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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Binncnmeerpolitik in den Gzecmen

das Ägäische Meer. An dieses stößt östlich das Marmarameer; es führt in die
magenartige Höhlung des Schwarzen Meeres, das für den Süden Europas
dieselbe Rolle spielt wie die Ostsee für den Norden. Der Westteil des Ostbeckens
wird von Italien, der Balkanhalbinsel, Kreta und der nordafrikanischen Küste
umschlossen. Die Rolle des Zubringers spielt hier das Adriatische Binnenmeer,
auf dem der Weg aus Mitteleuropa durch die Ionische Binnensee in die südlich
gelegene Schale des westlichen Teils des Ostbeckens führt.

Das Westbecken des Mittelmeeres weist eine deutliche Dreiteilung auf. Der
südliche Teil dehnt sich schlauchartig zwischen der Mischen Meerenge und der
Straße von Gibraltar aus. Seine Nordgrenze wird durch die Südküste Sardiniens
und die Belearen bezeichnet. Darauf lagern das Dreieck des Tyrrhenischen
Meeres und die spanisch-französische See nördlich der Belearen und westlich
von Sardinien und Korsika, die sich mit dem Golfe von Lion in das Festland der
Biscayschen See entgegen bohrt. Mit der Straße von Gibraltar wird der Ring
der Binnenmeere um die Erde geschlossen.

In der Nordsee, dem Mittelpunkt der Erdfeste, ist das Deutsche Reich tief
in den östlichen Winkel hineingedrückt. Es hat an beiden Ausgängen nach der
Nordsee keinen Stützpunkt. Mit seiner überlegenen Flotte hat England für beide
Tore den Schlüssel in der Hand. Man könnte behaupten, daß Rußland in der
Ostsee in gleicher Weise uns gegenüber benachteiligt sei. Aber unsere Macht¬
stellung an diesem Binnensee ist doch nicht die gleich günstige, wie sie England
an der Nordsee hat. Denn der einzige natürliche Ausgang aus der Ostsee, der
Sund, liegt nicht in unseren: Hoheitsbereich. Wir haben uns selbst einen künst¬
lichen Ausweg aus dem Ostseesack schaffen müssen durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal.

Im Atlantischen Ozean geht die Fahrt nach Amerika durch das Becken,
das von England, Frankreich und der Pyrenäenhalbinsel im Osten, durch die
Azoren und Bermudasinseln im Süden, durch Neufundland und Kanada im
Norden und durch die Vereinigten Staaten im Westen eingerahmt wird. In
diesem Gewässer hat Deutschland keinen einzigen Stützpunkt, aber auch nicht
einmal einen zuverlässigen, unbedingten Freund. England und sein Anhang
haben hier eine übermächtige Vorzugsstellung. Nicht viel besser ist es an den
übrigen Binnenseen des atlantischen Systems. An der Küste Marokkos hat uns
Englands Eifersucht die Niederlassung verrammelt. Kamerun ist abseits gepreßt,
und Südwestafrika mit natürlichen Schutzhäfen allzu stiefmütterlich bedacht.

Die Durchfahrt durch Mittelamerika ist unserer Einwirkung ganz entzogen,
nicht aber der britischen und französischen, die sich von westindischen Inseln aus
immerhin geltend machen kann.

Etwas freigebiger hatte uns die geschichtliche Entwicklung im Stillen
Ozean mit Kolonien bedacht. Wir hatten im Norden Kiautschau, saßen in der
Südsee auf Neu-Guinea, dem Bismarckarchipel und Samoa und verfügten auf
der Scheide zwischen beiden Meereshälfteu über die ziemlich langgestreckte Insel-
reihe von den Marschall- bis zu den Palauinseln. Aber die Übermacht einmal


Binncnmeerpolitik in den Gzecmen

das Ägäische Meer. An dieses stößt östlich das Marmarameer; es führt in die
magenartige Höhlung des Schwarzen Meeres, das für den Süden Europas
dieselbe Rolle spielt wie die Ostsee für den Norden. Der Westteil des Ostbeckens
wird von Italien, der Balkanhalbinsel, Kreta und der nordafrikanischen Küste
umschlossen. Die Rolle des Zubringers spielt hier das Adriatische Binnenmeer,
auf dem der Weg aus Mitteleuropa durch die Ionische Binnensee in die südlich
gelegene Schale des westlichen Teils des Ostbeckens führt.

Das Westbecken des Mittelmeeres weist eine deutliche Dreiteilung auf. Der
südliche Teil dehnt sich schlauchartig zwischen der Mischen Meerenge und der
Straße von Gibraltar aus. Seine Nordgrenze wird durch die Südküste Sardiniens
und die Belearen bezeichnet. Darauf lagern das Dreieck des Tyrrhenischen
Meeres und die spanisch-französische See nördlich der Belearen und westlich
von Sardinien und Korsika, die sich mit dem Golfe von Lion in das Festland der
Biscayschen See entgegen bohrt. Mit der Straße von Gibraltar wird der Ring
der Binnenmeere um die Erde geschlossen.

In der Nordsee, dem Mittelpunkt der Erdfeste, ist das Deutsche Reich tief
in den östlichen Winkel hineingedrückt. Es hat an beiden Ausgängen nach der
Nordsee keinen Stützpunkt. Mit seiner überlegenen Flotte hat England für beide
Tore den Schlüssel in der Hand. Man könnte behaupten, daß Rußland in der
Ostsee in gleicher Weise uns gegenüber benachteiligt sei. Aber unsere Macht¬
stellung an diesem Binnensee ist doch nicht die gleich günstige, wie sie England
an der Nordsee hat. Denn der einzige natürliche Ausgang aus der Ostsee, der
Sund, liegt nicht in unseren: Hoheitsbereich. Wir haben uns selbst einen künst¬
lichen Ausweg aus dem Ostseesack schaffen müssen durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal.

Im Atlantischen Ozean geht die Fahrt nach Amerika durch das Becken,
das von England, Frankreich und der Pyrenäenhalbinsel im Osten, durch die
Azoren und Bermudasinseln im Süden, durch Neufundland und Kanada im
Norden und durch die Vereinigten Staaten im Westen eingerahmt wird. In
diesem Gewässer hat Deutschland keinen einzigen Stützpunkt, aber auch nicht
einmal einen zuverlässigen, unbedingten Freund. England und sein Anhang
haben hier eine übermächtige Vorzugsstellung. Nicht viel besser ist es an den
übrigen Binnenseen des atlantischen Systems. An der Küste Marokkos hat uns
Englands Eifersucht die Niederlassung verrammelt. Kamerun ist abseits gepreßt,
und Südwestafrika mit natürlichen Schutzhäfen allzu stiefmütterlich bedacht.

Die Durchfahrt durch Mittelamerika ist unserer Einwirkung ganz entzogen,
nicht aber der britischen und französischen, die sich von westindischen Inseln aus
immerhin geltend machen kann.

Etwas freigebiger hatte uns die geschichtliche Entwicklung im Stillen
Ozean mit Kolonien bedacht. Wir hatten im Norden Kiautschau, saßen in der
Südsee auf Neu-Guinea, dem Bismarckarchipel und Samoa und verfügten auf
der Scheide zwischen beiden Meereshälfteu über die ziemlich langgestreckte Insel-
reihe von den Marschall- bis zu den Palauinseln. Aber die Übermacht einmal


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[0177] Binncnmeerpolitik in den Gzecmen das Ägäische Meer. An dieses stößt östlich das Marmarameer; es führt in die magenartige Höhlung des Schwarzen Meeres, das für den Süden Europas dieselbe Rolle spielt wie die Ostsee für den Norden. Der Westteil des Ostbeckens wird von Italien, der Balkanhalbinsel, Kreta und der nordafrikanischen Küste umschlossen. Die Rolle des Zubringers spielt hier das Adriatische Binnenmeer, auf dem der Weg aus Mitteleuropa durch die Ionische Binnensee in die südlich gelegene Schale des westlichen Teils des Ostbeckens führt. Das Westbecken des Mittelmeeres weist eine deutliche Dreiteilung auf. Der südliche Teil dehnt sich schlauchartig zwischen der Mischen Meerenge und der Straße von Gibraltar aus. Seine Nordgrenze wird durch die Südküste Sardiniens und die Belearen bezeichnet. Darauf lagern das Dreieck des Tyrrhenischen Meeres und die spanisch-französische See nördlich der Belearen und westlich von Sardinien und Korsika, die sich mit dem Golfe von Lion in das Festland der Biscayschen See entgegen bohrt. Mit der Straße von Gibraltar wird der Ring der Binnenmeere um die Erde geschlossen. In der Nordsee, dem Mittelpunkt der Erdfeste, ist das Deutsche Reich tief in den östlichen Winkel hineingedrückt. Es hat an beiden Ausgängen nach der Nordsee keinen Stützpunkt. Mit seiner überlegenen Flotte hat England für beide Tore den Schlüssel in der Hand. Man könnte behaupten, daß Rußland in der Ostsee in gleicher Weise uns gegenüber benachteiligt sei. Aber unsere Macht¬ stellung an diesem Binnensee ist doch nicht die gleich günstige, wie sie England an der Nordsee hat. Denn der einzige natürliche Ausgang aus der Ostsee, der Sund, liegt nicht in unseren: Hoheitsbereich. Wir haben uns selbst einen künst¬ lichen Ausweg aus dem Ostseesack schaffen müssen durch den Kaiser-Wilhelm-Kanal. Im Atlantischen Ozean geht die Fahrt nach Amerika durch das Becken, das von England, Frankreich und der Pyrenäenhalbinsel im Osten, durch die Azoren und Bermudasinseln im Süden, durch Neufundland und Kanada im Norden und durch die Vereinigten Staaten im Westen eingerahmt wird. In diesem Gewässer hat Deutschland keinen einzigen Stützpunkt, aber auch nicht einmal einen zuverlässigen, unbedingten Freund. England und sein Anhang haben hier eine übermächtige Vorzugsstellung. Nicht viel besser ist es an den übrigen Binnenseen des atlantischen Systems. An der Küste Marokkos hat uns Englands Eifersucht die Niederlassung verrammelt. Kamerun ist abseits gepreßt, und Südwestafrika mit natürlichen Schutzhäfen allzu stiefmütterlich bedacht. Die Durchfahrt durch Mittelamerika ist unserer Einwirkung ganz entzogen, nicht aber der britischen und französischen, die sich von westindischen Inseln aus immerhin geltend machen kann. Etwas freigebiger hatte uns die geschichtliche Entwicklung im Stillen Ozean mit Kolonien bedacht. Wir hatten im Norden Kiautschau, saßen in der Südsee auf Neu-Guinea, dem Bismarckarchipel und Samoa und verfügten auf der Scheide zwischen beiden Meereshälfteu über die ziemlich langgestreckte Insel- reihe von den Marschall- bis zu den Palauinseln. Aber die Übermacht einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/177>, abgerufen am 22.07.2024.