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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr.

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Die kommende Wohnungsnot

in Großbauten zu verwirklichen. Das Schlagwort von dem beängstigenden
Mangel an Kleinwohnungen wurde bereits im Frühjar 1914 geprägt. Nach
den Berichten des kaiserlich statistischen Amtes war der Anteil der Kleinhäuser
am Reinzugang der Wohnnngsgebäude sür das Erhebungsjahr 1914 trotz aller
angestrebten Hilfen nur in 22 Städten größer, in 17 indessen kleiner als im
Vorjahre. In Hamburg haben die Kleinhäuser abgenommen, in Breslau ebenso,
in Bremen ist trotz des großzügigen Abkommens zwischen dem Bremer Staat,
der Landesoersicheruugsanstalt der Hansastädte und der gemeinnützigen Hypotheken-
und Treuhandgesellschaft, zwecks Kreditation von Kleinbauten, keine Besserung
der Verhältnisse erfolgt. Ebenso haben die großzügigen kommunalen Darlehns-
bestrebungen in Nürnberg noch keinen Nutzen hervorgebracht. Nach der Reichs-
statistik war der Zugang an Kleinwohnungen mit ein bis drei Wohnräumen, in
39 Städten verglichen, nur in 17 Städten größer, dagegen in 22 Städten kleiner
als im Jahre 1913. Der Neinzugang an Kleinwohnungen im Verhältnisse zu
dem Gesamtbestand blieb in 34 Städten hinter dem an Wohnungen überhaupt,
im Vergleich zu 1913 bis 1914, zurück. Nur in sechs Städten war eine
Besserung eingetreten.

Die vorliegenden Zahlen sind bereits in normalen Zeiten von hoher Wichtigkeit
sür das Allgemeinwohl, sie erlangen aber durch die infolge des Krieges entstandenen
Verhältnisse eine geradezu erschreckende Bedeutung! Die Nachfrage nach billigen,
I leinen Wohnungen macht sich heute schon mehr und mehr bemerkbar. Frauen, deren
Männer, deren Söhne gefallen, die ganz oder teilweise erwerbsunfähig geworden
sind, können die seither großen und entsprechend teuren Wohnungen nicht mehr
behalten und suchen nach kleinen Wohnungen, die früher schon nicht aus¬
reichten. Die Ostpreußischen Flüchtlinge, die vielfach nicht mehr in ihre
Heimat zurückkehren werden, da sie eine anderweitige Verdienstmöglichkeit
gefunden haben, die aufzugeben sie sich scheuen, der Zustrom von Ausland¬
deutschen, die kaum ihr Vaterland wieder verlassen dürften, belasten den
Kleinwohnungsmarkt so erheblich, daß jetzt schon von einer vorhandenen
offenbaren Kleinwohnungsnot gesprochen werden muß. Mit banger Sorge aber
fragt man sich, was soll werden, wenn unsere Krieger zurückkehren? Durch die
vorgenommenen Kriegstrauungen, die heute schon die Zahl der Eheschließungen
um 20 v. H. erhöhen, muß sich die Nachfrage nach Kleinwohnungen zu einem An¬
sturm steigern, dem der Kleinwohnungsmarkt in keiner Weise gewachsen ist, werden
doch nach dem Kriege noch eine erhebliche Menge Trauungen vorgenommen
werden, wie dies auch nach den Kriegen von 1366 und 1870/71 der
Fall war. Alle diese jungen, finanziell nicht kräftigen Paare, suchen nach der
kleinen Wohnung, dem einzigen Mittel, sparen zu können. Doch auch mancher
zurückkehrender Geschäftsmann, mancher Pcivatbeamte, wird seine größere, teure
Wohnung aufgeben müssen, da der Krieg seine finanziellen Kräfte erschöpfte. Soll
es wieder dahin kommen, daß man, wie es in Berlin 1871 geschah, Baracken
bauen muß, nur um die Wohnungsuchenden unterzubringen . . .?!


Grenzboten IV 1916 3
Die kommende Wohnungsnot

in Großbauten zu verwirklichen. Das Schlagwort von dem beängstigenden
Mangel an Kleinwohnungen wurde bereits im Frühjar 1914 geprägt. Nach
den Berichten des kaiserlich statistischen Amtes war der Anteil der Kleinhäuser
am Reinzugang der Wohnnngsgebäude sür das Erhebungsjahr 1914 trotz aller
angestrebten Hilfen nur in 22 Städten größer, in 17 indessen kleiner als im
Vorjahre. In Hamburg haben die Kleinhäuser abgenommen, in Breslau ebenso,
in Bremen ist trotz des großzügigen Abkommens zwischen dem Bremer Staat,
der Landesoersicheruugsanstalt der Hansastädte und der gemeinnützigen Hypotheken-
und Treuhandgesellschaft, zwecks Kreditation von Kleinbauten, keine Besserung
der Verhältnisse erfolgt. Ebenso haben die großzügigen kommunalen Darlehns-
bestrebungen in Nürnberg noch keinen Nutzen hervorgebracht. Nach der Reichs-
statistik war der Zugang an Kleinwohnungen mit ein bis drei Wohnräumen, in
39 Städten verglichen, nur in 17 Städten größer, dagegen in 22 Städten kleiner
als im Jahre 1913. Der Neinzugang an Kleinwohnungen im Verhältnisse zu
dem Gesamtbestand blieb in 34 Städten hinter dem an Wohnungen überhaupt,
im Vergleich zu 1913 bis 1914, zurück. Nur in sechs Städten war eine
Besserung eingetreten.

Die vorliegenden Zahlen sind bereits in normalen Zeiten von hoher Wichtigkeit
sür das Allgemeinwohl, sie erlangen aber durch die infolge des Krieges entstandenen
Verhältnisse eine geradezu erschreckende Bedeutung! Die Nachfrage nach billigen,
I leinen Wohnungen macht sich heute schon mehr und mehr bemerkbar. Frauen, deren
Männer, deren Söhne gefallen, die ganz oder teilweise erwerbsunfähig geworden
sind, können die seither großen und entsprechend teuren Wohnungen nicht mehr
behalten und suchen nach kleinen Wohnungen, die früher schon nicht aus¬
reichten. Die Ostpreußischen Flüchtlinge, die vielfach nicht mehr in ihre
Heimat zurückkehren werden, da sie eine anderweitige Verdienstmöglichkeit
gefunden haben, die aufzugeben sie sich scheuen, der Zustrom von Ausland¬
deutschen, die kaum ihr Vaterland wieder verlassen dürften, belasten den
Kleinwohnungsmarkt so erheblich, daß jetzt schon von einer vorhandenen
offenbaren Kleinwohnungsnot gesprochen werden muß. Mit banger Sorge aber
fragt man sich, was soll werden, wenn unsere Krieger zurückkehren? Durch die
vorgenommenen Kriegstrauungen, die heute schon die Zahl der Eheschließungen
um 20 v. H. erhöhen, muß sich die Nachfrage nach Kleinwohnungen zu einem An¬
sturm steigern, dem der Kleinwohnungsmarkt in keiner Weise gewachsen ist, werden
doch nach dem Kriege noch eine erhebliche Menge Trauungen vorgenommen
werden, wie dies auch nach den Kriegen von 1366 und 1870/71 der
Fall war. Alle diese jungen, finanziell nicht kräftigen Paare, suchen nach der
kleinen Wohnung, dem einzigen Mittel, sparen zu können. Doch auch mancher
zurückkehrender Geschäftsmann, mancher Pcivatbeamte, wird seine größere, teure
Wohnung aufgeben müssen, da der Krieg seine finanziellen Kräfte erschöpfte. Soll
es wieder dahin kommen, daß man, wie es in Berlin 1871 geschah, Baracken
bauen muß, nur um die Wohnungsuchenden unterzubringen . . .?!


Grenzboten IV 1916 3
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[0125] Die kommende Wohnungsnot in Großbauten zu verwirklichen. Das Schlagwort von dem beängstigenden Mangel an Kleinwohnungen wurde bereits im Frühjar 1914 geprägt. Nach den Berichten des kaiserlich statistischen Amtes war der Anteil der Kleinhäuser am Reinzugang der Wohnnngsgebäude sür das Erhebungsjahr 1914 trotz aller angestrebten Hilfen nur in 22 Städten größer, in 17 indessen kleiner als im Vorjahre. In Hamburg haben die Kleinhäuser abgenommen, in Breslau ebenso, in Bremen ist trotz des großzügigen Abkommens zwischen dem Bremer Staat, der Landesoersicheruugsanstalt der Hansastädte und der gemeinnützigen Hypotheken- und Treuhandgesellschaft, zwecks Kreditation von Kleinbauten, keine Besserung der Verhältnisse erfolgt. Ebenso haben die großzügigen kommunalen Darlehns- bestrebungen in Nürnberg noch keinen Nutzen hervorgebracht. Nach der Reichs- statistik war der Zugang an Kleinwohnungen mit ein bis drei Wohnräumen, in 39 Städten verglichen, nur in 17 Städten größer, dagegen in 22 Städten kleiner als im Jahre 1913. Der Neinzugang an Kleinwohnungen im Verhältnisse zu dem Gesamtbestand blieb in 34 Städten hinter dem an Wohnungen überhaupt, im Vergleich zu 1913 bis 1914, zurück. Nur in sechs Städten war eine Besserung eingetreten. Die vorliegenden Zahlen sind bereits in normalen Zeiten von hoher Wichtigkeit sür das Allgemeinwohl, sie erlangen aber durch die infolge des Krieges entstandenen Verhältnisse eine geradezu erschreckende Bedeutung! Die Nachfrage nach billigen, I leinen Wohnungen macht sich heute schon mehr und mehr bemerkbar. Frauen, deren Männer, deren Söhne gefallen, die ganz oder teilweise erwerbsunfähig geworden sind, können die seither großen und entsprechend teuren Wohnungen nicht mehr behalten und suchen nach kleinen Wohnungen, die früher schon nicht aus¬ reichten. Die Ostpreußischen Flüchtlinge, die vielfach nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren werden, da sie eine anderweitige Verdienstmöglichkeit gefunden haben, die aufzugeben sie sich scheuen, der Zustrom von Ausland¬ deutschen, die kaum ihr Vaterland wieder verlassen dürften, belasten den Kleinwohnungsmarkt so erheblich, daß jetzt schon von einer vorhandenen offenbaren Kleinwohnungsnot gesprochen werden muß. Mit banger Sorge aber fragt man sich, was soll werden, wenn unsere Krieger zurückkehren? Durch die vorgenommenen Kriegstrauungen, die heute schon die Zahl der Eheschließungen um 20 v. H. erhöhen, muß sich die Nachfrage nach Kleinwohnungen zu einem An¬ sturm steigern, dem der Kleinwohnungsmarkt in keiner Weise gewachsen ist, werden doch nach dem Kriege noch eine erhebliche Menge Trauungen vorgenommen werden, wie dies auch nach den Kriegen von 1366 und 1870/71 der Fall war. Alle diese jungen, finanziell nicht kräftigen Paare, suchen nach der kleinen Wohnung, dem einzigen Mittel, sparen zu können. Doch auch mancher zurückkehrender Geschäftsmann, mancher Pcivatbeamte, wird seine größere, teure Wohnung aufgeben müssen, da der Krieg seine finanziellen Kräfte erschöpfte. Soll es wieder dahin kommen, daß man, wie es in Berlin 1871 geschah, Baracken bauen muß, nur um die Wohnungsuchenden unterzubringen . . .?! Grenzboten IV 1916 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_324408/125>, abgerufen am 22.07.2024.