Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Weltkrieg und die Preise der Lebensmittel

und dein Mangel an Verkehrsmitteln zu. Nach dem Ergebnis einer Unter¬
suchung des russischen Eisenbahnministeriums lagern auf vielen Stationen große
Mengen Fleisches, die aus Mangel an Transportmitteln nicht versendbar sind.
In Kursk mußte der Betrieb einer Mühle wegen mangelnder Getreide- und
Kohlenzufuhr eingestellt werden. Nach Meldungen von Anfang Juni 1915
herrschte in Wilna vollständiger Mangel an Roggenmehl, so daß die Inten¬
dantur 20000 Pud aus dem Militärdepot an die Stadtverwaltung abgeben
mußte. Großer Mangel an Roggenmehl und Brot bestand im Gouvernement
Wertka. Im Februar 1915 mußte die Petersburger Stadtduma 2 Millionen
Rubel assignieren und zwar als Maßnahme zwecks der Versorgung der
Petersburger Bevölkerung mit den notwendigsten Erfordernissen. Nach
Meldungen vom Anfang Juni 1915 sind im Gouvernement Ssamara
Vorräte von Graupen, Salz, Butter, gesalzenem Fisch, Tee und Zucker nicht
mehr vorhanden. Ähnliche Berichte liegen aus den Gouvernements Kiew,
Odessa, Smolensk, Asa, Wjatka und anderen mehr vor. Besonders schlimm
liegen die Verhältnisse in Warschau. Nach dortigen Meldungen vom Anfang
Februar 1915 bekamen die Bürgerkomitees und der Magistrat seit drei Wochen
keine Lebensmitte! mehr. Von der Station Solonoi Sawod im Gouvernement
Charkow wurden einige Wagen Salz abgeschickt, die in Warschau nach 82 Tagen
eintrafen. Der Bericht betont, daß solche langen Transporte keine Seltenheiten
mehr sind. In Archangelsk lagerten sür einige Millionen Rubel Lebensmittel,
die für Warschau bestimmt waren, aber von denen man nicht weiß, ob sie
jemals eintreffen werden.

Die Lebensnüttelpreise werden durch diese geschilderten Umstände zweifel¬
los stark beeinflußt. So stiegen beispielsweise nach einer Petersburger
Mitteilung vom Ende Januar 1915 an der Petersburger Getreidebörse
die Preise der in den letzten acht Tagen gehandelten Produkte außer Roggen¬
mehl um 15 bis 20 Prozent. Im Juni 1915 kostete ein Pud (16 Kilogramm)
Hafer allein schon 5 Rubel. Der Preis für Salz stieg um 70 Prozent; auch
alle anderen Lebensmittel sind bedeutend teuerer geworden. Aus Moskau wurde
berichtet, daß zu Anfang Mai 1915 das Pfund Fleisch auf 32 Kopeken gestiegen
sei und ferner die Kartoffelpreise um das Doppelte. Nach einer Stockholmer
Nachricht kostete zu Anfang Juni 1915 in Kowno das russische Pfund (400
Gramm) Brot schon 50 Kopeken. Nach Daten der landwirtschaftlichen In¬
formation in der Njasaner Gouvernementallandschaft vom Ende März 1915
beträgt die Steigerung des Preises für Roggen in der Stadt Ryas! 46 Prozent,
in Kasimow 49 Prozent, in Rauenburg 46 Prozent, in Ssaraisk 45 Prozent
in Rjasan 22 Prozent. Roggenmehl stieg durchschnittlich um 25 Prozent im
genannten Gouvernement. Hafer stieg in Ssaraisk um 50 Prozent, in Rauen¬
burg um 66 Prozent, in Rjasan um 49 Prozent. Infolge der Teuerung
von Hafer und Heu verfüttern die Bauern im Kreise Rjasan Stroh. In
Warschau kostete nach Stockholmer Berichten vom 10. Juni 1915 ein Pfund


Der Weltkrieg und die Preise der Lebensmittel

und dein Mangel an Verkehrsmitteln zu. Nach dem Ergebnis einer Unter¬
suchung des russischen Eisenbahnministeriums lagern auf vielen Stationen große
Mengen Fleisches, die aus Mangel an Transportmitteln nicht versendbar sind.
In Kursk mußte der Betrieb einer Mühle wegen mangelnder Getreide- und
Kohlenzufuhr eingestellt werden. Nach Meldungen von Anfang Juni 1915
herrschte in Wilna vollständiger Mangel an Roggenmehl, so daß die Inten¬
dantur 20000 Pud aus dem Militärdepot an die Stadtverwaltung abgeben
mußte. Großer Mangel an Roggenmehl und Brot bestand im Gouvernement
Wertka. Im Februar 1915 mußte die Petersburger Stadtduma 2 Millionen
Rubel assignieren und zwar als Maßnahme zwecks der Versorgung der
Petersburger Bevölkerung mit den notwendigsten Erfordernissen. Nach
Meldungen vom Anfang Juni 1915 sind im Gouvernement Ssamara
Vorräte von Graupen, Salz, Butter, gesalzenem Fisch, Tee und Zucker nicht
mehr vorhanden. Ähnliche Berichte liegen aus den Gouvernements Kiew,
Odessa, Smolensk, Asa, Wjatka und anderen mehr vor. Besonders schlimm
liegen die Verhältnisse in Warschau. Nach dortigen Meldungen vom Anfang
Februar 1915 bekamen die Bürgerkomitees und der Magistrat seit drei Wochen
keine Lebensmitte! mehr. Von der Station Solonoi Sawod im Gouvernement
Charkow wurden einige Wagen Salz abgeschickt, die in Warschau nach 82 Tagen
eintrafen. Der Bericht betont, daß solche langen Transporte keine Seltenheiten
mehr sind. In Archangelsk lagerten sür einige Millionen Rubel Lebensmittel,
die für Warschau bestimmt waren, aber von denen man nicht weiß, ob sie
jemals eintreffen werden.

Die Lebensnüttelpreise werden durch diese geschilderten Umstände zweifel¬
los stark beeinflußt. So stiegen beispielsweise nach einer Petersburger
Mitteilung vom Ende Januar 1915 an der Petersburger Getreidebörse
die Preise der in den letzten acht Tagen gehandelten Produkte außer Roggen¬
mehl um 15 bis 20 Prozent. Im Juni 1915 kostete ein Pud (16 Kilogramm)
Hafer allein schon 5 Rubel. Der Preis für Salz stieg um 70 Prozent; auch
alle anderen Lebensmittel sind bedeutend teuerer geworden. Aus Moskau wurde
berichtet, daß zu Anfang Mai 1915 das Pfund Fleisch auf 32 Kopeken gestiegen
sei und ferner die Kartoffelpreise um das Doppelte. Nach einer Stockholmer
Nachricht kostete zu Anfang Juni 1915 in Kowno das russische Pfund (400
Gramm) Brot schon 50 Kopeken. Nach Daten der landwirtschaftlichen In¬
formation in der Njasaner Gouvernementallandschaft vom Ende März 1915
beträgt die Steigerung des Preises für Roggen in der Stadt Ryas! 46 Prozent,
in Kasimow 49 Prozent, in Rauenburg 46 Prozent, in Ssaraisk 45 Prozent
in Rjasan 22 Prozent. Roggenmehl stieg durchschnittlich um 25 Prozent im
genannten Gouvernement. Hafer stieg in Ssaraisk um 50 Prozent, in Rauen¬
burg um 66 Prozent, in Rjasan um 49 Prozent. Infolge der Teuerung
von Hafer und Heu verfüttern die Bauern im Kreise Rjasan Stroh. In
Warschau kostete nach Stockholmer Berichten vom 10. Juni 1915 ein Pfund


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324062"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Weltkrieg und die Preise der Lebensmittel</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_246" prev="#ID_245"> und dein Mangel an Verkehrsmitteln zu. Nach dem Ergebnis einer Unter¬<lb/>
suchung des russischen Eisenbahnministeriums lagern auf vielen Stationen große<lb/>
Mengen Fleisches, die aus Mangel an Transportmitteln nicht versendbar sind.<lb/>
In Kursk mußte der Betrieb einer Mühle wegen mangelnder Getreide- und<lb/>
Kohlenzufuhr eingestellt werden. Nach Meldungen von Anfang Juni 1915<lb/>
herrschte in Wilna vollständiger Mangel an Roggenmehl, so daß die Inten¬<lb/>
dantur 20000 Pud aus dem Militärdepot an die Stadtverwaltung abgeben<lb/>
mußte. Großer Mangel an Roggenmehl und Brot bestand im Gouvernement<lb/>
Wertka. Im Februar 1915 mußte die Petersburger Stadtduma 2 Millionen<lb/>
Rubel assignieren und zwar als Maßnahme zwecks der Versorgung der<lb/>
Petersburger Bevölkerung mit den notwendigsten Erfordernissen. Nach<lb/>
Meldungen vom Anfang Juni 1915 sind im Gouvernement Ssamara<lb/>
Vorräte von Graupen, Salz, Butter, gesalzenem Fisch, Tee und Zucker nicht<lb/>
mehr vorhanden. Ähnliche Berichte liegen aus den Gouvernements Kiew,<lb/>
Odessa, Smolensk, Asa, Wjatka und anderen mehr vor. Besonders schlimm<lb/>
liegen die Verhältnisse in Warschau. Nach dortigen Meldungen vom Anfang<lb/>
Februar 1915 bekamen die Bürgerkomitees und der Magistrat seit drei Wochen<lb/>
keine Lebensmitte! mehr. Von der Station Solonoi Sawod im Gouvernement<lb/>
Charkow wurden einige Wagen Salz abgeschickt, die in Warschau nach 82 Tagen<lb/>
eintrafen. Der Bericht betont, daß solche langen Transporte keine Seltenheiten<lb/>
mehr sind. In Archangelsk lagerten sür einige Millionen Rubel Lebensmittel,<lb/>
die für Warschau bestimmt waren, aber von denen man nicht weiß, ob sie<lb/>
jemals eintreffen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247" next="#ID_248"> Die Lebensnüttelpreise werden durch diese geschilderten Umstände zweifel¬<lb/>
los stark beeinflußt. So stiegen beispielsweise nach einer Petersburger<lb/>
Mitteilung vom Ende Januar 1915 an der Petersburger Getreidebörse<lb/>
die Preise der in den letzten acht Tagen gehandelten Produkte außer Roggen¬<lb/>
mehl um 15 bis 20 Prozent. Im Juni 1915 kostete ein Pud (16 Kilogramm)<lb/>
Hafer allein schon 5 Rubel. Der Preis für Salz stieg um 70 Prozent; auch<lb/>
alle anderen Lebensmittel sind bedeutend teuerer geworden. Aus Moskau wurde<lb/>
berichtet, daß zu Anfang Mai 1915 das Pfund Fleisch auf 32 Kopeken gestiegen<lb/>
sei und ferner die Kartoffelpreise um das Doppelte. Nach einer Stockholmer<lb/>
Nachricht kostete zu Anfang Juni 1915 in Kowno das russische Pfund (400<lb/>
Gramm) Brot schon 50 Kopeken. Nach Daten der landwirtschaftlichen In¬<lb/>
formation in der Njasaner Gouvernementallandschaft vom Ende März 1915<lb/>
beträgt die Steigerung des Preises für Roggen in der Stadt Ryas! 46 Prozent,<lb/>
in Kasimow 49 Prozent, in Rauenburg 46 Prozent, in Ssaraisk 45 Prozent<lb/>
in Rjasan 22 Prozent. Roggenmehl stieg durchschnittlich um 25 Prozent im<lb/>
genannten Gouvernement. Hafer stieg in Ssaraisk um 50 Prozent, in Rauen¬<lb/>
burg um 66 Prozent, in Rjasan um 49 Prozent. Infolge der Teuerung<lb/>
von Hafer und Heu verfüttern die Bauern im Kreise Rjasan Stroh. In<lb/>
Warschau kostete nach Stockholmer Berichten vom 10. Juni 1915 ein Pfund</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Der Weltkrieg und die Preise der Lebensmittel und dein Mangel an Verkehrsmitteln zu. Nach dem Ergebnis einer Unter¬ suchung des russischen Eisenbahnministeriums lagern auf vielen Stationen große Mengen Fleisches, die aus Mangel an Transportmitteln nicht versendbar sind. In Kursk mußte der Betrieb einer Mühle wegen mangelnder Getreide- und Kohlenzufuhr eingestellt werden. Nach Meldungen von Anfang Juni 1915 herrschte in Wilna vollständiger Mangel an Roggenmehl, so daß die Inten¬ dantur 20000 Pud aus dem Militärdepot an die Stadtverwaltung abgeben mußte. Großer Mangel an Roggenmehl und Brot bestand im Gouvernement Wertka. Im Februar 1915 mußte die Petersburger Stadtduma 2 Millionen Rubel assignieren und zwar als Maßnahme zwecks der Versorgung der Petersburger Bevölkerung mit den notwendigsten Erfordernissen. Nach Meldungen vom Anfang Juni 1915 sind im Gouvernement Ssamara Vorräte von Graupen, Salz, Butter, gesalzenem Fisch, Tee und Zucker nicht mehr vorhanden. Ähnliche Berichte liegen aus den Gouvernements Kiew, Odessa, Smolensk, Asa, Wjatka und anderen mehr vor. Besonders schlimm liegen die Verhältnisse in Warschau. Nach dortigen Meldungen vom Anfang Februar 1915 bekamen die Bürgerkomitees und der Magistrat seit drei Wochen keine Lebensmitte! mehr. Von der Station Solonoi Sawod im Gouvernement Charkow wurden einige Wagen Salz abgeschickt, die in Warschau nach 82 Tagen eintrafen. Der Bericht betont, daß solche langen Transporte keine Seltenheiten mehr sind. In Archangelsk lagerten sür einige Millionen Rubel Lebensmittel, die für Warschau bestimmt waren, aber von denen man nicht weiß, ob sie jemals eintreffen werden. Die Lebensnüttelpreise werden durch diese geschilderten Umstände zweifel¬ los stark beeinflußt. So stiegen beispielsweise nach einer Petersburger Mitteilung vom Ende Januar 1915 an der Petersburger Getreidebörse die Preise der in den letzten acht Tagen gehandelten Produkte außer Roggen¬ mehl um 15 bis 20 Prozent. Im Juni 1915 kostete ein Pud (16 Kilogramm) Hafer allein schon 5 Rubel. Der Preis für Salz stieg um 70 Prozent; auch alle anderen Lebensmittel sind bedeutend teuerer geworden. Aus Moskau wurde berichtet, daß zu Anfang Mai 1915 das Pfund Fleisch auf 32 Kopeken gestiegen sei und ferner die Kartoffelpreise um das Doppelte. Nach einer Stockholmer Nachricht kostete zu Anfang Juni 1915 in Kowno das russische Pfund (400 Gramm) Brot schon 50 Kopeken. Nach Daten der landwirtschaftlichen In¬ formation in der Njasaner Gouvernementallandschaft vom Ende März 1915 beträgt die Steigerung des Preises für Roggen in der Stadt Ryas! 46 Prozent, in Kasimow 49 Prozent, in Rauenburg 46 Prozent, in Ssaraisk 45 Prozent in Rjasan 22 Prozent. Roggenmehl stieg durchschnittlich um 25 Prozent im genannten Gouvernement. Hafer stieg in Ssaraisk um 50 Prozent, in Rauen¬ burg um 66 Prozent, in Rjasan um 49 Prozent. Infolge der Teuerung von Hafer und Heu verfüttern die Bauern im Kreise Rjasan Stroh. In Warschau kostete nach Stockholmer Berichten vom 10. Juni 1915 ein Pfund

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/89>, abgerufen am 23.07.2024.