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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Schwedische Gedanken über den Arieg

solchen zu analysieren oder nach den Folgen einer allgemeinen demonstrativen
Mobilmachung, die der militärische Ausdruck einer sogenannten starken Neu¬
tralität sein würde, zu fragen.

Nur eine von Schweden geschriebene Arbeit "Schwedens auswärtige Politik
in der Beleuchtung des Weltkrieges", hat sich entschieden für ein Eingreifen
Schwedens in den Krieg ausgesprochen, aber die Verfasser wollen sich nicht
kundgeben und sind anonym geblieben.

Von diesen unbedeutenden Abweichungen abgesehen, steht das schwedische
Volk mit seinem Reichstage einig und geschlossen hinter der Regiemng und zieht
eine strenge Neutralität einer "parteiischen" vor, wobei es den Einzelnen frei¬
steht, sich durch ihre Sympathien zu der einen oder der anderen Gruppe der
Kriegführenden hinziehen zu lassen und nach alter, guter schwedischer Sitte frei
heraus über das zu reden, was ihrer Ansicht nach zum Wohle des Vaterlandes
nötig ist.

"Keines anderen Recht verletzen, aber zum Schutze seines eigenen bereit
sein" -- lautet das schwedische Neutralitätsprogramm. Es gibt keine Möglichkeit,
schwedische Volksmeinung um ein Kriegsprogramm zu sammeln. Noch heutigen
Tages ist das Schwert Karls des Zwölften schwedischen Fäusten nicht zu schwer;
aber das unbestechliche Rechtsgefühl und die Ritterlichkeit jenes Königs sind
dem schwedischen Volke so in Fleisch und Blut übergegangen, daß es das Schwert
nur dann ziehen kann, wenn es gilt, eine gerechte Sache gegen hinterlistige
Feinde zu verteidigen. Wenn das Tmmnervolk im Norden etwas in der Welt
der Realitäten begreift, fo ist dies einfache, felsenfeste Redlichkeit. Auf dem
Grunde der Redlichkeit ruht die schwedische Staatsanschauung, und an irgend¬
eine andere auswärtige Politik als die, welche zugleich eine Gewissenspolitik ist,
die sich an das Beste in dem am wenigsten gemischten Volke der germanischen
Rasse wendet, wagt kein schwedischer Minister des Auswärtigen zu denken. In
demselben Augenblick, da dies geschähe, wäre er eine gefallene Größe. Bisher
hat sich noch keiner der Kriegführenden zu offenen Angriffszwecken an unserer
Neutralität vergriffen, und wir haben also nicht das Recht zu bewaffnetem
Einschreiten. Doch wir sind bereit, sind auf alle Möglichkeiten gefaßt, und
unser Schwert ist scharf geschliffen.

Gleich anderen Germanenvölkern und im Gegensatz zu den romanischen
Völkern sind die Schweden keine leichterregten Stimmungsmenschen, dagegen
aber ein Volk mit tiefen, starken Gefühlen. Daraus folgt, daß die schwedische
Volksmeinung im Laufe des Krieges nicht hin und hergeschwankt, sondern stabil
geblieben ist. Sie zeigt zwei verschiedene Richtungen, die sich jedoch in einer
dritten vereinigen. Die eine sympathisiert mit den Zentralmächten. und zu ihr
bekennen sich die meisten Schweden; die Sympathie der zweiten gilt den Entente¬
mächten, indes die dritte, gemeinsame Richtung, welche die Anschauung des
ganzen Schwedenlandes repräsentiert, sich um eine starke Parteinahme für die
unterdrückten Völker dreht. An keines der Gefühle der schwedischen Volksseele


Schwedische Gedanken über den Arieg

solchen zu analysieren oder nach den Folgen einer allgemeinen demonstrativen
Mobilmachung, die der militärische Ausdruck einer sogenannten starken Neu¬
tralität sein würde, zu fragen.

Nur eine von Schweden geschriebene Arbeit „Schwedens auswärtige Politik
in der Beleuchtung des Weltkrieges", hat sich entschieden für ein Eingreifen
Schwedens in den Krieg ausgesprochen, aber die Verfasser wollen sich nicht
kundgeben und sind anonym geblieben.

Von diesen unbedeutenden Abweichungen abgesehen, steht das schwedische
Volk mit seinem Reichstage einig und geschlossen hinter der Regiemng und zieht
eine strenge Neutralität einer „parteiischen" vor, wobei es den Einzelnen frei¬
steht, sich durch ihre Sympathien zu der einen oder der anderen Gruppe der
Kriegführenden hinziehen zu lassen und nach alter, guter schwedischer Sitte frei
heraus über das zu reden, was ihrer Ansicht nach zum Wohle des Vaterlandes
nötig ist.

„Keines anderen Recht verletzen, aber zum Schutze seines eigenen bereit
sein" — lautet das schwedische Neutralitätsprogramm. Es gibt keine Möglichkeit,
schwedische Volksmeinung um ein Kriegsprogramm zu sammeln. Noch heutigen
Tages ist das Schwert Karls des Zwölften schwedischen Fäusten nicht zu schwer;
aber das unbestechliche Rechtsgefühl und die Ritterlichkeit jenes Königs sind
dem schwedischen Volke so in Fleisch und Blut übergegangen, daß es das Schwert
nur dann ziehen kann, wenn es gilt, eine gerechte Sache gegen hinterlistige
Feinde zu verteidigen. Wenn das Tmmnervolk im Norden etwas in der Welt
der Realitäten begreift, fo ist dies einfache, felsenfeste Redlichkeit. Auf dem
Grunde der Redlichkeit ruht die schwedische Staatsanschauung, und an irgend¬
eine andere auswärtige Politik als die, welche zugleich eine Gewissenspolitik ist,
die sich an das Beste in dem am wenigsten gemischten Volke der germanischen
Rasse wendet, wagt kein schwedischer Minister des Auswärtigen zu denken. In
demselben Augenblick, da dies geschähe, wäre er eine gefallene Größe. Bisher
hat sich noch keiner der Kriegführenden zu offenen Angriffszwecken an unserer
Neutralität vergriffen, und wir haben also nicht das Recht zu bewaffnetem
Einschreiten. Doch wir sind bereit, sind auf alle Möglichkeiten gefaßt, und
unser Schwert ist scharf geschliffen.

Gleich anderen Germanenvölkern und im Gegensatz zu den romanischen
Völkern sind die Schweden keine leichterregten Stimmungsmenschen, dagegen
aber ein Volk mit tiefen, starken Gefühlen. Daraus folgt, daß die schwedische
Volksmeinung im Laufe des Krieges nicht hin und hergeschwankt, sondern stabil
geblieben ist. Sie zeigt zwei verschiedene Richtungen, die sich jedoch in einer
dritten vereinigen. Die eine sympathisiert mit den Zentralmächten. und zu ihr
bekennen sich die meisten Schweden; die Sympathie der zweiten gilt den Entente¬
mächten, indes die dritte, gemeinsame Richtung, welche die Anschauung des
ganzen Schwedenlandes repräsentiert, sich um eine starke Parteinahme für die
unterdrückten Völker dreht. An keines der Gefühle der schwedischen Volksseele


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[0400] Schwedische Gedanken über den Arieg solchen zu analysieren oder nach den Folgen einer allgemeinen demonstrativen Mobilmachung, die der militärische Ausdruck einer sogenannten starken Neu¬ tralität sein würde, zu fragen. Nur eine von Schweden geschriebene Arbeit „Schwedens auswärtige Politik in der Beleuchtung des Weltkrieges", hat sich entschieden für ein Eingreifen Schwedens in den Krieg ausgesprochen, aber die Verfasser wollen sich nicht kundgeben und sind anonym geblieben. Von diesen unbedeutenden Abweichungen abgesehen, steht das schwedische Volk mit seinem Reichstage einig und geschlossen hinter der Regiemng und zieht eine strenge Neutralität einer „parteiischen" vor, wobei es den Einzelnen frei¬ steht, sich durch ihre Sympathien zu der einen oder der anderen Gruppe der Kriegführenden hinziehen zu lassen und nach alter, guter schwedischer Sitte frei heraus über das zu reden, was ihrer Ansicht nach zum Wohle des Vaterlandes nötig ist. „Keines anderen Recht verletzen, aber zum Schutze seines eigenen bereit sein" — lautet das schwedische Neutralitätsprogramm. Es gibt keine Möglichkeit, schwedische Volksmeinung um ein Kriegsprogramm zu sammeln. Noch heutigen Tages ist das Schwert Karls des Zwölften schwedischen Fäusten nicht zu schwer; aber das unbestechliche Rechtsgefühl und die Ritterlichkeit jenes Königs sind dem schwedischen Volke so in Fleisch und Blut übergegangen, daß es das Schwert nur dann ziehen kann, wenn es gilt, eine gerechte Sache gegen hinterlistige Feinde zu verteidigen. Wenn das Tmmnervolk im Norden etwas in der Welt der Realitäten begreift, fo ist dies einfache, felsenfeste Redlichkeit. Auf dem Grunde der Redlichkeit ruht die schwedische Staatsanschauung, und an irgend¬ eine andere auswärtige Politik als die, welche zugleich eine Gewissenspolitik ist, die sich an das Beste in dem am wenigsten gemischten Volke der germanischen Rasse wendet, wagt kein schwedischer Minister des Auswärtigen zu denken. In demselben Augenblick, da dies geschähe, wäre er eine gefallene Größe. Bisher hat sich noch keiner der Kriegführenden zu offenen Angriffszwecken an unserer Neutralität vergriffen, und wir haben also nicht das Recht zu bewaffnetem Einschreiten. Doch wir sind bereit, sind auf alle Möglichkeiten gefaßt, und unser Schwert ist scharf geschliffen. Gleich anderen Germanenvölkern und im Gegensatz zu den romanischen Völkern sind die Schweden keine leichterregten Stimmungsmenschen, dagegen aber ein Volk mit tiefen, starken Gefühlen. Daraus folgt, daß die schwedische Volksmeinung im Laufe des Krieges nicht hin und hergeschwankt, sondern stabil geblieben ist. Sie zeigt zwei verschiedene Richtungen, die sich jedoch in einer dritten vereinigen. Die eine sympathisiert mit den Zentralmächten. und zu ihr bekennen sich die meisten Schweden; die Sympathie der zweiten gilt den Entente¬ mächten, indes die dritte, gemeinsame Richtung, welche die Anschauung des ganzen Schwedenlandes repräsentiert, sich um eine starke Parteinahme für die unterdrückten Völker dreht. An keines der Gefühle der schwedischen Volksseele

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/400>, abgerufen am 01.07.2024.