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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Schwedische Gedanken über den Arieg

widersetzen, daß sich gerade unserer Ostküste gegenüber irgend eine Großmacht festsetze,,
aus denselben Gründen, die uns die Niederlande gegen Spanien und das Frankreich
der Bourbonen und Napoleons verteidigen ließen. Wie halten unser Wort, wenn wir
es gegeben haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe, und wir haben
uns nicht damit aufgespielt, daß wir ein internationaler Don Quixote seien, stets bereit,,
Unrecht, das uns nichts schadet, wieder gut zu machen".

Soweit die ^ime8. -- "Wir halten unser Wort, wenn wir es gegeben
haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe" -- solche Reden
kann ein Schwede verstehen, und die Ehrlichkeit der Times wirkt in hohem
Grade sympathisch, aber es ist darin auch deutlich ausgesprochen, daß kleine
Nationen nicht auf Englands Hilfe zu rechnen haben, wenn ihre Not nicht
zufällig innerhalb der Sphäre des eigenen Interesses dieses Landes liegt, sodaß
deshalb für Abhilfe gesorgt werden muß. Wie steht es nun damit, wenn es
sich um ein russisches Bordringen durch Skandinavien hindurch nach dem Atlan¬
tischen Ozean handelt? England will nicht, sagt man, Rußland dort einen
Hafen, der die englische Ostküste mit einer wachsenden Kriegsflotte bedrohen
würde, anlegen sehen. Vielleicht ist dies in einigen strategischen Kreisen Eng¬
lands der Fall. In anderen ebenso strategischen Kreisen herrscht jedoch eine ent¬
gegengesetzte Auffassung. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein bedeutender
englischer Stratege einen auch in der schwedischen Presse Wiedergegebenen Aus¬
spruch getan hat, der darauf hinauslief, daß im Falle eines Krieges zwischen
England und Rußland, der, nach den Reibungen an der Grenze Indiens mit
dem asiatischen Rußland zu urteilen, vielleicht zu den Möglichkeiten einer nahen
Zukunft gehöre, die englische Seemacht der russischen Landmacht nichts tun könne,
wenn es Rußland bis dahin nicht gelungen sei, bis ans Meer zu dringen,
sodaß man eine Blockade anordnen könne. England sei das Flußpferd und
Rußland der Elefant, die nur dann miteinander kämpfen könnten, wenn der
letztere ans Ufer hinabkomme. Je weiter Rußland innerhalb gewisser, natürlich
enger Grenzen, sein europäisches Reich an warme Wasser vorschiebe, desto ver¬
wundbarer werde es im Falle eines Kampfes mit England. Die führenden
Männer dieses Reiches haben sicherlich nichts dagegen, daß das Zarenreich sich
bis ans Mittelmeer und an den Atlantischen Ozean ausdehnt, auch wenn es
dabei über die Leichen kleinerer Völker geht, denn die englische Staatskunst baut
hinsichtlich solcher Völker nur auf "soliden, praktischen Gründen". Bezeichnend
ist auch das, was neulich (im März 1915) der Unterstaatssekretär Primrose im
englischen Ministerium des Auswärtigen in einer Rede bei der Eröffnung der
neuen russischen Gesellschaft in London gesagt hat. Unter anderem hieß es
darin, daß "Rußland territoriale Erweiterung fordern könne, die sowohl national
wie berechtigt sei. Man könne nicht erwarten, daß ein Land wie Rußland mit
seinen überwältigenden.Reichtümern sich mit der jetzt bestehenden Ordnung hin¬
sichtlich des Transportes der Landeserzeugnisse über die ganze Welt zufrieden gäbe".

Der Grundgedanke der Politik Englands ist die Aufrechterhaltung des
"europäischen Gleichgewichtes". Sobald eine andere Macht im Verhältnis zu


Schwedische Gedanken über den Arieg

widersetzen, daß sich gerade unserer Ostküste gegenüber irgend eine Großmacht festsetze,,
aus denselben Gründen, die uns die Niederlande gegen Spanien und das Frankreich
der Bourbonen und Napoleons verteidigen ließen. Wie halten unser Wort, wenn wir
es gegeben haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe, und wir haben
uns nicht damit aufgespielt, daß wir ein internationaler Don Quixote seien, stets bereit,,
Unrecht, das uns nichts schadet, wieder gut zu machen".

Soweit die ^ime8. — „Wir halten unser Wort, wenn wir es gegeben
haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe" — solche Reden
kann ein Schwede verstehen, und die Ehrlichkeit der Times wirkt in hohem
Grade sympathisch, aber es ist darin auch deutlich ausgesprochen, daß kleine
Nationen nicht auf Englands Hilfe zu rechnen haben, wenn ihre Not nicht
zufällig innerhalb der Sphäre des eigenen Interesses dieses Landes liegt, sodaß
deshalb für Abhilfe gesorgt werden muß. Wie steht es nun damit, wenn es
sich um ein russisches Bordringen durch Skandinavien hindurch nach dem Atlan¬
tischen Ozean handelt? England will nicht, sagt man, Rußland dort einen
Hafen, der die englische Ostküste mit einer wachsenden Kriegsflotte bedrohen
würde, anlegen sehen. Vielleicht ist dies in einigen strategischen Kreisen Eng¬
lands der Fall. In anderen ebenso strategischen Kreisen herrscht jedoch eine ent¬
gegengesetzte Auffassung. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein bedeutender
englischer Stratege einen auch in der schwedischen Presse Wiedergegebenen Aus¬
spruch getan hat, der darauf hinauslief, daß im Falle eines Krieges zwischen
England und Rußland, der, nach den Reibungen an der Grenze Indiens mit
dem asiatischen Rußland zu urteilen, vielleicht zu den Möglichkeiten einer nahen
Zukunft gehöre, die englische Seemacht der russischen Landmacht nichts tun könne,
wenn es Rußland bis dahin nicht gelungen sei, bis ans Meer zu dringen,
sodaß man eine Blockade anordnen könne. England sei das Flußpferd und
Rußland der Elefant, die nur dann miteinander kämpfen könnten, wenn der
letztere ans Ufer hinabkomme. Je weiter Rußland innerhalb gewisser, natürlich
enger Grenzen, sein europäisches Reich an warme Wasser vorschiebe, desto ver¬
wundbarer werde es im Falle eines Kampfes mit England. Die führenden
Männer dieses Reiches haben sicherlich nichts dagegen, daß das Zarenreich sich
bis ans Mittelmeer und an den Atlantischen Ozean ausdehnt, auch wenn es
dabei über die Leichen kleinerer Völker geht, denn die englische Staatskunst baut
hinsichtlich solcher Völker nur auf „soliden, praktischen Gründen". Bezeichnend
ist auch das, was neulich (im März 1915) der Unterstaatssekretär Primrose im
englischen Ministerium des Auswärtigen in einer Rede bei der Eröffnung der
neuen russischen Gesellschaft in London gesagt hat. Unter anderem hieß es
darin, daß „Rußland territoriale Erweiterung fordern könne, die sowohl national
wie berechtigt sei. Man könne nicht erwarten, daß ein Land wie Rußland mit
seinen überwältigenden.Reichtümern sich mit der jetzt bestehenden Ordnung hin¬
sichtlich des Transportes der Landeserzeugnisse über die ganze Welt zufrieden gäbe".

Der Grundgedanke der Politik Englands ist die Aufrechterhaltung des
„europäischen Gleichgewichtes". Sobald eine andere Macht im Verhältnis zu


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[0402] Schwedische Gedanken über den Arieg widersetzen, daß sich gerade unserer Ostküste gegenüber irgend eine Großmacht festsetze,, aus denselben Gründen, die uns die Niederlande gegen Spanien und das Frankreich der Bourbonen und Napoleons verteidigen ließen. Wie halten unser Wort, wenn wir es gegeben haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe, und wir haben uns nicht damit aufgespielt, daß wir ein internationaler Don Quixote seien, stets bereit,, Unrecht, das uns nichts schadet, wieder gut zu machen". Soweit die ^ime8. — „Wir halten unser Wort, wenn wir es gegeben haben, aber wir geben es nicht ohne solide praktische Gründe" — solche Reden kann ein Schwede verstehen, und die Ehrlichkeit der Times wirkt in hohem Grade sympathisch, aber es ist darin auch deutlich ausgesprochen, daß kleine Nationen nicht auf Englands Hilfe zu rechnen haben, wenn ihre Not nicht zufällig innerhalb der Sphäre des eigenen Interesses dieses Landes liegt, sodaß deshalb für Abhilfe gesorgt werden muß. Wie steht es nun damit, wenn es sich um ein russisches Bordringen durch Skandinavien hindurch nach dem Atlan¬ tischen Ozean handelt? England will nicht, sagt man, Rußland dort einen Hafen, der die englische Ostküste mit einer wachsenden Kriegsflotte bedrohen würde, anlegen sehen. Vielleicht ist dies in einigen strategischen Kreisen Eng¬ lands der Fall. In anderen ebenso strategischen Kreisen herrscht jedoch eine ent¬ gegengesetzte Auffassung. Es ist noch gar nicht so lange her, daß ein bedeutender englischer Stratege einen auch in der schwedischen Presse Wiedergegebenen Aus¬ spruch getan hat, der darauf hinauslief, daß im Falle eines Krieges zwischen England und Rußland, der, nach den Reibungen an der Grenze Indiens mit dem asiatischen Rußland zu urteilen, vielleicht zu den Möglichkeiten einer nahen Zukunft gehöre, die englische Seemacht der russischen Landmacht nichts tun könne, wenn es Rußland bis dahin nicht gelungen sei, bis ans Meer zu dringen, sodaß man eine Blockade anordnen könne. England sei das Flußpferd und Rußland der Elefant, die nur dann miteinander kämpfen könnten, wenn der letztere ans Ufer hinabkomme. Je weiter Rußland innerhalb gewisser, natürlich enger Grenzen, sein europäisches Reich an warme Wasser vorschiebe, desto ver¬ wundbarer werde es im Falle eines Kampfes mit England. Die führenden Männer dieses Reiches haben sicherlich nichts dagegen, daß das Zarenreich sich bis ans Mittelmeer und an den Atlantischen Ozean ausdehnt, auch wenn es dabei über die Leichen kleinerer Völker geht, denn die englische Staatskunst baut hinsichtlich solcher Völker nur auf „soliden, praktischen Gründen". Bezeichnend ist auch das, was neulich (im März 1915) der Unterstaatssekretär Primrose im englischen Ministerium des Auswärtigen in einer Rede bei der Eröffnung der neuen russischen Gesellschaft in London gesagt hat. Unter anderem hieß es darin, daß „Rußland territoriale Erweiterung fordern könne, die sowohl national wie berechtigt sei. Man könne nicht erwarten, daß ein Land wie Rußland mit seinen überwältigenden.Reichtümern sich mit der jetzt bestehenden Ordnung hin¬ sichtlich des Transportes der Landeserzeugnisse über die ganze Welt zufrieden gäbe". Der Grundgedanke der Politik Englands ist die Aufrechterhaltung des „europäischen Gleichgewichtes". Sobald eine andere Macht im Verhältnis zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/402>, abgerufen am 22.07.2024.