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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

restdenzen erkoren hatte. Die Brügger wieder sahen in ohnmächtiger Wut, wie
Antwerpen ihnen allgemach den Rang ablief und sich zum Handelsplatz der
Welt entwickelte.

Sollte das von Philipp dem Kähnen so glücklich begonnene Werk weiter
bestehen, so mußte die Vielheit selbständiger Staaten zu einer monarchischen
Einheit zusammen geschweißt werden. Den "ZMnä 6ne ä'oLeiäent" ließ sich
Philipp gerne nennen. "König" Philipp hätte doch einen ganz anderen Klang
gehabt. In den prächtigen miniaturenreichen Handschriften der herzoglichen
Bibliothek gab es soviel zu lesen über das alte Lotharingien, das reZnum
I^ottmrü, das einst dem Urenkel Karls des Großen zugefallen war. Die Er¬
innerung daran war nie ganz entschwunden. Noch immer nannte sich der
Brabanter stolz "ane als I^vtKier". Das stammte aus den Zeiten, heißt es
einmal, da Brabant das ganze Land zwischen Maas und Scheide umfaßte.

Das alte Zwischenreich sollte als neuburgundisches wieder aufblühen. Die
Verwirklichung schien durchaus möglich. Mißlich war nur, daß man dabei des
Kaisers bedürfte. Wie früher inbetreff der Lehnshuldigung, so wurden mit Kaiser
Friedrich dem Dritten über die Königsfrage langwierige Verhandlungen geführt.
Sie führten gleichfalls zu keinem Ergebnis. Auch die Kunst der burgundischen
Diplomaten zerschellte an der Passivität des Habsburgers. Kaiser Friedrich
unternahm nichts gegen den unrechtmäßigen Inhaber deutscher Reichslehen, der
Brabant kurzerhand für ein Allod erklärte; aber er förderte auch in keiner
Weise die ehrgeizigen Königspläne.

So mußte Philipp auf andere Weise Ersatz schaffen. Er ging daran, im
Inneren der Gebiete alles für das große Werk der Einigung vorzubereiten.
Dem städtischen Partikularismus zum Trotz, der gegen den fürstlichen Absolutis¬
mus jederzeit auf der Lauer lag, arbeitete er den Verfassungsbau des Gro߬
vaters weiter aus und strebte Zentralisation an. Nicht nur daß die einzelnen
Gebiete vortreffliche Gerichtsbehörden und Nechnungskammern erhielten, es ent¬
standen auch Behörden, deren Anordnungen für den Gesamtbesitz galten. Ein
ständiges Kollegium, der "Große Rat" trat dem Fürsten zur Seite, zunächst
Staatsrat (Ministerium) und höchster Gerichtshof, dann später unter dem Sohn
nur noch Staatsrat, neben welchem unabhängig die cour Souveräne in
Mecheln bestand.

Unter Herzog Philipp tagten zum ersten Mal (im Jahre 1463) die
"Generalstände", versammelten sich zum ersten Mal gleichzeitig alle Abgesandten
der Gebiete. Geschah dies auch in erster Linie zur Vereinfachung der Finanz¬
verwaltung, war auch die gleichzeitige Tagung der Provinzialversammlungen
weit daran entfernt, ein nationales Parlament zu bilden, so haben die General¬
stände trotzdem ihrerseits nicht unwesentlich zur Zentralisation beigetragen.
Das haben die Niederländer, die alle Neuerungen mit dem größten Argwohn
betrachteten, durchaus richtig erkannt. Die Berufung der Generalstände wurde


Wie das Deutsche Reich die Niederlande verlor

restdenzen erkoren hatte. Die Brügger wieder sahen in ohnmächtiger Wut, wie
Antwerpen ihnen allgemach den Rang ablief und sich zum Handelsplatz der
Welt entwickelte.

Sollte das von Philipp dem Kähnen so glücklich begonnene Werk weiter
bestehen, so mußte die Vielheit selbständiger Staaten zu einer monarchischen
Einheit zusammen geschweißt werden. Den „ZMnä 6ne ä'oLeiäent" ließ sich
Philipp gerne nennen. „König" Philipp hätte doch einen ganz anderen Klang
gehabt. In den prächtigen miniaturenreichen Handschriften der herzoglichen
Bibliothek gab es soviel zu lesen über das alte Lotharingien, das reZnum
I^ottmrü, das einst dem Urenkel Karls des Großen zugefallen war. Die Er¬
innerung daran war nie ganz entschwunden. Noch immer nannte sich der
Brabanter stolz „ane als I^vtKier". Das stammte aus den Zeiten, heißt es
einmal, da Brabant das ganze Land zwischen Maas und Scheide umfaßte.

Das alte Zwischenreich sollte als neuburgundisches wieder aufblühen. Die
Verwirklichung schien durchaus möglich. Mißlich war nur, daß man dabei des
Kaisers bedürfte. Wie früher inbetreff der Lehnshuldigung, so wurden mit Kaiser
Friedrich dem Dritten über die Königsfrage langwierige Verhandlungen geführt.
Sie führten gleichfalls zu keinem Ergebnis. Auch die Kunst der burgundischen
Diplomaten zerschellte an der Passivität des Habsburgers. Kaiser Friedrich
unternahm nichts gegen den unrechtmäßigen Inhaber deutscher Reichslehen, der
Brabant kurzerhand für ein Allod erklärte; aber er förderte auch in keiner
Weise die ehrgeizigen Königspläne.

So mußte Philipp auf andere Weise Ersatz schaffen. Er ging daran, im
Inneren der Gebiete alles für das große Werk der Einigung vorzubereiten.
Dem städtischen Partikularismus zum Trotz, der gegen den fürstlichen Absolutis¬
mus jederzeit auf der Lauer lag, arbeitete er den Verfassungsbau des Gro߬
vaters weiter aus und strebte Zentralisation an. Nicht nur daß die einzelnen
Gebiete vortreffliche Gerichtsbehörden und Nechnungskammern erhielten, es ent¬
standen auch Behörden, deren Anordnungen für den Gesamtbesitz galten. Ein
ständiges Kollegium, der „Große Rat" trat dem Fürsten zur Seite, zunächst
Staatsrat (Ministerium) und höchster Gerichtshof, dann später unter dem Sohn
nur noch Staatsrat, neben welchem unabhängig die cour Souveräne in
Mecheln bestand.

Unter Herzog Philipp tagten zum ersten Mal (im Jahre 1463) die
„Generalstände", versammelten sich zum ersten Mal gleichzeitig alle Abgesandten
der Gebiete. Geschah dies auch in erster Linie zur Vereinfachung der Finanz¬
verwaltung, war auch die gleichzeitige Tagung der Provinzialversammlungen
weit daran entfernt, ein nationales Parlament zu bilden, so haben die General¬
stände trotzdem ihrerseits nicht unwesentlich zur Zentralisation beigetragen.
Das haben die Niederländer, die alle Neuerungen mit dem größten Argwohn
betrachteten, durchaus richtig erkannt. Die Berufung der Generalstände wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/184>, abgerufen am 24.08.2024.