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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die kommende Wohnungsnot

bedeutet sie heute eine Unklugheit. Der Friede wird nicht von heute auf morgen
da sein, wir werden ihn in seinen einzelnen Etappen herannahen sehen. Es
ist im eigenen Interesse geboten, mit der Wohnungssuche nicht erst zu warten,
bis die definitive Ablösung der einzelnen Truppenteile erfolgt. Man handelt so
auch im Allgemeininteresse, da der Ansturm vermindert wird, und die Kommunal¬
behörden auf Grund der Wohnungsinspektion und Wohnungsaufsicht einen
gewissen Überblick über die Wohnungsbesctzung erlangen und Vorkehrungen
treffen können. Derartige Vorkehrungen können zum Beispiel darin bestehen,
daß der Hausbesitzer mit Hilfe kommunaler Vorschüsse eine Teilung der
Etagemvohnungen zu Doppelwohnungen vornehmen kann. Manch ein
Hauseigentümer, der damit rechnen muß. seine leerstehende große Wohnung
auch weiterhin nicht zu besetzen, wäre geneigt, seine Wohnung zu teilen, es
fehlen ihm aber die Geldmittel zu einer neuen Küchenanlage, einem Umbau
des Korridors und dergleichen notwendigen Maßnahmen. Durch eine
derartige Zerlegung von Wohnungen würde vieles für den Augenblick zu er¬
reichen sein. Und gerade darauf kommt es doch an, für die jetzigen und
kommenden Tage eine Nothilfe zu finden. Gerade aus diesem Grunde wäre
es unrecht, nur mit großen Mitteln arbeiten zu wollen. Die Kleinhilfen
sind in kurzen Zeitspannen zu erreichen, während die durchgreifenden Mittel
sich nicht von heute auf morgen verwirklichen lassen. Es handelt sich
hier um eminent schwerwiegende Probleme, um Notlagen und Übelstände, die
sich so tief, fo weit verästelt, in unser wirtschaftliches Leben hineingefressen haben,
und so viele seiner Grundlebensfragen berühren, daß es eines Zusammenwirkens
weittragender Maßnahmen bedarf, um eine gewisse Änderung herbeizuführen.

Bisher hat man sich allenthalben nur mit einer Feststellung der vor¬
handenen Übelstände befaßt, ohne einzugreifen, s hoffentlich haben die gegen¬
wärtigen Zustände nun so gründlich bewiesen, auf einer wie volkswirtschaftlich
gefahrvollen Bahn unser Wohnungsbauwesen sich befindet, daß mit der Politik
des abwartenden Zusehens gebrochen wird. Hoffen wir, daß es nun endlich
icht nur bei den Worten der Begründung des Preußischen Wohnungsgesetz¬
entwurfes : "Bei der Bedeutung, die diese Frage im allgemeinen Staatsinteresse
besitzt, wird auf die rechtliche Möglichkeit für die Staatsbehörden. Maßnahmen
nötigenfalls auch gegen den Widerstand der Gemeindevertretungen zu erzwingen,
. . . nicht wohl ferner verzichtet werden können." bleibt, sondern daß den
Worten die Tat folgen möge. Sonst werden wir uns auf den Wiederaufbau
der Berliner Barackenstadt von 1871 vorbereiten können.




Die kommende Wohnungsnot

bedeutet sie heute eine Unklugheit. Der Friede wird nicht von heute auf morgen
da sein, wir werden ihn in seinen einzelnen Etappen herannahen sehen. Es
ist im eigenen Interesse geboten, mit der Wohnungssuche nicht erst zu warten,
bis die definitive Ablösung der einzelnen Truppenteile erfolgt. Man handelt so
auch im Allgemeininteresse, da der Ansturm vermindert wird, und die Kommunal¬
behörden auf Grund der Wohnungsinspektion und Wohnungsaufsicht einen
gewissen Überblick über die Wohnungsbesctzung erlangen und Vorkehrungen
treffen können. Derartige Vorkehrungen können zum Beispiel darin bestehen,
daß der Hausbesitzer mit Hilfe kommunaler Vorschüsse eine Teilung der
Etagemvohnungen zu Doppelwohnungen vornehmen kann. Manch ein
Hauseigentümer, der damit rechnen muß. seine leerstehende große Wohnung
auch weiterhin nicht zu besetzen, wäre geneigt, seine Wohnung zu teilen, es
fehlen ihm aber die Geldmittel zu einer neuen Küchenanlage, einem Umbau
des Korridors und dergleichen notwendigen Maßnahmen. Durch eine
derartige Zerlegung von Wohnungen würde vieles für den Augenblick zu er¬
reichen sein. Und gerade darauf kommt es doch an, für die jetzigen und
kommenden Tage eine Nothilfe zu finden. Gerade aus diesem Grunde wäre
es unrecht, nur mit großen Mitteln arbeiten zu wollen. Die Kleinhilfen
sind in kurzen Zeitspannen zu erreichen, während die durchgreifenden Mittel
sich nicht von heute auf morgen verwirklichen lassen. Es handelt sich
hier um eminent schwerwiegende Probleme, um Notlagen und Übelstände, die
sich so tief, fo weit verästelt, in unser wirtschaftliches Leben hineingefressen haben,
und so viele seiner Grundlebensfragen berühren, daß es eines Zusammenwirkens
weittragender Maßnahmen bedarf, um eine gewisse Änderung herbeizuführen.

Bisher hat man sich allenthalben nur mit einer Feststellung der vor¬
handenen Übelstände befaßt, ohne einzugreifen, s hoffentlich haben die gegen¬
wärtigen Zustände nun so gründlich bewiesen, auf einer wie volkswirtschaftlich
gefahrvollen Bahn unser Wohnungsbauwesen sich befindet, daß mit der Politik
des abwartenden Zusehens gebrochen wird. Hoffen wir, daß es nun endlich
icht nur bei den Worten der Begründung des Preußischen Wohnungsgesetz¬
entwurfes : „Bei der Bedeutung, die diese Frage im allgemeinen Staatsinteresse
besitzt, wird auf die rechtliche Möglichkeit für die Staatsbehörden. Maßnahmen
nötigenfalls auch gegen den Widerstand der Gemeindevertretungen zu erzwingen,
. . . nicht wohl ferner verzichtet werden können." bleibt, sondern daß den
Worten die Tat folgen möge. Sonst werden wir uns auf den Wiederaufbau
der Berliner Barackenstadt von 1871 vorbereiten können.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/131>, abgerufen am 22.07.2024.