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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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gaben, der Krankheiten, des Ungeziefers; welche Spitznamen die einzelnen
Truppenteile, die Offiziere und Militärbecunten führen, wobei auch nicht die
Urraum für die weißen und farbigen Franzosen und Engländer zu übersehen
find; ebensowenig ist die Sprache der Flieger, der "Schipper", der Verkehrs¬
truppen, des Sanitätspersonals usw. zu vergessen; schließlich wird man sprach¬
lich beachtenswerte Aufschlüsse erhalten, wenn man sich erkundigt, wie unsere
Soldaten sich zu der fremden Sprache stellen, wie sie fremdsprachliche Wörter
(zum Beispiel Ortsnamen) auffassen und wiedergeben.

Wer nur einmal anfängt, sich eines oder mehrere dieser Gebiete heraus¬
zusuchen, der wird erstaunt sein, über welche Vorstellungskraft, über welch unverwüst¬
lichen oft grimmen Humor unsere Soldaten verfügen. So führen die Geschosse der
deutschen Flachbahngeschütze, welche die feindlichen Gräben beschießen und dicht
über die Köpfe der deutschen Soldaten hinweghuschen, die Bezeichnung "Katzen".
Langsam dahinziehende schwere Geschosse sind "Blindschleichen", oder nach
der schwarzen Rauchwolke, die sich beim Zerschellen der Geschosse entwickelt,
"Kohlenkasten", nach dem rollenden Geräusch "Rollwägen", nach der Form
"Zuckerhüte" usw. Der frackähnlich aufgeschlagene französische Uniformrock
trug den "Franzmännern" den Spitznamen "die Frack" ein. Das Bedürfnis
nach Kürze machte aus dem Zahlmeister den "Zahler"; seit neuester Zeit heißt
er aber der "Scheinwerfer", weil er die Löhnung nieist in Scheinen ausbezahlt:
ein köstlicher Spitzname, aus dem noch kommende Geschlechter unsere heutigen
geldlichen Verhältnisse ersehen mögen! Wird ein Schützengraben gesprengt, so
machen seine Insassen "eine Himmelfahrt". Der Drang nach Anschaulichkeit
läßt unsere Soldaten ein so abgeblaßtes Wort wie "schießen" in Acht und Bann
tun; schon längst schießt die Artillerie nicht mehr, sie "funkt" nur noch; "Franz¬
mann klopft die Sachen aus" und viele andere solcher Wendungen bezeichnen
das Arbeiten der Maschinengewehre.

Schon diese wenigen Ausdrücke zeigen, wie sür den sprachlich angeregten
Menschen hier Gelegenheit geboten ist, einen unmittelbaren Einblick in die
Werkstätte der Sprache zu tun, denn wir dürfen den größten Teil der sol¬
datischen Neubildungen nicht als mehr oder weniger gelungene Scherze ansehen
und die Absicht, sie aufzuzeichnen als eine müßige, der gegenwärtigen schweren
Zeiten unwürdige Aufgabe betrachten, fondern hier wiederholen sich vor unsern
Augen, tagtäglich, in großartigem Maßstabe, jene Vorgänge, die zur Schöpfung
der Sprache überhaupt geführt haben. Das Studium der neuesten Soldaten¬
sprache liefert einen wichtigen Veitrag zur Frage nach der Entstehung unserer
Wörter und Wendungen. In klarster Weise, weil' durch zeitliche Entfernung
noch nicht verdunkelt, läßt sich hier verfolgen, wie die Erscheinungen der Außen¬
welt auf die menschliche Phantasie wirken, welche Vorstellungen im
menschlichen Gehirn ausgelöst werden tod wie diese Vorstellungen sprachlich
zum Ausdruck gelangen. Schon die obigen Beispiele für die artilleristischen
Geschosse zeigen, wie Bewegung, Ton und Form der Erscheinungen


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gaben, der Krankheiten, des Ungeziefers; welche Spitznamen die einzelnen
Truppenteile, die Offiziere und Militärbecunten führen, wobei auch nicht die
Urraum für die weißen und farbigen Franzosen und Engländer zu übersehen
find; ebensowenig ist die Sprache der Flieger, der „Schipper", der Verkehrs¬
truppen, des Sanitätspersonals usw. zu vergessen; schließlich wird man sprach¬
lich beachtenswerte Aufschlüsse erhalten, wenn man sich erkundigt, wie unsere
Soldaten sich zu der fremden Sprache stellen, wie sie fremdsprachliche Wörter
(zum Beispiel Ortsnamen) auffassen und wiedergeben.

Wer nur einmal anfängt, sich eines oder mehrere dieser Gebiete heraus¬
zusuchen, der wird erstaunt sein, über welche Vorstellungskraft, über welch unverwüst¬
lichen oft grimmen Humor unsere Soldaten verfügen. So führen die Geschosse der
deutschen Flachbahngeschütze, welche die feindlichen Gräben beschießen und dicht
über die Köpfe der deutschen Soldaten hinweghuschen, die Bezeichnung „Katzen".
Langsam dahinziehende schwere Geschosse sind „Blindschleichen", oder nach
der schwarzen Rauchwolke, die sich beim Zerschellen der Geschosse entwickelt,
„Kohlenkasten", nach dem rollenden Geräusch „Rollwägen", nach der Form
„Zuckerhüte" usw. Der frackähnlich aufgeschlagene französische Uniformrock
trug den „Franzmännern" den Spitznamen „die Frack" ein. Das Bedürfnis
nach Kürze machte aus dem Zahlmeister den „Zahler"; seit neuester Zeit heißt
er aber der „Scheinwerfer", weil er die Löhnung nieist in Scheinen ausbezahlt:
ein köstlicher Spitzname, aus dem noch kommende Geschlechter unsere heutigen
geldlichen Verhältnisse ersehen mögen! Wird ein Schützengraben gesprengt, so
machen seine Insassen „eine Himmelfahrt". Der Drang nach Anschaulichkeit
läßt unsere Soldaten ein so abgeblaßtes Wort wie „schießen" in Acht und Bann
tun; schon längst schießt die Artillerie nicht mehr, sie „funkt" nur noch; „Franz¬
mann klopft die Sachen aus" und viele andere solcher Wendungen bezeichnen
das Arbeiten der Maschinengewehre.

Schon diese wenigen Ausdrücke zeigen, wie sür den sprachlich angeregten
Menschen hier Gelegenheit geboten ist, einen unmittelbaren Einblick in die
Werkstätte der Sprache zu tun, denn wir dürfen den größten Teil der sol¬
datischen Neubildungen nicht als mehr oder weniger gelungene Scherze ansehen
und die Absicht, sie aufzuzeichnen als eine müßige, der gegenwärtigen schweren
Zeiten unwürdige Aufgabe betrachten, fondern hier wiederholen sich vor unsern
Augen, tagtäglich, in großartigem Maßstabe, jene Vorgänge, die zur Schöpfung
der Sprache überhaupt geführt haben. Das Studium der neuesten Soldaten¬
sprache liefert einen wichtigen Veitrag zur Frage nach der Entstehung unserer
Wörter und Wendungen. In klarster Weise, weil' durch zeitliche Entfernung
noch nicht verdunkelt, läßt sich hier verfolgen, wie die Erscheinungen der Außen¬
welt auf die menschliche Phantasie wirken, welche Vorstellungen im
menschlichen Gehirn ausgelöst werden tod wie diese Vorstellungen sprachlich
zum Ausdruck gelangen. Schon die obigen Beispiele für die artilleristischen
Geschosse zeigen, wie Bewegung, Ton und Form der Erscheinungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/201>, abgerufen am 24.08.2024.