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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Der Ministerwechsel in Rußland

zu einem gewissen Grade in diese Kämpfe verwoben, weil im letzten Stadium
des Konflikts zwischen Bischof Barnabas und Samarin das Volk fühlte, daß
es sich nicht um einen Kampf zwischen Personen, sondern um Prinzipien
handelte, daß Barnabas, gedeckt vom Zaren, im Bunde mit Nasputin, das
alte Prinzip der selbstherrlichen Gewalt verkörperte, die, wenn es nottut, auf
die Gesetze pfeift, Samarin. der keinen Schritt breit von seiner Position wich, und
lieber abging, als daß er Rasputin auch nur empfing, für Recht und Ordnung
eintrat. Die russische Gesellschaft hat daher von Beginn des Konfliktes an für
Samarin Partei ergriffen, was aus den schüchternen Äußerungen der Blätter,
die sehr durch die Blume sprechen mußten, weil es sich um die Person des
Zaren handelte, deutlich zu erkennen war.

Die Berufung von Chwostow anstelle von Schtscherbatow hatte weit
größere Bedeutung. Schtscherbatow hatte wohl, als er trotz der Goremykinschen
Maßregeln im Kabinett blieb, gehofft, er würde das Fiasko Goremykms erleben
und bei der Bildung eines neuen Ministeriums mitwirken. Je weiter die
Ereignisse fortschritten, je klarer sich der Kurs von Goremnkin abzeichnete, umso
mehr schwand diese Hoffnung. Er hatte in der letzten Zeit, und zwar nicht
nur ini Freundeskreise, öfter geäußert, er hätte nur noch den einen Wunsch,
daß man ihn möglichst bald entlasse. Das Zeug, den Kurs der Regierung
nach seinem Willen zu beeinflussen, hat er nicht gehabt. Kompromißpolitik, d. h.
praktische Politik, hat er nicht treiben wollen. So blieb nur sein Abgang übrig.

Chwostows Persönlichkeit und seine politische Gestalt lassen sich für uns
vielleicht am besten charakterisieren, wenn wir ihn mit Herrn von H?ydebrandt
in Preußen vergleichen. Er war der Vorsitzende der Fraktion der Rechten in
der Duma, ist wenig aufgetreten, hat aber gehandelt, wo es im Interesse
seiner Partei zu handeln gab. Er hat im ganzen nur vier Reden in der Duma
gehalten, die aber alle sehr beachtet worden sind. Die letzte hatte den Abgang
von Dschunkowski, des Gehülfen des früheren Ministers des Jrmcrn, zur
Folge. Chwostow ist ein Gegner von Bark und Sasonow. Kriwosche'in hat
offenbar im Vorgefühl, daß seine Stellung und seine politischen Aussichten
durch Chwostow unmöglich gemacht werden könnten, um seinen Abschied gebeten.
Versteht es Chwostow, seine Stellung zu befestigen, so ist nicht ausgeschlossen,
daß andere Minister folgen. Denn das Ministerium des Innern und sein
Leiter machen in Nußland das Wetter.

Die Erklärungen Chwostows vor den Vertretern der Presse sind von den
englischen Zeitungen, denen nichts peinlicher ist als die Rechtsorientierung des
Russischen Kabinetts, ostentativ zur Beruhigung der englischen Leser als An¬
zeichen eines liberaleren Kurses in Rußland gedeutet worden. Das Gegenteil
davon ist natürlich der Fall. Alles was Chwostow gesagt hat, waren Worte,
nichts als Worte, die nicht einmal die Negierung verpflichten. Nur in einer
Richtung hin haben sie eine gewisse symptomatische Bedeutung. Man merkt
in ihnen das in der ganzen letzten Zeit in der russischen offiziösen Presse her-


Der Ministerwechsel in Rußland

zu einem gewissen Grade in diese Kämpfe verwoben, weil im letzten Stadium
des Konflikts zwischen Bischof Barnabas und Samarin das Volk fühlte, daß
es sich nicht um einen Kampf zwischen Personen, sondern um Prinzipien
handelte, daß Barnabas, gedeckt vom Zaren, im Bunde mit Nasputin, das
alte Prinzip der selbstherrlichen Gewalt verkörperte, die, wenn es nottut, auf
die Gesetze pfeift, Samarin. der keinen Schritt breit von seiner Position wich, und
lieber abging, als daß er Rasputin auch nur empfing, für Recht und Ordnung
eintrat. Die russische Gesellschaft hat daher von Beginn des Konfliktes an für
Samarin Partei ergriffen, was aus den schüchternen Äußerungen der Blätter,
die sehr durch die Blume sprechen mußten, weil es sich um die Person des
Zaren handelte, deutlich zu erkennen war.

Die Berufung von Chwostow anstelle von Schtscherbatow hatte weit
größere Bedeutung. Schtscherbatow hatte wohl, als er trotz der Goremykinschen
Maßregeln im Kabinett blieb, gehofft, er würde das Fiasko Goremykms erleben
und bei der Bildung eines neuen Ministeriums mitwirken. Je weiter die
Ereignisse fortschritten, je klarer sich der Kurs von Goremnkin abzeichnete, umso
mehr schwand diese Hoffnung. Er hatte in der letzten Zeit, und zwar nicht
nur ini Freundeskreise, öfter geäußert, er hätte nur noch den einen Wunsch,
daß man ihn möglichst bald entlasse. Das Zeug, den Kurs der Regierung
nach seinem Willen zu beeinflussen, hat er nicht gehabt. Kompromißpolitik, d. h.
praktische Politik, hat er nicht treiben wollen. So blieb nur sein Abgang übrig.

Chwostows Persönlichkeit und seine politische Gestalt lassen sich für uns
vielleicht am besten charakterisieren, wenn wir ihn mit Herrn von H?ydebrandt
in Preußen vergleichen. Er war der Vorsitzende der Fraktion der Rechten in
der Duma, ist wenig aufgetreten, hat aber gehandelt, wo es im Interesse
seiner Partei zu handeln gab. Er hat im ganzen nur vier Reden in der Duma
gehalten, die aber alle sehr beachtet worden sind. Die letzte hatte den Abgang
von Dschunkowski, des Gehülfen des früheren Ministers des Jrmcrn, zur
Folge. Chwostow ist ein Gegner von Bark und Sasonow. Kriwosche'in hat
offenbar im Vorgefühl, daß seine Stellung und seine politischen Aussichten
durch Chwostow unmöglich gemacht werden könnten, um seinen Abschied gebeten.
Versteht es Chwostow, seine Stellung zu befestigen, so ist nicht ausgeschlossen,
daß andere Minister folgen. Denn das Ministerium des Innern und sein
Leiter machen in Nußland das Wetter.

Die Erklärungen Chwostows vor den Vertretern der Presse sind von den
englischen Zeitungen, denen nichts peinlicher ist als die Rechtsorientierung des
Russischen Kabinetts, ostentativ zur Beruhigung der englischen Leser als An¬
zeichen eines liberaleren Kurses in Rußland gedeutet worden. Das Gegenteil
davon ist natürlich der Fall. Alles was Chwostow gesagt hat, waren Worte,
nichts als Worte, die nicht einmal die Negierung verpflichten. Nur in einer
Richtung hin haben sie eine gewisse symptomatische Bedeutung. Man merkt
in ihnen das in der ganzen letzten Zeit in der russischen offiziösen Presse her-


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[0142] Der Ministerwechsel in Rußland zu einem gewissen Grade in diese Kämpfe verwoben, weil im letzten Stadium des Konflikts zwischen Bischof Barnabas und Samarin das Volk fühlte, daß es sich nicht um einen Kampf zwischen Personen, sondern um Prinzipien handelte, daß Barnabas, gedeckt vom Zaren, im Bunde mit Nasputin, das alte Prinzip der selbstherrlichen Gewalt verkörperte, die, wenn es nottut, auf die Gesetze pfeift, Samarin. der keinen Schritt breit von seiner Position wich, und lieber abging, als daß er Rasputin auch nur empfing, für Recht und Ordnung eintrat. Die russische Gesellschaft hat daher von Beginn des Konfliktes an für Samarin Partei ergriffen, was aus den schüchternen Äußerungen der Blätter, die sehr durch die Blume sprechen mußten, weil es sich um die Person des Zaren handelte, deutlich zu erkennen war. Die Berufung von Chwostow anstelle von Schtscherbatow hatte weit größere Bedeutung. Schtscherbatow hatte wohl, als er trotz der Goremykinschen Maßregeln im Kabinett blieb, gehofft, er würde das Fiasko Goremykms erleben und bei der Bildung eines neuen Ministeriums mitwirken. Je weiter die Ereignisse fortschritten, je klarer sich der Kurs von Goremnkin abzeichnete, umso mehr schwand diese Hoffnung. Er hatte in der letzten Zeit, und zwar nicht nur ini Freundeskreise, öfter geäußert, er hätte nur noch den einen Wunsch, daß man ihn möglichst bald entlasse. Das Zeug, den Kurs der Regierung nach seinem Willen zu beeinflussen, hat er nicht gehabt. Kompromißpolitik, d. h. praktische Politik, hat er nicht treiben wollen. So blieb nur sein Abgang übrig. Chwostows Persönlichkeit und seine politische Gestalt lassen sich für uns vielleicht am besten charakterisieren, wenn wir ihn mit Herrn von H?ydebrandt in Preußen vergleichen. Er war der Vorsitzende der Fraktion der Rechten in der Duma, ist wenig aufgetreten, hat aber gehandelt, wo es im Interesse seiner Partei zu handeln gab. Er hat im ganzen nur vier Reden in der Duma gehalten, die aber alle sehr beachtet worden sind. Die letzte hatte den Abgang von Dschunkowski, des Gehülfen des früheren Ministers des Jrmcrn, zur Folge. Chwostow ist ein Gegner von Bark und Sasonow. Kriwosche'in hat offenbar im Vorgefühl, daß seine Stellung und seine politischen Aussichten durch Chwostow unmöglich gemacht werden könnten, um seinen Abschied gebeten. Versteht es Chwostow, seine Stellung zu befestigen, so ist nicht ausgeschlossen, daß andere Minister folgen. Denn das Ministerium des Innern und sein Leiter machen in Nußland das Wetter. Die Erklärungen Chwostows vor den Vertretern der Presse sind von den englischen Zeitungen, denen nichts peinlicher ist als die Rechtsorientierung des Russischen Kabinetts, ostentativ zur Beruhigung der englischen Leser als An¬ zeichen eines liberaleren Kurses in Rußland gedeutet worden. Das Gegenteil davon ist natürlich der Fall. Alles was Chwostow gesagt hat, waren Worte, nichts als Worte, die nicht einmal die Negierung verpflichten. Nur in einer Richtung hin haben sie eine gewisse symptomatische Bedeutung. Man merkt in ihnen das in der ganzen letzten Zeit in der russischen offiziösen Presse her-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/142>, abgerufen am 22.07.2024.