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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die Judenfrage nach dem Kriege

nicht beabsichtigt war, denn das Buch war doch wohl geschrieben, um das
jüdische Selbstbewußtsein zu stärken. Was ich später gelegentlich von zionistischen
Schriftstellern gelesen habe, hat die Wirkung jener kleinen esoterischen Schrift
zwar nicht erreicht, den gewonnenen Eindruck aber bestätigt und in mancher
Hinsicht ergänzt und ich komme darauf noch zurück.

Das alles gilt zunächst für die östlichen Juden; wer schärfer beobachtet,
wird aber auch hinter der freundlichen oder lächelnden Maske unserer jüdischen
Mitbürger die leere und traurige Seele eines Volkes finden, das die Möglichkeit
und den Willen zu nationaler Existenz verloren hat und doch den Mut nicht
finden kann, sie wegzuwerfen, und dem, wenn es seine Fesseln gesprengt und
seine Überlieferung verworfen hat, nur ein gemeinsames Ziel des Strebens
übrig geblieben ist, das materielle Behagen. Niemand, der einmal von dieser
Seite einen Einblick in die jüdische Volksseele getan hat, wird dem unglücklichen
Volk fürder eine gewisse Sympathie versagen. Aber weder Mitgefühl noch
Anerkennung für die eigenartige Begabung dieses Volkes darf uns abhalten,
die Judenfrage zuerst vom Standpunkte unseres eigenen Volkes zu betrachten.

Die Judenfrage ist zu anderen Zeiten und bei anderen Völkern nicht ohne
Gleichnis. Überall, wo wirtschaftliche Gegensätze mit nationalen oder religiösen
Gegensätzen zusammenfließen, treten starke Gefühle der Abneigung auf, die nur
zu leicht in lodernden Haß übergehen, denn in diesen Fällen fehlen die
wirtschaftlichen Zwischenformen, welche sonst die Kluft überbrücken, fehlt der
Austausch von Individuen, durch welchen sonst das Denken und Fühlen
verschiedener sozialer Klassen ausgeglichen wird, fehlt das Bewußtsein, untrennbar
und'notwendig zu einem Organismus verbunden zu sein. Diese Abneigungen
heften sich dann leicht an äußerlich wahrnehmbare Unterschiede der Sprache,
der Sitte, der Religion, besonders aber an äußerlich wahrnehmbare Rassen¬
unterschiede. Daß der Rassenhaß aber kein ursprüngliches und angeborenes
Gefühl ist, zeigt sich in den zahlreichen Fällen, in denen das Gefühl aus irgend
welchen Gründen wechselt.*)

Blutige Ausbrüche solches sozial begründeten und mssenhaft gefestigten
Hasses haben wir in den Mandschumetzeleien der chinesischen Revolution erlebt,
auch die Abneigung der Orientalen gegen die Armenier, die "Juden des Orients,,,



*) Man hört so oft von interessanten exotischen Gästen, die sogar den Weißen Frauen
gefährlich werden sollen, seien es nun indische Prinzen oder Jahrmarktsbudenschauobjekte aus
Jnnerafrika; in der Heimat dieser Personen regeln sich ihre Beziehungen zu den Weißen in
allen Fällen nach dem harten Gesetz des Nassengegensatzes. Wie Plötzlich solcher Stimmungs¬
umschlag unter Umständen sein kann, dafür haben wir im Beginn des Krieges ein krasses
Beispiel erlebt. Die Japaner waren uns noch im Sommer 1914 trotz aller Fremdartigkeit
ein Volk von hohen künstlerischen und militärischen Gaben, von einer eigenartigen Ethik,
unsere geachteten Schüler, in manchen kleinen Dingen des Geschmacks unsere Lehrer; während
einiger Tage oder Wochen wurden sie sogar als vermeintliche Bundesgenossen umschmeichelt
und mit Boltskundgebungen bedacht -- über Unehe waren sie gelbe Affen geworden.
Die Judenfrage nach dem Kriege

nicht beabsichtigt war, denn das Buch war doch wohl geschrieben, um das
jüdische Selbstbewußtsein zu stärken. Was ich später gelegentlich von zionistischen
Schriftstellern gelesen habe, hat die Wirkung jener kleinen esoterischen Schrift
zwar nicht erreicht, den gewonnenen Eindruck aber bestätigt und in mancher
Hinsicht ergänzt und ich komme darauf noch zurück.

Das alles gilt zunächst für die östlichen Juden; wer schärfer beobachtet,
wird aber auch hinter der freundlichen oder lächelnden Maske unserer jüdischen
Mitbürger die leere und traurige Seele eines Volkes finden, das die Möglichkeit
und den Willen zu nationaler Existenz verloren hat und doch den Mut nicht
finden kann, sie wegzuwerfen, und dem, wenn es seine Fesseln gesprengt und
seine Überlieferung verworfen hat, nur ein gemeinsames Ziel des Strebens
übrig geblieben ist, das materielle Behagen. Niemand, der einmal von dieser
Seite einen Einblick in die jüdische Volksseele getan hat, wird dem unglücklichen
Volk fürder eine gewisse Sympathie versagen. Aber weder Mitgefühl noch
Anerkennung für die eigenartige Begabung dieses Volkes darf uns abhalten,
die Judenfrage zuerst vom Standpunkte unseres eigenen Volkes zu betrachten.

Die Judenfrage ist zu anderen Zeiten und bei anderen Völkern nicht ohne
Gleichnis. Überall, wo wirtschaftliche Gegensätze mit nationalen oder religiösen
Gegensätzen zusammenfließen, treten starke Gefühle der Abneigung auf, die nur
zu leicht in lodernden Haß übergehen, denn in diesen Fällen fehlen die
wirtschaftlichen Zwischenformen, welche sonst die Kluft überbrücken, fehlt der
Austausch von Individuen, durch welchen sonst das Denken und Fühlen
verschiedener sozialer Klassen ausgeglichen wird, fehlt das Bewußtsein, untrennbar
und'notwendig zu einem Organismus verbunden zu sein. Diese Abneigungen
heften sich dann leicht an äußerlich wahrnehmbare Unterschiede der Sprache,
der Sitte, der Religion, besonders aber an äußerlich wahrnehmbare Rassen¬
unterschiede. Daß der Rassenhaß aber kein ursprüngliches und angeborenes
Gefühl ist, zeigt sich in den zahlreichen Fällen, in denen das Gefühl aus irgend
welchen Gründen wechselt.*)

Blutige Ausbrüche solches sozial begründeten und mssenhaft gefestigten
Hasses haben wir in den Mandschumetzeleien der chinesischen Revolution erlebt,
auch die Abneigung der Orientalen gegen die Armenier, die „Juden des Orients,,,



*) Man hört so oft von interessanten exotischen Gästen, die sogar den Weißen Frauen
gefährlich werden sollen, seien es nun indische Prinzen oder Jahrmarktsbudenschauobjekte aus
Jnnerafrika; in der Heimat dieser Personen regeln sich ihre Beziehungen zu den Weißen in
allen Fällen nach dem harten Gesetz des Nassengegensatzes. Wie Plötzlich solcher Stimmungs¬
umschlag unter Umständen sein kann, dafür haben wir im Beginn des Krieges ein krasses
Beispiel erlebt. Die Japaner waren uns noch im Sommer 1914 trotz aller Fremdartigkeit
ein Volk von hohen künstlerischen und militärischen Gaben, von einer eigenartigen Ethik,
unsere geachteten Schüler, in manchen kleinen Dingen des Geschmacks unsere Lehrer; während
einiger Tage oder Wochen wurden sie sogar als vermeintliche Bundesgenossen umschmeichelt
und mit Boltskundgebungen bedacht — über Unehe waren sie gelbe Affen geworden.
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[0407] Die Judenfrage nach dem Kriege nicht beabsichtigt war, denn das Buch war doch wohl geschrieben, um das jüdische Selbstbewußtsein zu stärken. Was ich später gelegentlich von zionistischen Schriftstellern gelesen habe, hat die Wirkung jener kleinen esoterischen Schrift zwar nicht erreicht, den gewonnenen Eindruck aber bestätigt und in mancher Hinsicht ergänzt und ich komme darauf noch zurück. Das alles gilt zunächst für die östlichen Juden; wer schärfer beobachtet, wird aber auch hinter der freundlichen oder lächelnden Maske unserer jüdischen Mitbürger die leere und traurige Seele eines Volkes finden, das die Möglichkeit und den Willen zu nationaler Existenz verloren hat und doch den Mut nicht finden kann, sie wegzuwerfen, und dem, wenn es seine Fesseln gesprengt und seine Überlieferung verworfen hat, nur ein gemeinsames Ziel des Strebens übrig geblieben ist, das materielle Behagen. Niemand, der einmal von dieser Seite einen Einblick in die jüdische Volksseele getan hat, wird dem unglücklichen Volk fürder eine gewisse Sympathie versagen. Aber weder Mitgefühl noch Anerkennung für die eigenartige Begabung dieses Volkes darf uns abhalten, die Judenfrage zuerst vom Standpunkte unseres eigenen Volkes zu betrachten. Die Judenfrage ist zu anderen Zeiten und bei anderen Völkern nicht ohne Gleichnis. Überall, wo wirtschaftliche Gegensätze mit nationalen oder religiösen Gegensätzen zusammenfließen, treten starke Gefühle der Abneigung auf, die nur zu leicht in lodernden Haß übergehen, denn in diesen Fällen fehlen die wirtschaftlichen Zwischenformen, welche sonst die Kluft überbrücken, fehlt der Austausch von Individuen, durch welchen sonst das Denken und Fühlen verschiedener sozialer Klassen ausgeglichen wird, fehlt das Bewußtsein, untrennbar und'notwendig zu einem Organismus verbunden zu sein. Diese Abneigungen heften sich dann leicht an äußerlich wahrnehmbare Unterschiede der Sprache, der Sitte, der Religion, besonders aber an äußerlich wahrnehmbare Rassen¬ unterschiede. Daß der Rassenhaß aber kein ursprüngliches und angeborenes Gefühl ist, zeigt sich in den zahlreichen Fällen, in denen das Gefühl aus irgend welchen Gründen wechselt.*) Blutige Ausbrüche solches sozial begründeten und mssenhaft gefestigten Hasses haben wir in den Mandschumetzeleien der chinesischen Revolution erlebt, auch die Abneigung der Orientalen gegen die Armenier, die „Juden des Orients,,, *) Man hört so oft von interessanten exotischen Gästen, die sogar den Weißen Frauen gefährlich werden sollen, seien es nun indische Prinzen oder Jahrmarktsbudenschauobjekte aus Jnnerafrika; in der Heimat dieser Personen regeln sich ihre Beziehungen zu den Weißen in allen Fällen nach dem harten Gesetz des Nassengegensatzes. Wie Plötzlich solcher Stimmungs¬ umschlag unter Umständen sein kann, dafür haben wir im Beginn des Krieges ein krasses Beispiel erlebt. Die Japaner waren uns noch im Sommer 1914 trotz aller Fremdartigkeit ein Volk von hohen künstlerischen und militärischen Gaben, von einer eigenartigen Ethik, unsere geachteten Schüler, in manchen kleinen Dingen des Geschmacks unsere Lehrer; während einiger Tage oder Wochen wurden sie sogar als vermeintliche Bundesgenossen umschmeichelt und mit Boltskundgebungen bedacht — über Unehe waren sie gelbe Affen geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/407>, abgerufen am 22.07.2024.