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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

mit dem größten Mißtrauen aufgenommen, und nur widerwillig beugte sich
der Partikularismus vor der Maßregel des Fürsten.

Daher hieß es behutsam vorgehen. Denn der burgundische Staat hatte
Geld, unendlich viel Geld von dem Lande nötig. So stattlich die Domänen
waren, so ansehnlich die Einkünfte aus Zöllen aller Art, aus Gerichtssporteln
und Siegelgebühren usw., das alles reichte nicht aus. Der Landesherr war
unbedingt auf die Steuern (Leäen, al6e8) angewiesen, welche Adel, Klerus
und Städte ihm zu bewilligen hatten. Die Steuern wurden mit der Zeit ganz
regelmäßig, auch stets größer, dafür fand die Verteilung gerechter statt. Zeit¬
genossen schätzten im Jahre 1455 die Einkünfte Herzogs Philipp auf 900000
Dukaten. Über die gleiche Summe verfügte damals Venedig, über ein Viertel
Florenz, ein Drittel Neapel, über die Hälfte der Papst und Mailand.

Unzählige Erzeugnisse künstlerischen Fleißes, Prachthandschriften. Gemälde
und Teppiche, Gold- und Silbergeschirr, Prunkgeräte und Schmucksachen wurden
in der Schatzkammer aufgespeichert. Sie bildeten in einer Zeit, die eines
geregelten Geldverkehrs entbehrte, eine treffliche Kapitalanlage. In Stunden
der Not standen sofort als Gegenwert bedeutende Summen zur Verfügung.
Philipp der Gute legte im Schlosse zu Lille einen besonderen Kriegsschatz an.
Er ließ vortreffliche Münzen schlagen; die goldenen Philippus oder Ryder und
die silbernen Vierlander legten für die Gesundheit der wirtschaftlichen Verhält¬
nisse ein vortreffliches Zeugnis ab. --

Schon mit Philipp dem Kühnen begann der gleißende Goldstrom zu
fließen, der immer wächst, der sich ins Endlose ergießt. Voll Bewunderung
schaute das Abendland auf den burgundischen Hof, das nordische Gegenstück
der italienischen Renaissancehöfe. Ein Fest löste in bunter Reihe das andere
ab. Alle Kurzweil, welche das Jahrhundert kennt, ward getrieben. Genüsse
der Tafel wechselten in rascher Folge mit fröhlichen Jagden, kunstgerechte
Wassergänge auf dem Turnierplatz mit Aufführungen, mit Tanz und Masken¬
scherz. Doch hat man bei diesen kostspieligen Veranstaltungen nicht den Ein¬
druck des Planlosen, Unüberlegten: alles ist einem höheren Zwecke unter¬
geordnet.

In juwelenschtmmernden Geschenken suchten die Fürsten alle Herrscher zu
übertreffen. Sie sparten keine Gnadengehälter an einflußreiche Räte und
Diplomaten im In- und Auslande. Wenn sie aber nicht kargten, wenn ein
königlicher Hofhalt geführt wurde, so erhielt auch das Geschlecht, das königliche
Macht gewann, königlichen Glanz. Alle die Luxusausgaben dienten dem
"Prestige" des Hauses. Ganz Europa war Zeuge, als Philipp der Gute einen
Kreuzzug gegen die Türken unternahm und zahlte. Im schwarzen Meer, aus
der Donau wehte das burgundische Banner.

Von nah und fern kamen die Ritter, um am burgundischen Hofe eine
Lanze zu brechen. Die Vornehmsten sandten dorthin ihre Söhne, die Zucht
und Sitte lernen und sich die Sporen verdienen wollten. Verschlangen allein


Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

mit dem größten Mißtrauen aufgenommen, und nur widerwillig beugte sich
der Partikularismus vor der Maßregel des Fürsten.

Daher hieß es behutsam vorgehen. Denn der burgundische Staat hatte
Geld, unendlich viel Geld von dem Lande nötig. So stattlich die Domänen
waren, so ansehnlich die Einkünfte aus Zöllen aller Art, aus Gerichtssporteln
und Siegelgebühren usw., das alles reichte nicht aus. Der Landesherr war
unbedingt auf die Steuern (Leäen, al6e8) angewiesen, welche Adel, Klerus
und Städte ihm zu bewilligen hatten. Die Steuern wurden mit der Zeit ganz
regelmäßig, auch stets größer, dafür fand die Verteilung gerechter statt. Zeit¬
genossen schätzten im Jahre 1455 die Einkünfte Herzogs Philipp auf 900000
Dukaten. Über die gleiche Summe verfügte damals Venedig, über ein Viertel
Florenz, ein Drittel Neapel, über die Hälfte der Papst und Mailand.

Unzählige Erzeugnisse künstlerischen Fleißes, Prachthandschriften. Gemälde
und Teppiche, Gold- und Silbergeschirr, Prunkgeräte und Schmucksachen wurden
in der Schatzkammer aufgespeichert. Sie bildeten in einer Zeit, die eines
geregelten Geldverkehrs entbehrte, eine treffliche Kapitalanlage. In Stunden
der Not standen sofort als Gegenwert bedeutende Summen zur Verfügung.
Philipp der Gute legte im Schlosse zu Lille einen besonderen Kriegsschatz an.
Er ließ vortreffliche Münzen schlagen; die goldenen Philippus oder Ryder und
die silbernen Vierlander legten für die Gesundheit der wirtschaftlichen Verhält¬
nisse ein vortreffliches Zeugnis ab. —

Schon mit Philipp dem Kühnen begann der gleißende Goldstrom zu
fließen, der immer wächst, der sich ins Endlose ergießt. Voll Bewunderung
schaute das Abendland auf den burgundischen Hof, das nordische Gegenstück
der italienischen Renaissancehöfe. Ein Fest löste in bunter Reihe das andere
ab. Alle Kurzweil, welche das Jahrhundert kennt, ward getrieben. Genüsse
der Tafel wechselten in rascher Folge mit fröhlichen Jagden, kunstgerechte
Wassergänge auf dem Turnierplatz mit Aufführungen, mit Tanz und Masken¬
scherz. Doch hat man bei diesen kostspieligen Veranstaltungen nicht den Ein¬
druck des Planlosen, Unüberlegten: alles ist einem höheren Zwecke unter¬
geordnet.

In juwelenschtmmernden Geschenken suchten die Fürsten alle Herrscher zu
übertreffen. Sie sparten keine Gnadengehälter an einflußreiche Räte und
Diplomaten im In- und Auslande. Wenn sie aber nicht kargten, wenn ein
königlicher Hofhalt geführt wurde, so erhielt auch das Geschlecht, das königliche
Macht gewann, königlichen Glanz. Alle die Luxusausgaben dienten dem
„Prestige" des Hauses. Ganz Europa war Zeuge, als Philipp der Gute einen
Kreuzzug gegen die Türken unternahm und zahlte. Im schwarzen Meer, aus
der Donau wehte das burgundische Banner.

Von nah und fern kamen die Ritter, um am burgundischen Hofe eine
Lanze zu brechen. Die Vornehmsten sandten dorthin ihre Söhne, die Zucht
und Sitte lernen und sich die Sporen verdienen wollten. Verschlangen allein


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[0185] Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor mit dem größten Mißtrauen aufgenommen, und nur widerwillig beugte sich der Partikularismus vor der Maßregel des Fürsten. Daher hieß es behutsam vorgehen. Denn der burgundische Staat hatte Geld, unendlich viel Geld von dem Lande nötig. So stattlich die Domänen waren, so ansehnlich die Einkünfte aus Zöllen aller Art, aus Gerichtssporteln und Siegelgebühren usw., das alles reichte nicht aus. Der Landesherr war unbedingt auf die Steuern (Leäen, al6e8) angewiesen, welche Adel, Klerus und Städte ihm zu bewilligen hatten. Die Steuern wurden mit der Zeit ganz regelmäßig, auch stets größer, dafür fand die Verteilung gerechter statt. Zeit¬ genossen schätzten im Jahre 1455 die Einkünfte Herzogs Philipp auf 900000 Dukaten. Über die gleiche Summe verfügte damals Venedig, über ein Viertel Florenz, ein Drittel Neapel, über die Hälfte der Papst und Mailand. Unzählige Erzeugnisse künstlerischen Fleißes, Prachthandschriften. Gemälde und Teppiche, Gold- und Silbergeschirr, Prunkgeräte und Schmucksachen wurden in der Schatzkammer aufgespeichert. Sie bildeten in einer Zeit, die eines geregelten Geldverkehrs entbehrte, eine treffliche Kapitalanlage. In Stunden der Not standen sofort als Gegenwert bedeutende Summen zur Verfügung. Philipp der Gute legte im Schlosse zu Lille einen besonderen Kriegsschatz an. Er ließ vortreffliche Münzen schlagen; die goldenen Philippus oder Ryder und die silbernen Vierlander legten für die Gesundheit der wirtschaftlichen Verhält¬ nisse ein vortreffliches Zeugnis ab. — Schon mit Philipp dem Kühnen begann der gleißende Goldstrom zu fließen, der immer wächst, der sich ins Endlose ergießt. Voll Bewunderung schaute das Abendland auf den burgundischen Hof, das nordische Gegenstück der italienischen Renaissancehöfe. Ein Fest löste in bunter Reihe das andere ab. Alle Kurzweil, welche das Jahrhundert kennt, ward getrieben. Genüsse der Tafel wechselten in rascher Folge mit fröhlichen Jagden, kunstgerechte Wassergänge auf dem Turnierplatz mit Aufführungen, mit Tanz und Masken¬ scherz. Doch hat man bei diesen kostspieligen Veranstaltungen nicht den Ein¬ druck des Planlosen, Unüberlegten: alles ist einem höheren Zwecke unter¬ geordnet. In juwelenschtmmernden Geschenken suchten die Fürsten alle Herrscher zu übertreffen. Sie sparten keine Gnadengehälter an einflußreiche Räte und Diplomaten im In- und Auslande. Wenn sie aber nicht kargten, wenn ein königlicher Hofhalt geführt wurde, so erhielt auch das Geschlecht, das königliche Macht gewann, königlichen Glanz. Alle die Luxusausgaben dienten dem „Prestige" des Hauses. Ganz Europa war Zeuge, als Philipp der Gute einen Kreuzzug gegen die Türken unternahm und zahlte. Im schwarzen Meer, aus der Donau wehte das burgundische Banner. Von nah und fern kamen die Ritter, um am burgundischen Hofe eine Lanze zu brechen. Die Vornehmsten sandten dorthin ihre Söhne, die Zucht und Sitte lernen und sich die Sporen verdienen wollten. Verschlangen allein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/185>, abgerufen am 22.07.2024.