr drohte? Sie dachten gar nicht daran, dem Reich skammergericht
zu gehorchen, die Neichssteuer. den gemeinen Pfennig, zu zahlen. Mit Recht
konnte sich der Reichstag darüber beklagen, daß Philipp wohl seinem fran¬
zösischen Lehnsherrn, nicht aber dem deutschen die schuldige Huldigung
geleistet habe.

Seit langer Zeit entsprach die auswärtige Politik den Wünschen der
flandrischen Kommunen. Dafür zeigten sie auch Entgegenkommen und ließen
einen Ausgleich zwischen der Zentralregierung und den Unabhängigkeits¬
bestrebungen der einzelnen Gebiete und Städte zustande kommen. So konnten
allmählich die durch das "Große Privileg" in die Zentralverwaltung geschlagenen
Breschen wieder ausgebessert werden. Der herzogliche Rat erschien von neuem,
ebenso das Parlament von Mecheln, das der Aufruhr des Jahres 1477 weg¬
gefegt hatte. Als "Grand Conseil" umfaßte es unterschiedlos alle Gebiete.


ZVie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

Niederlande: doch „deutsch" sind dadurch die Niederlande nicht geworden.
Maximilian hat wie sein Vater für Habsburg gearbeitet, nicht für Deutschland.
Verlangen wir von ihm nicht mehr wie von irgend einem andern Fürsten
jener Zeit, der ehrgeizig aufwärtsstrebend darauf ausging, sich einen zukunfts¬
starken Territorialstaat zurecht zu zimmern, schmücken wir ihn aber auch nicht
mit einem Kranz aus gefärbten Blättern. Nur mittelbar hat Maximilian
deutsche Politik getrieben. Indem er der französischen Krone die Stirn bot
und die Niederlande in ihrer Ganzheit erhielt, blieben die Niederlande eine
Zeitlang noch das nordwestliche Bollwerk Deutschlands gegen Frankreich.

Nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen die eigenen Untertanen
hat Maximilian die Schöpfung der burgundischen Herzöge verteidigt, zuerst
noch bei Lebzeiten der Gräfin-Herzogin Maria, dann nach ihren frühem Tode
als Vormund des Erben (1482—1494). Mit blinder Leidenschaft, wie ihn
die Parteiwut nur kennt, haben die Flandrer den Habsburger bekämpft, dessen
antifranzösische Politik ihnen zuwider war. Die Brügger Handwerker konnten
es wagen, Maximilian, den neu gekrönten römischen König, drei Monate lang-
in Gefangenschaft zu halten I Voller Mißtrauen wachten die Kommunen über
die Erziehung des Prinzen Philipp und seine Schwester Margarethe. Der
Einfluß des Vaters, der Deutschen wurde ausgeschaltet. Das Land siegte über
die Dynastie.

Als niederländischer Fürst wuchs Philipp der Schöne (1494—1S06) auf.
Er lernte kein Deutsch, das österreichische Erbe war für ihn nicht vorhanden.
Die Ratgeber, denen auch der mündig gewordene Prinz „Ovid-L()N8eiI" völlig
freie Hand ließ, trieben ohne Rücksicht auf König Maximilian national-nieder¬
ländische Politik. Zum Vorteil des Handels galt es mit Frankreich wie mit
England im Frieden zu leben. Daher gaben sie das Stammland des
Geschlechtes, das Herzogtum Burgund, preis; daher schlössen sie mit England
den berühmt gewordenen Intereursug eng,Znu8, der dem Kaufmann Tür und Tor
öffnete. Was sollten sie sich aber um Deutschland kümmern, von wo keine
ernste Gefahr drohte? Sie dachten gar nicht daran, dem Reich skammergericht
zu gehorchen, die Neichssteuer. den gemeinen Pfennig, zu zahlen. Mit Recht
konnte sich der Reichstag darüber beklagen, daß Philipp wohl seinem fran¬
zösischen Lehnsherrn, nicht aber dem deutschen die schuldige Huldigung
geleistet habe.

Seit langer Zeit entsprach die auswärtige Politik den Wünschen der
flandrischen Kommunen. Dafür zeigten sie auch Entgegenkommen und ließen
einen Ausgleich zwischen der Zentralregierung und den Unabhängigkeits¬
bestrebungen der einzelnen Gebiete und Städte zustande kommen. So konnten
allmählich die durch das „Große Privileg" in die Zentralverwaltung geschlagenen
Breschen wieder ausgebessert werden. Der herzogliche Rat erschien von neuem,
ebenso das Parlament von Mecheln, das der Aufruhr des Jahres 1477 weg¬
gefegt hatte. Als „Grand Conseil" umfaßte es unterschiedlos alle Gebiete.


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[0212] ZVie das Deutsche Reich die Niederlande verlor Niederlande: doch „deutsch" sind dadurch die Niederlande nicht geworden. Maximilian hat wie sein Vater für Habsburg gearbeitet, nicht für Deutschland. Verlangen wir von ihm nicht mehr wie von irgend einem andern Fürsten jener Zeit, der ehrgeizig aufwärtsstrebend darauf ausging, sich einen zukunfts¬ starken Territorialstaat zurecht zu zimmern, schmücken wir ihn aber auch nicht mit einem Kranz aus gefärbten Blättern. Nur mittelbar hat Maximilian deutsche Politik getrieben. Indem er der französischen Krone die Stirn bot und die Niederlande in ihrer Ganzheit erhielt, blieben die Niederlande eine Zeitlang noch das nordwestliche Bollwerk Deutschlands gegen Frankreich. Nicht nur gegen Frankreich, sondern auch gegen die eigenen Untertanen hat Maximilian die Schöpfung der burgundischen Herzöge verteidigt, zuerst noch bei Lebzeiten der Gräfin-Herzogin Maria, dann nach ihren frühem Tode als Vormund des Erben (1482—1494). Mit blinder Leidenschaft, wie ihn die Parteiwut nur kennt, haben die Flandrer den Habsburger bekämpft, dessen antifranzösische Politik ihnen zuwider war. Die Brügger Handwerker konnten es wagen, Maximilian, den neu gekrönten römischen König, drei Monate lang- in Gefangenschaft zu halten I Voller Mißtrauen wachten die Kommunen über die Erziehung des Prinzen Philipp und seine Schwester Margarethe. Der Einfluß des Vaters, der Deutschen wurde ausgeschaltet. Das Land siegte über die Dynastie. Als niederländischer Fürst wuchs Philipp der Schöne (1494—1S06) auf. Er lernte kein Deutsch, das österreichische Erbe war für ihn nicht vorhanden. Die Ratgeber, denen auch der mündig gewordene Prinz „Ovid-L()N8eiI" völlig freie Hand ließ, trieben ohne Rücksicht auf König Maximilian national-nieder¬ ländische Politik. Zum Vorteil des Handels galt es mit Frankreich wie mit England im Frieden zu leben. Daher gaben sie das Stammland des Geschlechtes, das Herzogtum Burgund, preis; daher schlössen sie mit England den berühmt gewordenen Intereursug eng,Znu8, der dem Kaufmann Tür und Tor öffnete. Was sollten sie sich aber um Deutschland kümmern, von wo keine ernste Gefahr drohte? Sie dachten gar nicht daran, dem Reich skammergericht zu gehorchen, die Neichssteuer. den gemeinen Pfennig, zu zahlen. Mit Recht konnte sich der Reichstag darüber beklagen, daß Philipp wohl seinem fran¬ zösischen Lehnsherrn, nicht aber dem deutschen die schuldige Huldigung geleistet habe. Seit langer Zeit entsprach die auswärtige Politik den Wünschen der flandrischen Kommunen. Dafür zeigten sie auch Entgegenkommen und ließen einen Ausgleich zwischen der Zentralregierung und den Unabhängigkeits¬ bestrebungen der einzelnen Gebiete und Städte zustande kommen. So konnten allmählich die durch das „Große Privileg" in die Zentralverwaltung geschlagenen Breschen wieder ausgebessert werden. Der herzogliche Rat erschien von neuem, ebenso das Parlament von Mecheln, das der Aufruhr des Jahres 1477 weg¬ gefegt hatte. Als „Grand Conseil" umfaßte es unterschiedlos alle Gebiete.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/212>, abgerufen am 29.12.2024.