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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Ariegslitercitur

In Heft 2 bietet Professor Dr. M. Horten dem Leser einen interessanten
Einblick in "die islamische Geisteskultur", die durchaus nicht mit der naiven
Welterfassung, wie sie der Koran bietet, abgeschlossen blieb, sondern sich weiter¬
entwickelt und "auf dem naiven Weltbilde des Koran ..... eine höchste
Schicht aufgebaut hat, die den höchsten Spitzen der griechischen Kultur . . . ,
nicht nachsteht".

Als drittes Heft erschien eine Arbeit von Professor Dr. Freiherrn von
Lichtenberg "Cypern und die Engländer". Der Verfasser schildert die ent¬
setzlichen Zustände, die seit der Besetzung dieser Insel durch die Engländer dort
herrschen. Die Schlußforderung jedoch, die der Verfasser aus dem Verhalten
der Engländer in Cypern und Ägypten auf die britische Kolonialpolitik im
allgemeinen zieht, nämlich daß das Benehmen der Engländer in allen ihren
Kolonien gleich selbstsüchtig und unmenschlich ist, dürfte wohl etwas zu schwarz
fein. Gewiß hat England, wie überall, auch in seinen Kolonien stets Real¬
politik getrieben, doch hat sich das System der englischen Kolonialpolitik im
Laufe des neunzehnten Jahrhunderts sehr zum Guten geändert. Von der allge¬
meinen gewaltigen Regung unter den von England geknechteten Völkern, von der
Lichtenberg spricht, ist daher vorläufig nicht viel zu merken; denn noch kämpfen
Inder, Papuas, Betschuana-Neger, und wie die "Kulturvölker" alle heißen
mögen, gegen uns und unsere Bundesgenossen in Frankreich und an den
Dardanellen.

Professor Dr. F. Bork unternimmt es im Heft 4 der Sammlung, in
knapper, anregender Weise Charakter und Lebensgewohnheiten des georgischen
Volkes zu untersuchen, des Volkes, das Jahrhunderte hindurch in Kaukasien
der Träger eines unabhängigen Staatswesens war. Der Verfasser hält es
nicht für ausgeschlossen, daß, falls der Krieg für die Türkei einen günstigen
Ausgang nimmt, Georgien ein südkaukastscher Pufferstaat gegen Rußland wird
und zusammen mit einem etwa neu zu begründenden mohammedanischen Kau¬
kasien eine neutrale Grenzzone zwischen Rußland und der Türkei zu bilden
berufen wäre.

Das fünfte Heft ist der arabischen Frage gewidmet, derjenigen Frage, die
-- wie der Verfasser Dr. Max Roloff mit Recht hervorhebt -- für Gegen¬
wart und Zukunft die bei weitem wichtigste Frage für das osmanische Reich
ist. und deren Lösung in Angriff genommen werden muß. wenn anders die
Türkei, deren Schwerpunkt nach den Balkankriegen endgültig nach Asien ver¬
legt ist, innerlich gesunden soll. Die vorliegende Schrift gibt wertvolle Finger¬
zeige zur Lösung dieser Frage: vor allem müssen die Gegensätze zwischen
Osmanen und Arabern verschwinden.

Einen interessanten Überblick über "Die deutsche Forschung in Türkisch-
Vorderasien" gibt der Würzburger Universitätsprofessor Dr. Fritz Regel im
siebenten Heft. Im achten Heft beschäftigt sich Davis Trietsch mit den "Juden
der Türkei", in denen er das beste Bindeglied zwischen Deutschland, Österreich


Ariegslitercitur

In Heft 2 bietet Professor Dr. M. Horten dem Leser einen interessanten
Einblick in „die islamische Geisteskultur", die durchaus nicht mit der naiven
Welterfassung, wie sie der Koran bietet, abgeschlossen blieb, sondern sich weiter¬
entwickelt und „auf dem naiven Weltbilde des Koran ..... eine höchste
Schicht aufgebaut hat, die den höchsten Spitzen der griechischen Kultur . . . ,
nicht nachsteht".

Als drittes Heft erschien eine Arbeit von Professor Dr. Freiherrn von
Lichtenberg „Cypern und die Engländer". Der Verfasser schildert die ent¬
setzlichen Zustände, die seit der Besetzung dieser Insel durch die Engländer dort
herrschen. Die Schlußforderung jedoch, die der Verfasser aus dem Verhalten
der Engländer in Cypern und Ägypten auf die britische Kolonialpolitik im
allgemeinen zieht, nämlich daß das Benehmen der Engländer in allen ihren
Kolonien gleich selbstsüchtig und unmenschlich ist, dürfte wohl etwas zu schwarz
fein. Gewiß hat England, wie überall, auch in seinen Kolonien stets Real¬
politik getrieben, doch hat sich das System der englischen Kolonialpolitik im
Laufe des neunzehnten Jahrhunderts sehr zum Guten geändert. Von der allge¬
meinen gewaltigen Regung unter den von England geknechteten Völkern, von der
Lichtenberg spricht, ist daher vorläufig nicht viel zu merken; denn noch kämpfen
Inder, Papuas, Betschuana-Neger, und wie die „Kulturvölker" alle heißen
mögen, gegen uns und unsere Bundesgenossen in Frankreich und an den
Dardanellen.

Professor Dr. F. Bork unternimmt es im Heft 4 der Sammlung, in
knapper, anregender Weise Charakter und Lebensgewohnheiten des georgischen
Volkes zu untersuchen, des Volkes, das Jahrhunderte hindurch in Kaukasien
der Träger eines unabhängigen Staatswesens war. Der Verfasser hält es
nicht für ausgeschlossen, daß, falls der Krieg für die Türkei einen günstigen
Ausgang nimmt, Georgien ein südkaukastscher Pufferstaat gegen Rußland wird
und zusammen mit einem etwa neu zu begründenden mohammedanischen Kau¬
kasien eine neutrale Grenzzone zwischen Rußland und der Türkei zu bilden
berufen wäre.

Das fünfte Heft ist der arabischen Frage gewidmet, derjenigen Frage, die
— wie der Verfasser Dr. Max Roloff mit Recht hervorhebt — für Gegen¬
wart und Zukunft die bei weitem wichtigste Frage für das osmanische Reich
ist. und deren Lösung in Angriff genommen werden muß. wenn anders die
Türkei, deren Schwerpunkt nach den Balkankriegen endgültig nach Asien ver¬
legt ist, innerlich gesunden soll. Die vorliegende Schrift gibt wertvolle Finger¬
zeige zur Lösung dieser Frage: vor allem müssen die Gegensätze zwischen
Osmanen und Arabern verschwinden.

Einen interessanten Überblick über „Die deutsche Forschung in Türkisch-
Vorderasien" gibt der Würzburger Universitätsprofessor Dr. Fritz Regel im
siebenten Heft. Im achten Heft beschäftigt sich Davis Trietsch mit den „Juden
der Türkei", in denen er das beste Bindeglied zwischen Deutschland, Österreich


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[0161] Ariegslitercitur In Heft 2 bietet Professor Dr. M. Horten dem Leser einen interessanten Einblick in „die islamische Geisteskultur", die durchaus nicht mit der naiven Welterfassung, wie sie der Koran bietet, abgeschlossen blieb, sondern sich weiter¬ entwickelt und „auf dem naiven Weltbilde des Koran ..... eine höchste Schicht aufgebaut hat, die den höchsten Spitzen der griechischen Kultur . . . , nicht nachsteht". Als drittes Heft erschien eine Arbeit von Professor Dr. Freiherrn von Lichtenberg „Cypern und die Engländer". Der Verfasser schildert die ent¬ setzlichen Zustände, die seit der Besetzung dieser Insel durch die Engländer dort herrschen. Die Schlußforderung jedoch, die der Verfasser aus dem Verhalten der Engländer in Cypern und Ägypten auf die britische Kolonialpolitik im allgemeinen zieht, nämlich daß das Benehmen der Engländer in allen ihren Kolonien gleich selbstsüchtig und unmenschlich ist, dürfte wohl etwas zu schwarz fein. Gewiß hat England, wie überall, auch in seinen Kolonien stets Real¬ politik getrieben, doch hat sich das System der englischen Kolonialpolitik im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts sehr zum Guten geändert. Von der allge¬ meinen gewaltigen Regung unter den von England geknechteten Völkern, von der Lichtenberg spricht, ist daher vorläufig nicht viel zu merken; denn noch kämpfen Inder, Papuas, Betschuana-Neger, und wie die „Kulturvölker" alle heißen mögen, gegen uns und unsere Bundesgenossen in Frankreich und an den Dardanellen. Professor Dr. F. Bork unternimmt es im Heft 4 der Sammlung, in knapper, anregender Weise Charakter und Lebensgewohnheiten des georgischen Volkes zu untersuchen, des Volkes, das Jahrhunderte hindurch in Kaukasien der Träger eines unabhängigen Staatswesens war. Der Verfasser hält es nicht für ausgeschlossen, daß, falls der Krieg für die Türkei einen günstigen Ausgang nimmt, Georgien ein südkaukastscher Pufferstaat gegen Rußland wird und zusammen mit einem etwa neu zu begründenden mohammedanischen Kau¬ kasien eine neutrale Grenzzone zwischen Rußland und der Türkei zu bilden berufen wäre. Das fünfte Heft ist der arabischen Frage gewidmet, derjenigen Frage, die — wie der Verfasser Dr. Max Roloff mit Recht hervorhebt — für Gegen¬ wart und Zukunft die bei weitem wichtigste Frage für das osmanische Reich ist. und deren Lösung in Angriff genommen werden muß. wenn anders die Türkei, deren Schwerpunkt nach den Balkankriegen endgültig nach Asien ver¬ legt ist, innerlich gesunden soll. Die vorliegende Schrift gibt wertvolle Finger¬ zeige zur Lösung dieser Frage: vor allem müssen die Gegensätze zwischen Osmanen und Arabern verschwinden. Einen interessanten Überblick über „Die deutsche Forschung in Türkisch- Vorderasien" gibt der Würzburger Universitätsprofessor Dr. Fritz Regel im siebenten Heft. Im achten Heft beschäftigt sich Davis Trietsch mit den „Juden der Türkei", in denen er das beste Bindeglied zwischen Deutschland, Österreich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/161>, abgerufen am 27.12.2024.