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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische ZVeltpolitik und ZVeltverkehrsfragen vor dem Kriege

Kriegsfahrzeugen als Ausfalls- oder Schutzhäfen dienen können. Welche Be¬
deutung das Auftreten einer wirklich starken Großmacht an einem Ausgang des
Kanals, etwa an der Straße von Dover, haben würde, läßt sich leicht ermessen,
wenn man bedenkt, daß hier der gesamte Überseeverkehr Deutschlands,
Skandinaviens, Dänemarks, Hollands, Belgiens, des nördlichen Rußland und
des östlichen England hindurchflutet, soweit er nicht zwischen diesen Gebieten
selbst sich abwickelt.

Der Suezkanal war bisher nach dem oben gesagten völlig in Englands
Besitz. Die Straße von Malakka mit ihrem starken Stützpunkt Singapur wird
bis jetzt keine Macht England streitig machen können. Der Panamakanal wäre
das einzige jener vier Haupttore, das von England nicht beherrscht wird,
aber die Reihe ausgezeichneter Stützpunkte auf der wichtigsten Seite, der
atlantischen, von den Bermudas bis Jamaika und Guyana ist doch
bedeutungsvoll genug.

Die Durchgangsstraßen um Südafrika und Australien stehen völlig unter
englischer Aufsicht. Der Weg um Südamerika ist von allen Engpässen und
Toren der einzige, an dem England nicht wirksam eingreifen könnte. Aber
gerade dieser südamerikanische Weg ist auch der einzige von allen, der
durch den Bau des Panamakanals erheblich von seiner Bedeutung ein¬
gebüßt hat. Für den europäisch-australischen Verkehr kam dieser Weg
wenig in Betracht, für den europäisch-amerikanischen hat er erheblich an
Wert verloren.

So stand Englands Weltmacht, fußend auf der Beherrschung des See¬
handels, vor dem Kriege unbestritten da. Wie weit sie durch den Krieg
erschüttert und bedroht wird, mag erst die Zukunft lehren; es spielen da neben
dem endlichen Ausgang auf Europas Schlachtfeldern die Haltung der Neutralen,
die innere Stimmung in den englischen Kolonien so bedeutsam mit, daß jedes
Urteil vorschnell und falsch sein müßte. Von seiten seiner jetzigen Verbündeten
droht England zunächst gewiß keine Gefahr, weder von Frankreich, dessen
militärische Kraft aufs ärgste geschwächt ist, noch von Rußland oder Italien;
auch kaum von Amerika, das zunächst bestrebt sein wird, seine energisch
aufgegriffenen panamerikanischen Bestrebungen fortzusetzen und sein Augenmerk
stark seinem westlichen Nachbar am asiatischen Gestade des Stillen Ozeans
zuwenden muß. Deutschland ist niemals auf eine Eroberungspolitik ausgegangen
und wird auch fernerhin immer als vornehmstes Ziel seiner Weltpolitik die
Erhaltung und Sicherung der Freiheit der Meere betrachten. Gefahr droht
dem englischen Weltreich vielmehr ans sich selbst heraus. Der endgültige
Ausgang des Krieges, der England entgegen seiner Berechnung nicht weniger
geschwächt finden wird als die anderen Mächte, ist sür den Bestand des Welt¬
reiches nicht minder bedenklich als die Sonderbestrebungen, die sich in den
größeren Kolonien mehr und mehr geltend machen. Zunächst hat das Mutter¬
land noch die Kraft des Zusammenfassens, und die Großkolonien stehen sich


Englische ZVeltpolitik und ZVeltverkehrsfragen vor dem Kriege

Kriegsfahrzeugen als Ausfalls- oder Schutzhäfen dienen können. Welche Be¬
deutung das Auftreten einer wirklich starken Großmacht an einem Ausgang des
Kanals, etwa an der Straße von Dover, haben würde, läßt sich leicht ermessen,
wenn man bedenkt, daß hier der gesamte Überseeverkehr Deutschlands,
Skandinaviens, Dänemarks, Hollands, Belgiens, des nördlichen Rußland und
des östlichen England hindurchflutet, soweit er nicht zwischen diesen Gebieten
selbst sich abwickelt.

Der Suezkanal war bisher nach dem oben gesagten völlig in Englands
Besitz. Die Straße von Malakka mit ihrem starken Stützpunkt Singapur wird
bis jetzt keine Macht England streitig machen können. Der Panamakanal wäre
das einzige jener vier Haupttore, das von England nicht beherrscht wird,
aber die Reihe ausgezeichneter Stützpunkte auf der wichtigsten Seite, der
atlantischen, von den Bermudas bis Jamaika und Guyana ist doch
bedeutungsvoll genug.

Die Durchgangsstraßen um Südafrika und Australien stehen völlig unter
englischer Aufsicht. Der Weg um Südamerika ist von allen Engpässen und
Toren der einzige, an dem England nicht wirksam eingreifen könnte. Aber
gerade dieser südamerikanische Weg ist auch der einzige von allen, der
durch den Bau des Panamakanals erheblich von seiner Bedeutung ein¬
gebüßt hat. Für den europäisch-australischen Verkehr kam dieser Weg
wenig in Betracht, für den europäisch-amerikanischen hat er erheblich an
Wert verloren.

So stand Englands Weltmacht, fußend auf der Beherrschung des See¬
handels, vor dem Kriege unbestritten da. Wie weit sie durch den Krieg
erschüttert und bedroht wird, mag erst die Zukunft lehren; es spielen da neben
dem endlichen Ausgang auf Europas Schlachtfeldern die Haltung der Neutralen,
die innere Stimmung in den englischen Kolonien so bedeutsam mit, daß jedes
Urteil vorschnell und falsch sein müßte. Von seiten seiner jetzigen Verbündeten
droht England zunächst gewiß keine Gefahr, weder von Frankreich, dessen
militärische Kraft aufs ärgste geschwächt ist, noch von Rußland oder Italien;
auch kaum von Amerika, das zunächst bestrebt sein wird, seine energisch
aufgegriffenen panamerikanischen Bestrebungen fortzusetzen und sein Augenmerk
stark seinem westlichen Nachbar am asiatischen Gestade des Stillen Ozeans
zuwenden muß. Deutschland ist niemals auf eine Eroberungspolitik ausgegangen
und wird auch fernerhin immer als vornehmstes Ziel seiner Weltpolitik die
Erhaltung und Sicherung der Freiheit der Meere betrachten. Gefahr droht
dem englischen Weltreich vielmehr ans sich selbst heraus. Der endgültige
Ausgang des Krieges, der England entgegen seiner Berechnung nicht weniger
geschwächt finden wird als die anderen Mächte, ist sür den Bestand des Welt¬
reiches nicht minder bedenklich als die Sonderbestrebungen, die sich in den
größeren Kolonien mehr und mehr geltend machen. Zunächst hat das Mutter¬
land noch die Kraft des Zusammenfassens, und die Großkolonien stehen sich


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[0344] Englische ZVeltpolitik und ZVeltverkehrsfragen vor dem Kriege Kriegsfahrzeugen als Ausfalls- oder Schutzhäfen dienen können. Welche Be¬ deutung das Auftreten einer wirklich starken Großmacht an einem Ausgang des Kanals, etwa an der Straße von Dover, haben würde, läßt sich leicht ermessen, wenn man bedenkt, daß hier der gesamte Überseeverkehr Deutschlands, Skandinaviens, Dänemarks, Hollands, Belgiens, des nördlichen Rußland und des östlichen England hindurchflutet, soweit er nicht zwischen diesen Gebieten selbst sich abwickelt. Der Suezkanal war bisher nach dem oben gesagten völlig in Englands Besitz. Die Straße von Malakka mit ihrem starken Stützpunkt Singapur wird bis jetzt keine Macht England streitig machen können. Der Panamakanal wäre das einzige jener vier Haupttore, das von England nicht beherrscht wird, aber die Reihe ausgezeichneter Stützpunkte auf der wichtigsten Seite, der atlantischen, von den Bermudas bis Jamaika und Guyana ist doch bedeutungsvoll genug. Die Durchgangsstraßen um Südafrika und Australien stehen völlig unter englischer Aufsicht. Der Weg um Südamerika ist von allen Engpässen und Toren der einzige, an dem England nicht wirksam eingreifen könnte. Aber gerade dieser südamerikanische Weg ist auch der einzige von allen, der durch den Bau des Panamakanals erheblich von seiner Bedeutung ein¬ gebüßt hat. Für den europäisch-australischen Verkehr kam dieser Weg wenig in Betracht, für den europäisch-amerikanischen hat er erheblich an Wert verloren. So stand Englands Weltmacht, fußend auf der Beherrschung des See¬ handels, vor dem Kriege unbestritten da. Wie weit sie durch den Krieg erschüttert und bedroht wird, mag erst die Zukunft lehren; es spielen da neben dem endlichen Ausgang auf Europas Schlachtfeldern die Haltung der Neutralen, die innere Stimmung in den englischen Kolonien so bedeutsam mit, daß jedes Urteil vorschnell und falsch sein müßte. Von seiten seiner jetzigen Verbündeten droht England zunächst gewiß keine Gefahr, weder von Frankreich, dessen militärische Kraft aufs ärgste geschwächt ist, noch von Rußland oder Italien; auch kaum von Amerika, das zunächst bestrebt sein wird, seine energisch aufgegriffenen panamerikanischen Bestrebungen fortzusetzen und sein Augenmerk stark seinem westlichen Nachbar am asiatischen Gestade des Stillen Ozeans zuwenden muß. Deutschland ist niemals auf eine Eroberungspolitik ausgegangen und wird auch fernerhin immer als vornehmstes Ziel seiner Weltpolitik die Erhaltung und Sicherung der Freiheit der Meere betrachten. Gefahr droht dem englischen Weltreich vielmehr ans sich selbst heraus. Der endgültige Ausgang des Krieges, der England entgegen seiner Berechnung nicht weniger geschwächt finden wird als die anderen Mächte, ist sür den Bestand des Welt¬ reiches nicht minder bedenklich als die Sonderbestrebungen, die sich in den größeren Kolonien mehr und mehr geltend machen. Zunächst hat das Mutter¬ land noch die Kraft des Zusammenfassens, und die Großkolonien stehen sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/344>, abgerufen am 26.06.2024.