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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englische lveltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege

erledigt anzusehen ist, um die Wende des neunzehnten zum zwanzigsten Jahr¬
hundert für England genau so brennend wie die Frage des wirtschaftlichen
Erstarkens des Deutschen Reiches.

Die letzten Ursachen des gegenwärtigen Krieges führen mehr oder minder
auf alle diese Probleme zurück, die in dem seebeherrschenden England nicht
geringe Widerstände auslösen mußten. Die Hoffnung Englands, das lang¬
ersehnte Ziel der Aufrichtung des British Empire erreicht zu haben, ward durch
den Verlauf des Krieges grausam zerschlagen.

Vergegenwärtigen wir uns die Stellung des British Empire vor
Kriegsausbruch! Ju der Tat hat es niemals ein größeres Weltreich
gegeben alsdieses nahezu vor seiner Vollendung stehende britische. Das
römische Imperium stand ihm weit an Größe nach. Nur das haben
sie gemeinsam, daß beider Macht auf die Beherrschung des Weltmeeres
sich gründete. Das ist die größtmöglichste Ausdehnung eines Welt¬
reiches; seinen Zusammenhalt zu wahren, ist die Hauptaufgabe jeglicher
Weltpolitik.

England hat es verstanden, über die Erde ein Netz von Stützpunkten
auszubreiten, das in seiner Gesamtheit das ganze Erdenrund umspannt und
umschließt. Keine Bewegung innerhalb dieses Netzes kann von England ver¬
möge seiner weitentwickelten Kabelverbindungen unbeobachtet bleiben. Überall
vermag es entscheidend einzugreifen. Man hat oft gespottet über den Unwert
einzelner Felseninseln, die in britische Hände übergingen und die nichts als
Namen waren. Als Knoten- und Haltepunkte dieses Netzes aber erhalten sie
eine erhöhte Bedeutung; an sich sind sie nichts, als Bindeglieder in der englischen
Weltmacht sind sie von erheblicher Wichtigkeit. Wo auch immer politische oder
strategische Schwierigkeiten sich ergeben, da ist ein Stützpunkt, dessen Ausbau
nötigenfalls keine Schwierigkeiten bereitet. Wichtig bleibt immer, daß er,
wenn sich in dieser oder jener Weltferne politische Wolken zusammen¬
ballen, nicht erst gesucht und erworben werden muß -- ganz abgesehen
davon, daß das in diesem Augenblick schwierig sein würde --, sondern
daß man ihn nur zu dem erheben muß, was die jeweilige politische Lage
erfordert*).

Wir brauchen von diesem Gesichtspunkte aus nur die einzelnen Welt¬
meere zu betrachten, um die Wichtigkeit dieser Tatsache in ihrer weltpolitischen
Schwere zu erkennen. Und es ist bewundernswürdig, wenn auch für uns als
aufstrebendes Welthandelsvolk bedauerlich, daß die britische Politik gerade dort
ein engmaschiges Netz zu schaffen vermochte, wo hohe wirtschaftliche Werte zu
erlangen und zu verteidigen sind.

Atlantischer Ozean. Zwei Linien englischer Stützpunkte gehen vom
Mutterlande aus, die eine nach Süden, die andere nach Westen; die erste als Ziel



*) Besonders deutlich tritt das bei den Bermudainseln und bei Jamaika hervor.
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Englische lveltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege

erledigt anzusehen ist, um die Wende des neunzehnten zum zwanzigsten Jahr¬
hundert für England genau so brennend wie die Frage des wirtschaftlichen
Erstarkens des Deutschen Reiches.

Die letzten Ursachen des gegenwärtigen Krieges führen mehr oder minder
auf alle diese Probleme zurück, die in dem seebeherrschenden England nicht
geringe Widerstände auslösen mußten. Die Hoffnung Englands, das lang¬
ersehnte Ziel der Aufrichtung des British Empire erreicht zu haben, ward durch
den Verlauf des Krieges grausam zerschlagen.

Vergegenwärtigen wir uns die Stellung des British Empire vor
Kriegsausbruch! Ju der Tat hat es niemals ein größeres Weltreich
gegeben alsdieses nahezu vor seiner Vollendung stehende britische. Das
römische Imperium stand ihm weit an Größe nach. Nur das haben
sie gemeinsam, daß beider Macht auf die Beherrschung des Weltmeeres
sich gründete. Das ist die größtmöglichste Ausdehnung eines Welt¬
reiches; seinen Zusammenhalt zu wahren, ist die Hauptaufgabe jeglicher
Weltpolitik.

England hat es verstanden, über die Erde ein Netz von Stützpunkten
auszubreiten, das in seiner Gesamtheit das ganze Erdenrund umspannt und
umschließt. Keine Bewegung innerhalb dieses Netzes kann von England ver¬
möge seiner weitentwickelten Kabelverbindungen unbeobachtet bleiben. Überall
vermag es entscheidend einzugreifen. Man hat oft gespottet über den Unwert
einzelner Felseninseln, die in britische Hände übergingen und die nichts als
Namen waren. Als Knoten- und Haltepunkte dieses Netzes aber erhalten sie
eine erhöhte Bedeutung; an sich sind sie nichts, als Bindeglieder in der englischen
Weltmacht sind sie von erheblicher Wichtigkeit. Wo auch immer politische oder
strategische Schwierigkeiten sich ergeben, da ist ein Stützpunkt, dessen Ausbau
nötigenfalls keine Schwierigkeiten bereitet. Wichtig bleibt immer, daß er,
wenn sich in dieser oder jener Weltferne politische Wolken zusammen¬
ballen, nicht erst gesucht und erworben werden muß — ganz abgesehen
davon, daß das in diesem Augenblick schwierig sein würde —, sondern
daß man ihn nur zu dem erheben muß, was die jeweilige politische Lage
erfordert*).

Wir brauchen von diesem Gesichtspunkte aus nur die einzelnen Welt¬
meere zu betrachten, um die Wichtigkeit dieser Tatsache in ihrer weltpolitischen
Schwere zu erkennen. Und es ist bewundernswürdig, wenn auch für uns als
aufstrebendes Welthandelsvolk bedauerlich, daß die britische Politik gerade dort
ein engmaschiges Netz zu schaffen vermochte, wo hohe wirtschaftliche Werte zu
erlangen und zu verteidigen sind.

Atlantischer Ozean. Zwei Linien englischer Stützpunkte gehen vom
Mutterlande aus, die eine nach Süden, die andere nach Westen; die erste als Ziel



*) Besonders deutlich tritt das bei den Bermudainseln und bei Jamaika hervor.
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[0335] Englische lveltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege erledigt anzusehen ist, um die Wende des neunzehnten zum zwanzigsten Jahr¬ hundert für England genau so brennend wie die Frage des wirtschaftlichen Erstarkens des Deutschen Reiches. Die letzten Ursachen des gegenwärtigen Krieges führen mehr oder minder auf alle diese Probleme zurück, die in dem seebeherrschenden England nicht geringe Widerstände auslösen mußten. Die Hoffnung Englands, das lang¬ ersehnte Ziel der Aufrichtung des British Empire erreicht zu haben, ward durch den Verlauf des Krieges grausam zerschlagen. Vergegenwärtigen wir uns die Stellung des British Empire vor Kriegsausbruch! Ju der Tat hat es niemals ein größeres Weltreich gegeben alsdieses nahezu vor seiner Vollendung stehende britische. Das römische Imperium stand ihm weit an Größe nach. Nur das haben sie gemeinsam, daß beider Macht auf die Beherrschung des Weltmeeres sich gründete. Das ist die größtmöglichste Ausdehnung eines Welt¬ reiches; seinen Zusammenhalt zu wahren, ist die Hauptaufgabe jeglicher Weltpolitik. England hat es verstanden, über die Erde ein Netz von Stützpunkten auszubreiten, das in seiner Gesamtheit das ganze Erdenrund umspannt und umschließt. Keine Bewegung innerhalb dieses Netzes kann von England ver¬ möge seiner weitentwickelten Kabelverbindungen unbeobachtet bleiben. Überall vermag es entscheidend einzugreifen. Man hat oft gespottet über den Unwert einzelner Felseninseln, die in britische Hände übergingen und die nichts als Namen waren. Als Knoten- und Haltepunkte dieses Netzes aber erhalten sie eine erhöhte Bedeutung; an sich sind sie nichts, als Bindeglieder in der englischen Weltmacht sind sie von erheblicher Wichtigkeit. Wo auch immer politische oder strategische Schwierigkeiten sich ergeben, da ist ein Stützpunkt, dessen Ausbau nötigenfalls keine Schwierigkeiten bereitet. Wichtig bleibt immer, daß er, wenn sich in dieser oder jener Weltferne politische Wolken zusammen¬ ballen, nicht erst gesucht und erworben werden muß — ganz abgesehen davon, daß das in diesem Augenblick schwierig sein würde —, sondern daß man ihn nur zu dem erheben muß, was die jeweilige politische Lage erfordert*). Wir brauchen von diesem Gesichtspunkte aus nur die einzelnen Welt¬ meere zu betrachten, um die Wichtigkeit dieser Tatsache in ihrer weltpolitischen Schwere zu erkennen. Und es ist bewundernswürdig, wenn auch für uns als aufstrebendes Welthandelsvolk bedauerlich, daß die britische Politik gerade dort ein engmaschiges Netz zu schaffen vermochte, wo hohe wirtschaftliche Werte zu erlangen und zu verteidigen sind. Atlantischer Ozean. Zwei Linien englischer Stützpunkte gehen vom Mutterlande aus, die eine nach Süden, die andere nach Westen; die erste als Ziel *) Besonders deutlich tritt das bei den Bermudainseln und bei Jamaika hervor. 21*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/335>, abgerufen am 26.06.2024.