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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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wurden dadurch vergessen; denn, wer dauernd um Freiheit und Leben besorgt
sein muß, verliert leicht ideale Aufgaben aus dem Auge und wird ein schlechter
Arbeiter "am Tempel der Humanität".

Weiter zeigt die Geschichte auch hier, daß jede von Menschen geschaffene
Form für eine noch so hohe Idee immer unvollkommen ist. Auch die Frei¬
maurerei hatte dasselbe Schicksal, dem in der Welt alle großen Jdeenschöpfungen
ausgesetzt sind. Für sie begann eine Zeit der Verirrungen, in der Schwindler
und Phantasten die herrschende Neigung für Aberglauben, Leichtgläubigkeit,
Habsucht und Sensation ausnützten, und die Logen vielfach zu Schlupfwinkeln
von Hochstaplern und anderen internationalen Existenzen machten. Törichte
geschichtliche Zusammenhänge wurden konstruiert und allerlei Geheimniskrämerei
wurde betrieben, die alle im letzten Grunde nichts anderes bezweckten, als
hierarchischer Herrschsucht einzelner zu dienen. Das waren die Kinderkrankheiten,
welche die Freimaurerei durchzumachen hatte, die aber keine andere Bedeutung
haben, als die, daß der besonnene Beurteiler gezwungen wird, sich mit dem
Unterschiede zwischen echter und falscher Freimaurerei abzufinden.

Während dieser Sturm- und Drangperiode vollzog sich aber gleichzeitig
die Entwicklung zu der endgültigen Scheidung in die beiden heute in Europa
herrschenden Grundtypen, der germanischen und der romanischen Freimaurerei.
Auch dem Weltbundbegriffe der Freimaurerei sind Schranken gezogen. Die
freimaurerische Universalidee mußte sich dem nationalen Charakter der ver¬
schiedenen Völker anpassen. Und so hat sie sich wesentlich verschieden nach den
VölkertM'n entwickelt, bei denen sie heimisch wurde. Nachdem sie sich aus dem
Wirrsal internationaler Schwärmerei befreit hatte, fand sie in den Ländern
germanischer Völker den Weg wieder zurück zu ihrer eigentlichen Aufgabe, der
Bildung des Menschen im Menschlichen in Übereinstimmung mit der nationalen
Lebensgesittung. Der Volkscharakter, die religiösen und staatlichen Einrichtungen
eines Volkes, die Weltanschauung seiner führenden Geister und deren Einfluß
auf die Gesinnungs- und Willensbildung der Volksgenossen, bestimmen aber im
wesentlichen die Richtung, in der sich bei ihm'nationale Lebensgesittung entfaltet.
Hier liegt denn auch der Punkt, von dem aus die Erklärungen für alle die
Vorgänge zu suchen sind, die sich in den jüngsten Zeiten bei der französischen
und bei der italienischen Freimaurerei abgespielt haben. Und nur vou hier
aus begreift man die Stellungnahme der deutschen Freimaurerei gegenüber
jenen Vorgängen.

In Deutschland trug der Eintritt Friedrichs des Großen,-der als Kron¬
prinz im Jahre 1738 dem Bunde beitrat, wesentlich zu seiner Duldung und
Ausbreitung bei. Die meisten führenden Männer Deutschlands im achtzehnten
und beginnenden neunzehnten Jahrhundert waren Freimaurer. Unter den
preußischen Königen gehörten dem Bunde mit zwei Ausnahmen alle bis auf
unsere Tage an, und die deutsche Freimaurerei verdankt besonders der eifrigen
Mitarbeit der beiden ersten deutschen Kaiser unvergeßliche Anregung und


Die Freimaurer und der Weltkrieg

wurden dadurch vergessen; denn, wer dauernd um Freiheit und Leben besorgt
sein muß, verliert leicht ideale Aufgaben aus dem Auge und wird ein schlechter
Arbeiter „am Tempel der Humanität".

Weiter zeigt die Geschichte auch hier, daß jede von Menschen geschaffene
Form für eine noch so hohe Idee immer unvollkommen ist. Auch die Frei¬
maurerei hatte dasselbe Schicksal, dem in der Welt alle großen Jdeenschöpfungen
ausgesetzt sind. Für sie begann eine Zeit der Verirrungen, in der Schwindler
und Phantasten die herrschende Neigung für Aberglauben, Leichtgläubigkeit,
Habsucht und Sensation ausnützten, und die Logen vielfach zu Schlupfwinkeln
von Hochstaplern und anderen internationalen Existenzen machten. Törichte
geschichtliche Zusammenhänge wurden konstruiert und allerlei Geheimniskrämerei
wurde betrieben, die alle im letzten Grunde nichts anderes bezweckten, als
hierarchischer Herrschsucht einzelner zu dienen. Das waren die Kinderkrankheiten,
welche die Freimaurerei durchzumachen hatte, die aber keine andere Bedeutung
haben, als die, daß der besonnene Beurteiler gezwungen wird, sich mit dem
Unterschiede zwischen echter und falscher Freimaurerei abzufinden.

Während dieser Sturm- und Drangperiode vollzog sich aber gleichzeitig
die Entwicklung zu der endgültigen Scheidung in die beiden heute in Europa
herrschenden Grundtypen, der germanischen und der romanischen Freimaurerei.
Auch dem Weltbundbegriffe der Freimaurerei sind Schranken gezogen. Die
freimaurerische Universalidee mußte sich dem nationalen Charakter der ver¬
schiedenen Völker anpassen. Und so hat sie sich wesentlich verschieden nach den
VölkertM'n entwickelt, bei denen sie heimisch wurde. Nachdem sie sich aus dem
Wirrsal internationaler Schwärmerei befreit hatte, fand sie in den Ländern
germanischer Völker den Weg wieder zurück zu ihrer eigentlichen Aufgabe, der
Bildung des Menschen im Menschlichen in Übereinstimmung mit der nationalen
Lebensgesittung. Der Volkscharakter, die religiösen und staatlichen Einrichtungen
eines Volkes, die Weltanschauung seiner führenden Geister und deren Einfluß
auf die Gesinnungs- und Willensbildung der Volksgenossen, bestimmen aber im
wesentlichen die Richtung, in der sich bei ihm'nationale Lebensgesittung entfaltet.
Hier liegt denn auch der Punkt, von dem aus die Erklärungen für alle die
Vorgänge zu suchen sind, die sich in den jüngsten Zeiten bei der französischen
und bei der italienischen Freimaurerei abgespielt haben. Und nur vou hier
aus begreift man die Stellungnahme der deutschen Freimaurerei gegenüber
jenen Vorgängen.

In Deutschland trug der Eintritt Friedrichs des Großen,-der als Kron¬
prinz im Jahre 1738 dem Bunde beitrat, wesentlich zu seiner Duldung und
Ausbreitung bei. Die meisten führenden Männer Deutschlands im achtzehnten
und beginnenden neunzehnten Jahrhundert waren Freimaurer. Unter den
preußischen Königen gehörten dem Bunde mit zwei Ausnahmen alle bis auf
unsere Tage an, und die deutsche Freimaurerei verdankt besonders der eifrigen
Mitarbeit der beiden ersten deutschen Kaiser unvergeßliche Anregung und


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[0348] Die Freimaurer und der Weltkrieg wurden dadurch vergessen; denn, wer dauernd um Freiheit und Leben besorgt sein muß, verliert leicht ideale Aufgaben aus dem Auge und wird ein schlechter Arbeiter „am Tempel der Humanität". Weiter zeigt die Geschichte auch hier, daß jede von Menschen geschaffene Form für eine noch so hohe Idee immer unvollkommen ist. Auch die Frei¬ maurerei hatte dasselbe Schicksal, dem in der Welt alle großen Jdeenschöpfungen ausgesetzt sind. Für sie begann eine Zeit der Verirrungen, in der Schwindler und Phantasten die herrschende Neigung für Aberglauben, Leichtgläubigkeit, Habsucht und Sensation ausnützten, und die Logen vielfach zu Schlupfwinkeln von Hochstaplern und anderen internationalen Existenzen machten. Törichte geschichtliche Zusammenhänge wurden konstruiert und allerlei Geheimniskrämerei wurde betrieben, die alle im letzten Grunde nichts anderes bezweckten, als hierarchischer Herrschsucht einzelner zu dienen. Das waren die Kinderkrankheiten, welche die Freimaurerei durchzumachen hatte, die aber keine andere Bedeutung haben, als die, daß der besonnene Beurteiler gezwungen wird, sich mit dem Unterschiede zwischen echter und falscher Freimaurerei abzufinden. Während dieser Sturm- und Drangperiode vollzog sich aber gleichzeitig die Entwicklung zu der endgültigen Scheidung in die beiden heute in Europa herrschenden Grundtypen, der germanischen und der romanischen Freimaurerei. Auch dem Weltbundbegriffe der Freimaurerei sind Schranken gezogen. Die freimaurerische Universalidee mußte sich dem nationalen Charakter der ver¬ schiedenen Völker anpassen. Und so hat sie sich wesentlich verschieden nach den VölkertM'n entwickelt, bei denen sie heimisch wurde. Nachdem sie sich aus dem Wirrsal internationaler Schwärmerei befreit hatte, fand sie in den Ländern germanischer Völker den Weg wieder zurück zu ihrer eigentlichen Aufgabe, der Bildung des Menschen im Menschlichen in Übereinstimmung mit der nationalen Lebensgesittung. Der Volkscharakter, die religiösen und staatlichen Einrichtungen eines Volkes, die Weltanschauung seiner führenden Geister und deren Einfluß auf die Gesinnungs- und Willensbildung der Volksgenossen, bestimmen aber im wesentlichen die Richtung, in der sich bei ihm'nationale Lebensgesittung entfaltet. Hier liegt denn auch der Punkt, von dem aus die Erklärungen für alle die Vorgänge zu suchen sind, die sich in den jüngsten Zeiten bei der französischen und bei der italienischen Freimaurerei abgespielt haben. Und nur vou hier aus begreift man die Stellungnahme der deutschen Freimaurerei gegenüber jenen Vorgängen. In Deutschland trug der Eintritt Friedrichs des Großen,-der als Kron¬ prinz im Jahre 1738 dem Bunde beitrat, wesentlich zu seiner Duldung und Ausbreitung bei. Die meisten führenden Männer Deutschlands im achtzehnten und beginnenden neunzehnten Jahrhundert waren Freimaurer. Unter den preußischen Königen gehörten dem Bunde mit zwei Ausnahmen alle bis auf unsere Tage an, und die deutsche Freimaurerei verdankt besonders der eifrigen Mitarbeit der beiden ersten deutschen Kaiser unvergeßliche Anregung und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/348>, abgerufen am 26.06.2024.