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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der neuen Lrnte entgegen I

genügen Teil der Nahrungsvorräte zunichte machen. Da infolge des Wirtschafte
krieges aber die Zufuhren aus dem Auslande zumeist abgesperrt waren, mußte
das System einer bis dahin unerprobten eingeengten Vorratswirtschaft platz¬
greifen. Doch wir haben die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten über
Erwarten gut überwunden. Es war nicht alles bequem, was wir auf uns
nehmen mußten, es ist aber ohne schädigende Entbehrungen bis zum Wende¬
punkt durchgeführt worden. An einem solchen sind wir nunmehr insofern an¬
gelangt, als wir nicht mehr sorgenvoll die Vorräte an Nahrungsmitteln wieder
und wieder zu überschlagen brauchen, sondern einen Strich unter die alten
Rechnungen ziehen und ein neues Versorgungskonto auftun können. Wir gehen
der neuen Ernte entgegen!

In der kriegswirtschaftlichen Literatur wird in vorwurfsvollem Tone
häufig wiederholt, daß es bedauerlicherweise verabsäumt worden sei, recht¬
zeitig Vorkehrungen für eine wirtschaftliche Kriegsbereitschaft zu treffen, mit
deren Hilfe die in der Ernährungsfürsorge zutage getretenen Weiterungen
sich wahrscheinlich hätten vermeiden lassen. Das berührte Thema läßt sich in
zwei Hauptfragen spalten, die nicht ohne weiteres zusammenzukoppeln sind.
Die Schlagworte "wirtschaftlicher Generalstab" und "Kriegsgetreideschatz" kenn¬
zeichnen wohl am kürzesten die beiden Richtungen. Der für die Kriegswirtschaft
einzusetzende Generalstab begreift alle organisatorischen Maßnahmen zur Nahrungs¬
vorsorge in sich, könnte mithin auch die Errichtung von ständigen Nahrungs¬
mittelreserven ins Auge fassen, notwendig ist aber gerade diese Lösung des
Vorratsproblems nicht. Anderseits könnte die Vorratsansammlung ihren Zweck
auch ohne Bereitstellung besonderer Organisationssormen genügend erfüllen.
Nach der einen wie nach der anderen Seite ergibt sich eine Menge von
Variationen volkswirtschaftlicher und rein praktischer Gesichtspunkte, die nach
dem Kriege noch zu breiter Aussprache Anlaß geben werden. Man wird als¬
dann besser als bisher einsehen, daß die Aufstellung eines allgemein gültigen
Kriegswirtschaftsplanes in einen Knäuel von Zweifeln und Bedenken hinein¬
führt. Wie der militärische Generalstab alle Verteidigungs- und Angriffs¬
möglichkeiten gegenüber mehreren gleichzeitig anrückenden Feinden, wie es
gegenwärtig der Fall ist, bei seinen Vorarbeiten zu erwägen hat, so müßte
der zur Sicherung des deutschen Wirtschaftslebens berufene wirtschaftliche
Generalstab die schlimmste Bedrängnis der Volkswirtschaft als den gegebenen
Ausgangspunkt seiner vorsorgenden Tätigkeit ansehen. Mit anderen Worten:
er müßte einer Präventivstrategie folgen, die nach Möglichkeit den
ungestörten Fortgang des volkswirtschaftlichen Lebens selbst für den Fall
verbürgt, daß Deutschland von den Zufuhren ausländischer Nahrungsmittel,
Rohstoffe usw. auf allen Seiten völlig abgesperrt ist. Das könnte in der
Hauptsache nur durch Anhäufung riesenhafter Vorräte geschehen, deren Auf¬
bewahrung ungeheure Kapitalien und deren fortlaufende Bewirtschaftung einen
riesigen Verwaltungsapparat erfordern würde. Eine staatliche Betriebsorganisation


Der neuen Lrnte entgegen I

genügen Teil der Nahrungsvorräte zunichte machen. Da infolge des Wirtschafte
krieges aber die Zufuhren aus dem Auslande zumeist abgesperrt waren, mußte
das System einer bis dahin unerprobten eingeengten Vorratswirtschaft platz¬
greifen. Doch wir haben die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten über
Erwarten gut überwunden. Es war nicht alles bequem, was wir auf uns
nehmen mußten, es ist aber ohne schädigende Entbehrungen bis zum Wende¬
punkt durchgeführt worden. An einem solchen sind wir nunmehr insofern an¬
gelangt, als wir nicht mehr sorgenvoll die Vorräte an Nahrungsmitteln wieder
und wieder zu überschlagen brauchen, sondern einen Strich unter die alten
Rechnungen ziehen und ein neues Versorgungskonto auftun können. Wir gehen
der neuen Ernte entgegen!

In der kriegswirtschaftlichen Literatur wird in vorwurfsvollem Tone
häufig wiederholt, daß es bedauerlicherweise verabsäumt worden sei, recht¬
zeitig Vorkehrungen für eine wirtschaftliche Kriegsbereitschaft zu treffen, mit
deren Hilfe die in der Ernährungsfürsorge zutage getretenen Weiterungen
sich wahrscheinlich hätten vermeiden lassen. Das berührte Thema läßt sich in
zwei Hauptfragen spalten, die nicht ohne weiteres zusammenzukoppeln sind.
Die Schlagworte „wirtschaftlicher Generalstab" und „Kriegsgetreideschatz" kenn¬
zeichnen wohl am kürzesten die beiden Richtungen. Der für die Kriegswirtschaft
einzusetzende Generalstab begreift alle organisatorischen Maßnahmen zur Nahrungs¬
vorsorge in sich, könnte mithin auch die Errichtung von ständigen Nahrungs¬
mittelreserven ins Auge fassen, notwendig ist aber gerade diese Lösung des
Vorratsproblems nicht. Anderseits könnte die Vorratsansammlung ihren Zweck
auch ohne Bereitstellung besonderer Organisationssormen genügend erfüllen.
Nach der einen wie nach der anderen Seite ergibt sich eine Menge von
Variationen volkswirtschaftlicher und rein praktischer Gesichtspunkte, die nach
dem Kriege noch zu breiter Aussprache Anlaß geben werden. Man wird als¬
dann besser als bisher einsehen, daß die Aufstellung eines allgemein gültigen
Kriegswirtschaftsplanes in einen Knäuel von Zweifeln und Bedenken hinein¬
führt. Wie der militärische Generalstab alle Verteidigungs- und Angriffs¬
möglichkeiten gegenüber mehreren gleichzeitig anrückenden Feinden, wie es
gegenwärtig der Fall ist, bei seinen Vorarbeiten zu erwägen hat, so müßte
der zur Sicherung des deutschen Wirtschaftslebens berufene wirtschaftliche
Generalstab die schlimmste Bedrängnis der Volkswirtschaft als den gegebenen
Ausgangspunkt seiner vorsorgenden Tätigkeit ansehen. Mit anderen Worten:
er müßte einer Präventivstrategie folgen, die nach Möglichkeit den
ungestörten Fortgang des volkswirtschaftlichen Lebens selbst für den Fall
verbürgt, daß Deutschland von den Zufuhren ausländischer Nahrungsmittel,
Rohstoffe usw. auf allen Seiten völlig abgesperrt ist. Das könnte in der
Hauptsache nur durch Anhäufung riesenhafter Vorräte geschehen, deren Auf¬
bewahrung ungeheure Kapitalien und deren fortlaufende Bewirtschaftung einen
riesigen Verwaltungsapparat erfordern würde. Eine staatliche Betriebsorganisation


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[0046] Der neuen Lrnte entgegen I genügen Teil der Nahrungsvorräte zunichte machen. Da infolge des Wirtschafte krieges aber die Zufuhren aus dem Auslande zumeist abgesperrt waren, mußte das System einer bis dahin unerprobten eingeengten Vorratswirtschaft platz¬ greifen. Doch wir haben die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten über Erwarten gut überwunden. Es war nicht alles bequem, was wir auf uns nehmen mußten, es ist aber ohne schädigende Entbehrungen bis zum Wende¬ punkt durchgeführt worden. An einem solchen sind wir nunmehr insofern an¬ gelangt, als wir nicht mehr sorgenvoll die Vorräte an Nahrungsmitteln wieder und wieder zu überschlagen brauchen, sondern einen Strich unter die alten Rechnungen ziehen und ein neues Versorgungskonto auftun können. Wir gehen der neuen Ernte entgegen! In der kriegswirtschaftlichen Literatur wird in vorwurfsvollem Tone häufig wiederholt, daß es bedauerlicherweise verabsäumt worden sei, recht¬ zeitig Vorkehrungen für eine wirtschaftliche Kriegsbereitschaft zu treffen, mit deren Hilfe die in der Ernährungsfürsorge zutage getretenen Weiterungen sich wahrscheinlich hätten vermeiden lassen. Das berührte Thema läßt sich in zwei Hauptfragen spalten, die nicht ohne weiteres zusammenzukoppeln sind. Die Schlagworte „wirtschaftlicher Generalstab" und „Kriegsgetreideschatz" kenn¬ zeichnen wohl am kürzesten die beiden Richtungen. Der für die Kriegswirtschaft einzusetzende Generalstab begreift alle organisatorischen Maßnahmen zur Nahrungs¬ vorsorge in sich, könnte mithin auch die Errichtung von ständigen Nahrungs¬ mittelreserven ins Auge fassen, notwendig ist aber gerade diese Lösung des Vorratsproblems nicht. Anderseits könnte die Vorratsansammlung ihren Zweck auch ohne Bereitstellung besonderer Organisationssormen genügend erfüllen. Nach der einen wie nach der anderen Seite ergibt sich eine Menge von Variationen volkswirtschaftlicher und rein praktischer Gesichtspunkte, die nach dem Kriege noch zu breiter Aussprache Anlaß geben werden. Man wird als¬ dann besser als bisher einsehen, daß die Aufstellung eines allgemein gültigen Kriegswirtschaftsplanes in einen Knäuel von Zweifeln und Bedenken hinein¬ führt. Wie der militärische Generalstab alle Verteidigungs- und Angriffs¬ möglichkeiten gegenüber mehreren gleichzeitig anrückenden Feinden, wie es gegenwärtig der Fall ist, bei seinen Vorarbeiten zu erwägen hat, so müßte der zur Sicherung des deutschen Wirtschaftslebens berufene wirtschaftliche Generalstab die schlimmste Bedrängnis der Volkswirtschaft als den gegebenen Ausgangspunkt seiner vorsorgenden Tätigkeit ansehen. Mit anderen Worten: er müßte einer Präventivstrategie folgen, die nach Möglichkeit den ungestörten Fortgang des volkswirtschaftlichen Lebens selbst für den Fall verbürgt, daß Deutschland von den Zufuhren ausländischer Nahrungsmittel, Rohstoffe usw. auf allen Seiten völlig abgesperrt ist. Das könnte in der Hauptsache nur durch Anhäufung riesenhafter Vorräte geschehen, deren Auf¬ bewahrung ungeheure Kapitalien und deren fortlaufende Bewirtschaftung einen riesigen Verwaltungsapparat erfordern würde. Eine staatliche Betriebsorganisation

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/46>, abgerufen am 01.07.2024.