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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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bergischen Armee aufzugeben und zum Schutze
von Paris herbeizueilen. Auch andere Männer,
die die Poluläre Tradition zu verdammen
Pflegt, finden in ihm einen gerechten und
sachlich urteilenden Richter. Männer, wie
Bernadotte, Vandamme, Davout. Diesem,
dein "Henker Hamburgs", über dessen un¬
menschliche Härte die verweichlichten Bewohner
der kriegsungcwohnten Handelsstadt bittere
Klage führten, stellt er ein glänzendes
Zeugnis aus. Er habe nur seine Pflicht als
Kommandant einer belagerten Festung erfüllt.
Die von ihm geübte Strenge sei durch die
Notwendigkeit geboten gewesen, und nach
Möglichkeit habe er die Leiden der Bewohner¬
schaft zu mildern gesucht. Ein Mann von
makellosen und ehrenhaften, Charakter, habe er
es nicht verdient, bis in die neueste Zeit als
der grausamste und unerbittlichste französische
Heerführer verschrien gewesen zu sein.

Am Ende des zweiten Bandes erörtert
Friedrich die Ursachen, die das Unterliegen
Napoleons im entscheidenden Herbstfeldzug
1313 herbeiführten. Napoleon begann den
Feldzug an der Spitze einer Armee von
440 000 Mann. Die geringe Überlegenheit
an Zahl, die die Verbündeten auswiesen (die
Zahl ihrer Streiter betrug etwa eine halbe
Million) wurde reichlich aufgewogen durch
die Einheitlichkeit des Oberbefehls auf
französischer Seite und das überragende Feld¬
herrngenie des Führers. Ließ die Qualität
der Truppen Napoleons viel zu wünschen übrig,
so bestanden doch auch die feindlichen Heere zum
größeren Teil aus Milizen und Rekruten. Und
wenige Wochen später flüchtet die napoleonische
Armee, auf 80 000 Mann zusammenge¬
schmolzen, total geschlagen über den Rhein!
Friederich sieht den Hauptgrund der Nieder¬
lage, wie schon beim russischen Feldzug, darin,
daß eben die Kulturmittel der Zeit, die weder
Eisenbahnen noch Telegraphen kannten, zur
Führung und Verpflegung solcher Riesenheere
nicht ausreichten. Ungenügende Ernährung
der Massen, ganz unzureichende Fürsorge für
Verwundete und Kranke ließen die Armee
zusammenschmelzen wie Schnee vor derSvnne.
Die Führer der Nebenheere waren zum
selbständigen Handeln nicht erzogen, sie vom
Hauptquartier aus zu leiten war nicht möglich.
Naturgemäß hatten die Verbündeten unter

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diesen Übelständen weniger zu leiden. Ihre
Heere operierten von Anfang an getrennt,
hatten getrennte Operationsbasen und ein
weit größeres Hinterland, als die auf ver¬
hältnismäßig engen Raum zusammendrängte
napoleonische Armee. Sie hatten den Vorteil,
ini eigenen Lande zu kämpfen. Sie wurden
von den Bewohnern unterstützt, Verpflegungs¬
mittel flössen ihnen viel reichlicher zu. Die
Kranken und Verwundeten ließen sich in dem
weiten Hinterlands bequemer unterbringen.
Der Ersatz war leichter. Dazu kam die'
größere Physische Widerstandsfähigkeit ihres
Soldatenmaterinls; der Franzosenhaß, der
ihre Truppen die Strapazen des Feldzugs
leichter ertragen ließ. Und schließlich waren
die Führer ihrer Armeen von vornherein an
größere Selbständigkeit gewöhnt. Trotz allem
bedürfte es unerhörter Anstrengung, den
Titanen, dessen Regiment nicht nur in
Preußen und Deutschland, sondern in ganz
Europa als unerträglicher Druck empfunden
wurde, zu Fall zu bringen. "Daß hierbei
Preußens Volk und Armee an erster Stelle
standen, ist selbst von ausländischen Geschichts¬
schreibern offen anerkannt worden." Allein
"der ganze Völkerzorn und Völkergrimm des
geeinten Europas mußten zusammenwirken,
um einen Mann wie Napoleon hinter den
Rhein zurückzujagen; nicht einmal die 24000
Schweden wären zu entbehren gewesen"
(It., S. 42ö).

Von hohem Reiz sind die Charaklerzeichnun-
gen der führenden Persönlichkeiten bei den Ver¬
bündeten. Wir nennen die Friedrich Wilhelms
des Dritten und Zar Alexanders, die der Heer¬
führer Blücher, Gneisenau.Bülow, Schwarzen¬
berg, Wellington. Die Zeiten sind ja vor¬
über, da man im Marschall Vorwärts nur
den wackeren Haudegen sah, der unverzagt
das ausführte, was der "Kopf" der Armee,
Gneisenau, ihm eingab. Friederich wird der
Bedeutung des genialen Gneisenau durchaus
gerecht, hebt aber nachdrücklich die großen
Führereigenschaften Blüchers hervor. Seine
Furchtlosigkeit und Verantwortungsfreudigkeit,
sein unbezwinglicher Wille zum Sieg und sein
unerschütterlicher Glaube an den endlichen
Sieg sind für den schließlichen Erfolg ent¬
scheidend gewesen. Friederich bestätigt die
populäre Auffassung, die in Blücher den

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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bergischen Armee aufzugeben und zum Schutze
von Paris herbeizueilen. Auch andere Männer,
die die Poluläre Tradition zu verdammen
Pflegt, finden in ihm einen gerechten und
sachlich urteilenden Richter. Männer, wie
Bernadotte, Vandamme, Davout. Diesem,
dein „Henker Hamburgs", über dessen un¬
menschliche Härte die verweichlichten Bewohner
der kriegsungcwohnten Handelsstadt bittere
Klage führten, stellt er ein glänzendes
Zeugnis aus. Er habe nur seine Pflicht als
Kommandant einer belagerten Festung erfüllt.
Die von ihm geübte Strenge sei durch die
Notwendigkeit geboten gewesen, und nach
Möglichkeit habe er die Leiden der Bewohner¬
schaft zu mildern gesucht. Ein Mann von
makellosen und ehrenhaften, Charakter, habe er
es nicht verdient, bis in die neueste Zeit als
der grausamste und unerbittlichste französische
Heerführer verschrien gewesen zu sein.

Am Ende des zweiten Bandes erörtert
Friedrich die Ursachen, die das Unterliegen
Napoleons im entscheidenden Herbstfeldzug
1313 herbeiführten. Napoleon begann den
Feldzug an der Spitze einer Armee von
440 000 Mann. Die geringe Überlegenheit
an Zahl, die die Verbündeten auswiesen (die
Zahl ihrer Streiter betrug etwa eine halbe
Million) wurde reichlich aufgewogen durch
die Einheitlichkeit des Oberbefehls auf
französischer Seite und das überragende Feld¬
herrngenie des Führers. Ließ die Qualität
der Truppen Napoleons viel zu wünschen übrig,
so bestanden doch auch die feindlichen Heere zum
größeren Teil aus Milizen und Rekruten. Und
wenige Wochen später flüchtet die napoleonische
Armee, auf 80 000 Mann zusammenge¬
schmolzen, total geschlagen über den Rhein!
Friederich sieht den Hauptgrund der Nieder¬
lage, wie schon beim russischen Feldzug, darin,
daß eben die Kulturmittel der Zeit, die weder
Eisenbahnen noch Telegraphen kannten, zur
Führung und Verpflegung solcher Riesenheere
nicht ausreichten. Ungenügende Ernährung
der Massen, ganz unzureichende Fürsorge für
Verwundete und Kranke ließen die Armee
zusammenschmelzen wie Schnee vor derSvnne.
Die Führer der Nebenheere waren zum
selbständigen Handeln nicht erzogen, sie vom
Hauptquartier aus zu leiten war nicht möglich.
Naturgemäß hatten die Verbündeten unter

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diesen Übelständen weniger zu leiden. Ihre
Heere operierten von Anfang an getrennt,
hatten getrennte Operationsbasen und ein
weit größeres Hinterland, als die auf ver¬
hältnismäßig engen Raum zusammendrängte
napoleonische Armee. Sie hatten den Vorteil,
ini eigenen Lande zu kämpfen. Sie wurden
von den Bewohnern unterstützt, Verpflegungs¬
mittel flössen ihnen viel reichlicher zu. Die
Kranken und Verwundeten ließen sich in dem
weiten Hinterlands bequemer unterbringen.
Der Ersatz war leichter. Dazu kam die'
größere Physische Widerstandsfähigkeit ihres
Soldatenmaterinls; der Franzosenhaß, der
ihre Truppen die Strapazen des Feldzugs
leichter ertragen ließ. Und schließlich waren
die Führer ihrer Armeen von vornherein an
größere Selbständigkeit gewöhnt. Trotz allem
bedürfte es unerhörter Anstrengung, den
Titanen, dessen Regiment nicht nur in
Preußen und Deutschland, sondern in ganz
Europa als unerträglicher Druck empfunden
wurde, zu Fall zu bringen. „Daß hierbei
Preußens Volk und Armee an erster Stelle
standen, ist selbst von ausländischen Geschichts¬
schreibern offen anerkannt worden." Allein
„der ganze Völkerzorn und Völkergrimm des
geeinten Europas mußten zusammenwirken,
um einen Mann wie Napoleon hinter den
Rhein zurückzujagen; nicht einmal die 24000
Schweden wären zu entbehren gewesen"
(It., S. 42ö).

Von hohem Reiz sind die Charaklerzeichnun-
gen der führenden Persönlichkeiten bei den Ver¬
bündeten. Wir nennen die Friedrich Wilhelms
des Dritten und Zar Alexanders, die der Heer¬
führer Blücher, Gneisenau.Bülow, Schwarzen¬
berg, Wellington. Die Zeiten sind ja vor¬
über, da man im Marschall Vorwärts nur
den wackeren Haudegen sah, der unverzagt
das ausführte, was der „Kopf" der Armee,
Gneisenau, ihm eingab. Friederich wird der
Bedeutung des genialen Gneisenau durchaus
gerecht, hebt aber nachdrücklich die großen
Führereigenschaften Blüchers hervor. Seine
Furchtlosigkeit und Verantwortungsfreudigkeit,
sein unbezwinglicher Wille zum Sieg und sein
unerschütterlicher Glaube an den endlichen
Sieg sind für den schließlichen Erfolg ent¬
scheidend gewesen. Friederich bestätigt die
populäre Auffassung, die in Blücher den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/139>, abgerufen am 22.07.2024.