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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

verhungert, einDrittelwird verjagt; denFliehen-
den sind alle Zufluchtsorte versperrt; Galizien ist
russisch -- der Verfasser hat vor der Be¬
freiung Galiziens geschrieben --, die franzö¬
sische Presse, die sich früher der russischen
Juden annahm, darf das nicht mehr tun; in
England kommt es schon zu Pogromen, der
englische Jude Zangwill predigt: der Zar
werde seine Versprechungen erfüllen, wenn er
nur erst die Macht der deutschen Barbarei
gebrochen haben werde; und der westmächt-
liche Wahnsinn steckt auch Amerika an). Also
Segel sagt uns nichts neues. Wir kennen
alles: die Pogrome, die Verschickungen nach
Sibirien, wo alles bei lebendigen" Leibe Ver¬
faulen muß, was das weite Reich an edlen,
gebildeten, gescheiten und tüchtigen Menschen
besitzt, die Bluturteile, die der Revolution von
1906 ein Ende machten, Russifizierung der
Fremdvölkcr, die gertretung der Kulturkeime
dieser durchaus kulturfähigen und zum Teil
schon hochkultivierten Völkerschaften,dieGreuel,
die von russischen Truppen im gegenwärtigen
Kriege verübt werden, die unsagbaren Schän¬
dungen, die Verwüstungen und die Menschen-
Verschleppungen bei den Rückzügen der Russen.
Leider jedoch werden diese Dinge in den
Zeitungen nur als Nachrichten untermischt mit
anderen Nachrichten gebracht, statt als der
Kern des Weltdramas in Packenden Leit¬
artikeln vorangestellt zu werden, und zur
Aufklärung der westlichen Nationen und der
Neutralen geschieht gar nichts.

Segel faßt alle die Greuel und die Ver¬
logenheit der zarischen Versprechungen zu
einem Bilde zusammen, das den Beschauer
überwältigt. Im Mittelpunkte steht Nadworrm,
Wo 7S00 jüdische Greise, Frauen und Kinder
mit Maschinengewehren, Lanzenstichen,Kolben¬
stößen, Knutenhieben vor der russischen Front
einhergetrieben worden sind als Schutzwall
gegen die österreichischen Feuerschlünde. Segel
beleuchtet den deutschen Militarismus, der
das Eigentümliche habe, daß "nur die unter
seinem Joche seufzen, die nie in Deutschland
gelebt haben", weil er nichts ist als eine
Disziplin, schöne Ordnung und wunderbare
Organisationskraft, die wahre Freiheit schafft.
Er deckt die Nichtigkeit der westmächtlichen
Knegsmotivierungen auf und beschreibt das
Barbarenjvch, von welchem der Zar zunächst

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Galizien erlöst hat. "Die Galizier waren
belastet mit einem vortrefflichen Schulwesen:
mit Volksschulen, Bürgerschulen, Lyzeen,
Gymnasien, Realschulen, Handelsschüler,
Gewerbeschulen, einer landwirtschaftlichen
Akademie, einen" Polytechnikum, einer Uni¬
versität. Ferner drückte sie eine ausgedehnte
Gemeindeautonomie; sie brachen zusammen
unter der Last ihres allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechts zum Zen¬
tralparlament in Wien und eines ähnlichen
Wahlrechts für den Landtag in Lemberg.
Von allen diesen Lasten hat sie der Zar be¬
freit. Zunächst von der Schulpflicht: alle
Schulen wurden geschlossen. Geschlossen
wurden die Theater, geschlossen alle Vereine
und Genossenschaften, auch die für Philan¬
thropische und Kulturzwecke." Die Schulen,
wird weiter ausgeführt, seien zwar später
wieder geöffnet worden, aber als russische
Schulen. Nun sei das Russische für die
Polen wie für die Ruthenen eine Fremd¬
sprache, müsse also erst gelernt werden.
Außerdem müsse Deutsch gelernt werden;
das bleibe unentbehrlich als die Kultur- und
Verkehrssprache des östlichen Europas: auf
Slawenkongressen werde deutsch gesprochen,,
weil es die einzige Sprache ist, die alle
Slawen verstehen. Da nun mehr als zwei
fremde Sprachen den Schülern nicht zu¬
gemutet werden können, werde das Russische
das Englische und das Französische ver¬
drängen, und dafür nun führen die Engländer
und die Franzosen Krieg!

England soll 80 Millionen Mark auf die
Vergiftung der öffentlichen Meinung Italiens
verwendet haben; 800 Millionen, auf die
Entgiftung der Kulturwelt verwendet, wären
nicht zu viel für die Zentralmächte, vielmehr
die rentabelste Anlage. Hätte man Segels
Buch sofort nach dem Erscheinen in alle Kultur¬
sprachen übersetzt (der zweite Teil hätte stark
gekürzt, dafür eine Beschreibung der Aufbau¬
arbeit angefügt werden müssen, welche die
Deutschen bis jetzt in den okkupierten Gebieten
geleistet haben) und in 60 Millionen Exem¬
plaren verbreitet: dann wären den Händen
der englischen, der französischen, der italie¬
nischen Soldaten die Waffen entsunken, die
Amerikancrhätten ihren habgierigenMunitionS-
lieferanten das Handwerk gelegt, und dew.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

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verhungert, einDrittelwird verjagt; denFliehen-
den sind alle Zufluchtsorte versperrt; Galizien ist
russisch — der Verfasser hat vor der Be¬
freiung Galiziens geschrieben —, die franzö¬
sische Presse, die sich früher der russischen
Juden annahm, darf das nicht mehr tun; in
England kommt es schon zu Pogromen, der
englische Jude Zangwill predigt: der Zar
werde seine Versprechungen erfüllen, wenn er
nur erst die Macht der deutschen Barbarei
gebrochen haben werde; und der westmächt-
liche Wahnsinn steckt auch Amerika an). Also
Segel sagt uns nichts neues. Wir kennen
alles: die Pogrome, die Verschickungen nach
Sibirien, wo alles bei lebendigen» Leibe Ver¬
faulen muß, was das weite Reich an edlen,
gebildeten, gescheiten und tüchtigen Menschen
besitzt, die Bluturteile, die der Revolution von
1906 ein Ende machten, Russifizierung der
Fremdvölkcr, die gertretung der Kulturkeime
dieser durchaus kulturfähigen und zum Teil
schon hochkultivierten Völkerschaften,dieGreuel,
die von russischen Truppen im gegenwärtigen
Kriege verübt werden, die unsagbaren Schän¬
dungen, die Verwüstungen und die Menschen-
Verschleppungen bei den Rückzügen der Russen.
Leider jedoch werden diese Dinge in den
Zeitungen nur als Nachrichten untermischt mit
anderen Nachrichten gebracht, statt als der
Kern des Weltdramas in Packenden Leit¬
artikeln vorangestellt zu werden, und zur
Aufklärung der westlichen Nationen und der
Neutralen geschieht gar nichts.

Segel faßt alle die Greuel und die Ver¬
logenheit der zarischen Versprechungen zu
einem Bilde zusammen, das den Beschauer
überwältigt. Im Mittelpunkte steht Nadworrm,
Wo 7S00 jüdische Greise, Frauen und Kinder
mit Maschinengewehren, Lanzenstichen,Kolben¬
stößen, Knutenhieben vor der russischen Front
einhergetrieben worden sind als Schutzwall
gegen die österreichischen Feuerschlünde. Segel
beleuchtet den deutschen Militarismus, der
das Eigentümliche habe, daß „nur die unter
seinem Joche seufzen, die nie in Deutschland
gelebt haben", weil er nichts ist als eine
Disziplin, schöne Ordnung und wunderbare
Organisationskraft, die wahre Freiheit schafft.
Er deckt die Nichtigkeit der westmächtlichen
Knegsmotivierungen auf und beschreibt das
Barbarenjvch, von welchem der Zar zunächst

[Spaltenumbruch]

Galizien erlöst hat. „Die Galizier waren
belastet mit einem vortrefflichen Schulwesen:
mit Volksschulen, Bürgerschulen, Lyzeen,
Gymnasien, Realschulen, Handelsschüler,
Gewerbeschulen, einer landwirtschaftlichen
Akademie, einen« Polytechnikum, einer Uni¬
versität. Ferner drückte sie eine ausgedehnte
Gemeindeautonomie; sie brachen zusammen
unter der Last ihres allgemeinen, gleichen,
geheimen und direkten Wahlrechts zum Zen¬
tralparlament in Wien und eines ähnlichen
Wahlrechts für den Landtag in Lemberg.
Von allen diesen Lasten hat sie der Zar be¬
freit. Zunächst von der Schulpflicht: alle
Schulen wurden geschlossen. Geschlossen
wurden die Theater, geschlossen alle Vereine
und Genossenschaften, auch die für Philan¬
thropische und Kulturzwecke." Die Schulen,
wird weiter ausgeführt, seien zwar später
wieder geöffnet worden, aber als russische
Schulen. Nun sei das Russische für die
Polen wie für die Ruthenen eine Fremd¬
sprache, müsse also erst gelernt werden.
Außerdem müsse Deutsch gelernt werden;
das bleibe unentbehrlich als die Kultur- und
Verkehrssprache des östlichen Europas: auf
Slawenkongressen werde deutsch gesprochen,,
weil es die einzige Sprache ist, die alle
Slawen verstehen. Da nun mehr als zwei
fremde Sprachen den Schülern nicht zu¬
gemutet werden können, werde das Russische
das Englische und das Französische ver¬
drängen, und dafür nun führen die Engländer
und die Franzosen Krieg!

England soll 80 Millionen Mark auf die
Vergiftung der öffentlichen Meinung Italiens
verwendet haben; 800 Millionen, auf die
Entgiftung der Kulturwelt verwendet, wären
nicht zu viel für die Zentralmächte, vielmehr
die rentabelste Anlage. Hätte man Segels
Buch sofort nach dem Erscheinen in alle Kultur¬
sprachen übersetzt (der zweite Teil hätte stark
gekürzt, dafür eine Beschreibung der Aufbau¬
arbeit angefügt werden müssen, welche die
Deutschen bis jetzt in den okkupierten Gebieten
geleistet haben) und in 60 Millionen Exem¬
plaren verbreitet: dann wären den Händen
der englischen, der französischen, der italie¬
nischen Soldaten die Waffen entsunken, die
Amerikancrhätten ihren habgierigenMunitionS-
lieferanten das Handwerk gelegt, und dew.

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[0137] Maßgebliches und Unmaßgebliches verhungert, einDrittelwird verjagt; denFliehen- den sind alle Zufluchtsorte versperrt; Galizien ist russisch — der Verfasser hat vor der Be¬ freiung Galiziens geschrieben —, die franzö¬ sische Presse, die sich früher der russischen Juden annahm, darf das nicht mehr tun; in England kommt es schon zu Pogromen, der englische Jude Zangwill predigt: der Zar werde seine Versprechungen erfüllen, wenn er nur erst die Macht der deutschen Barbarei gebrochen haben werde; und der westmächt- liche Wahnsinn steckt auch Amerika an). Also Segel sagt uns nichts neues. Wir kennen alles: die Pogrome, die Verschickungen nach Sibirien, wo alles bei lebendigen» Leibe Ver¬ faulen muß, was das weite Reich an edlen, gebildeten, gescheiten und tüchtigen Menschen besitzt, die Bluturteile, die der Revolution von 1906 ein Ende machten, Russifizierung der Fremdvölkcr, die gertretung der Kulturkeime dieser durchaus kulturfähigen und zum Teil schon hochkultivierten Völkerschaften,dieGreuel, die von russischen Truppen im gegenwärtigen Kriege verübt werden, die unsagbaren Schän¬ dungen, die Verwüstungen und die Menschen- Verschleppungen bei den Rückzügen der Russen. Leider jedoch werden diese Dinge in den Zeitungen nur als Nachrichten untermischt mit anderen Nachrichten gebracht, statt als der Kern des Weltdramas in Packenden Leit¬ artikeln vorangestellt zu werden, und zur Aufklärung der westlichen Nationen und der Neutralen geschieht gar nichts. Segel faßt alle die Greuel und die Ver¬ logenheit der zarischen Versprechungen zu einem Bilde zusammen, das den Beschauer überwältigt. Im Mittelpunkte steht Nadworrm, Wo 7S00 jüdische Greise, Frauen und Kinder mit Maschinengewehren, Lanzenstichen,Kolben¬ stößen, Knutenhieben vor der russischen Front einhergetrieben worden sind als Schutzwall gegen die österreichischen Feuerschlünde. Segel beleuchtet den deutschen Militarismus, der das Eigentümliche habe, daß „nur die unter seinem Joche seufzen, die nie in Deutschland gelebt haben", weil er nichts ist als eine Disziplin, schöne Ordnung und wunderbare Organisationskraft, die wahre Freiheit schafft. Er deckt die Nichtigkeit der westmächtlichen Knegsmotivierungen auf und beschreibt das Barbarenjvch, von welchem der Zar zunächst Galizien erlöst hat. „Die Galizier waren belastet mit einem vortrefflichen Schulwesen: mit Volksschulen, Bürgerschulen, Lyzeen, Gymnasien, Realschulen, Handelsschüler, Gewerbeschulen, einer landwirtschaftlichen Akademie, einen« Polytechnikum, einer Uni¬ versität. Ferner drückte sie eine ausgedehnte Gemeindeautonomie; sie brachen zusammen unter der Last ihres allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts zum Zen¬ tralparlament in Wien und eines ähnlichen Wahlrechts für den Landtag in Lemberg. Von allen diesen Lasten hat sie der Zar be¬ freit. Zunächst von der Schulpflicht: alle Schulen wurden geschlossen. Geschlossen wurden die Theater, geschlossen alle Vereine und Genossenschaften, auch die für Philan¬ thropische und Kulturzwecke." Die Schulen, wird weiter ausgeführt, seien zwar später wieder geöffnet worden, aber als russische Schulen. Nun sei das Russische für die Polen wie für die Ruthenen eine Fremd¬ sprache, müsse also erst gelernt werden. Außerdem müsse Deutsch gelernt werden; das bleibe unentbehrlich als die Kultur- und Verkehrssprache des östlichen Europas: auf Slawenkongressen werde deutsch gesprochen,, weil es die einzige Sprache ist, die alle Slawen verstehen. Da nun mehr als zwei fremde Sprachen den Schülern nicht zu¬ gemutet werden können, werde das Russische das Englische und das Französische ver¬ drängen, und dafür nun führen die Engländer und die Franzosen Krieg! England soll 80 Millionen Mark auf die Vergiftung der öffentlichen Meinung Italiens verwendet haben; 800 Millionen, auf die Entgiftung der Kulturwelt verwendet, wären nicht zu viel für die Zentralmächte, vielmehr die rentabelste Anlage. Hätte man Segels Buch sofort nach dem Erscheinen in alle Kultur¬ sprachen übersetzt (der zweite Teil hätte stark gekürzt, dafür eine Beschreibung der Aufbau¬ arbeit angefügt werden müssen, welche die Deutschen bis jetzt in den okkupierten Gebieten geleistet haben) und in 60 Millionen Exem¬ plaren verbreitet: dann wären den Händen der englischen, der französischen, der italie¬ nischen Soldaten die Waffen entsunken, die Amerikancrhätten ihren habgierigenMunitionS- lieferanten das Handwerk gelegt, und dew.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/137>, abgerufen am 22.07.2024.