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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

die Folge davon ist, daß die sozialistischen Mitglieder der Ausschüsse für
öffentliche Hilfstätigkeit ihre Entlassung nehmen, wie das vorher schon in
Venedig geschehen ist. Durch diese Austritte protestieren die Sozialdemokraten
gegen die Komitees für Kriegsfürsorge und bürgerliche Mobilisierung und gegen
die Art ihrer Arbeit. Der Avanti hat in einem Aufsatz ihre mangelhafte
Organisation und ihren dilettantischen Betrieb bloßgestellt: er fordert, daß der
Staat alle für den Krieg notwendigen Maßnahmen treffen solle, die er nicht
privater Initiative überlassen dürfe. Man staunt allerdings auch, wenn man
verfolgt, wie sich allenthalben Vereinigungen nicht nur zur Unterstützung der
im Felde Stehenden und Daheimgebliebenen, sondern auch für militärische
Zwecke, für Munitionsversorgung und Kriegserfindungen, gebildet haben. Und
wenn man erfährt, daß sich in Bologna ein Komitee für Munitionsversorgung
mit einem Kapital von 250000 Lire begründet hat, so dürfte das außerhalb
Italiens wohl in das Kapitel des Kriegshumors gerechnet werden. Ermutigend
auf das Durchhalten wirkt gewiß auch nicht die Summe, die durch öffentliche
Sammeltätigkeit bisher aufgebracht worden ist. Es ist interessant zu sehen,
wie sich die Ziffern auf einige der größeren Städte verteilen:

Mailand..... 5 300 993 Lire
Rom...... 1 557 522 "
Genua...... 1555305 "
Turin...... 1 365110 "
Venedig...... 783 415 "
Florenz...... 552 452 "
Palermo..... 323 075 "
Brescia...... 257 861 "
Neapel...... 250401 "
Perugia...... 51 696 "

Zugleich gibt sich in der Aufstellung kund -- was man schon vor dem
Eingreifen Italiens in den Weltkrieg wußte -- daß das Unternehmen je
weiter nach dem Süden hin umso unpopulärer wird. Wenn Neapel, eine
Stadt von 750 000 Einwohnern, mag auch ein großer Prozentsatz der ärmeren
Bevölkerung angehören, nur 250 000 Lire beigesteuert hat, so ist das doch ein
Ergebnis, das zu denken gibt. Es ist auch nicht nur die oppositionelle, sondern
ebenso die bürgerliche Presse, die bittere Klagen erhebt, daß der Gemetnsinn
der großen patriotischen Sache gegenüber gänzlich versage. Mit heftigen
Vorwürfen ist von dem Geiz der Römer gesprochen worden, der sich dessen,
was auf dem Spiel stände, gar nicht bewußt zu sein schiene.

Daß ein allgemeiner Burgfriede nicht durchzuführen ist. geht aus der
Haltung der Presse deutlich hervor. Einzelne bürgerliche Blätter toben sich aus
gegen die offiziellen Sozialdemokraten und gegen den Avanti wegen seiner
Stellungnahme. Sie rächen sich damit, daß sie von Bestechungen mit deutschem


Grenzboten III 191ö 2"
Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei

die Folge davon ist, daß die sozialistischen Mitglieder der Ausschüsse für
öffentliche Hilfstätigkeit ihre Entlassung nehmen, wie das vorher schon in
Venedig geschehen ist. Durch diese Austritte protestieren die Sozialdemokraten
gegen die Komitees für Kriegsfürsorge und bürgerliche Mobilisierung und gegen
die Art ihrer Arbeit. Der Avanti hat in einem Aufsatz ihre mangelhafte
Organisation und ihren dilettantischen Betrieb bloßgestellt: er fordert, daß der
Staat alle für den Krieg notwendigen Maßnahmen treffen solle, die er nicht
privater Initiative überlassen dürfe. Man staunt allerdings auch, wenn man
verfolgt, wie sich allenthalben Vereinigungen nicht nur zur Unterstützung der
im Felde Stehenden und Daheimgebliebenen, sondern auch für militärische
Zwecke, für Munitionsversorgung und Kriegserfindungen, gebildet haben. Und
wenn man erfährt, daß sich in Bologna ein Komitee für Munitionsversorgung
mit einem Kapital von 250000 Lire begründet hat, so dürfte das außerhalb
Italiens wohl in das Kapitel des Kriegshumors gerechnet werden. Ermutigend
auf das Durchhalten wirkt gewiß auch nicht die Summe, die durch öffentliche
Sammeltätigkeit bisher aufgebracht worden ist. Es ist interessant zu sehen,
wie sich die Ziffern auf einige der größeren Städte verteilen:

Mailand..... 5 300 993 Lire
Rom...... 1 557 522 „
Genua...... 1555305 „
Turin...... 1 365110 „
Venedig...... 783 415 „
Florenz...... 552 452 „
Palermo..... 323 075 „
Brescia...... 257 861 „
Neapel...... 250401 „
Perugia...... 51 696 „

Zugleich gibt sich in der Aufstellung kund — was man schon vor dem
Eingreifen Italiens in den Weltkrieg wußte — daß das Unternehmen je
weiter nach dem Süden hin umso unpopulärer wird. Wenn Neapel, eine
Stadt von 750 000 Einwohnern, mag auch ein großer Prozentsatz der ärmeren
Bevölkerung angehören, nur 250 000 Lire beigesteuert hat, so ist das doch ein
Ergebnis, das zu denken gibt. Es ist auch nicht nur die oppositionelle, sondern
ebenso die bürgerliche Presse, die bittere Klagen erhebt, daß der Gemetnsinn
der großen patriotischen Sache gegenüber gänzlich versage. Mit heftigen
Vorwürfen ist von dem Geiz der Römer gesprochen worden, der sich dessen,
was auf dem Spiel stände, gar nicht bewußt zu sein schiene.

Daß ein allgemeiner Burgfriede nicht durchzuführen ist. geht aus der
Haltung der Presse deutlich hervor. Einzelne bürgerliche Blätter toben sich aus
gegen die offiziellen Sozialdemokraten und gegen den Avanti wegen seiner
Stellungnahme. Sie rächen sich damit, daß sie von Bestechungen mit deutschem


Grenzboten III 191ö 2"
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[0317] Italienische Stimmungen vor der Kriegserklärung an die Türkei die Folge davon ist, daß die sozialistischen Mitglieder der Ausschüsse für öffentliche Hilfstätigkeit ihre Entlassung nehmen, wie das vorher schon in Venedig geschehen ist. Durch diese Austritte protestieren die Sozialdemokraten gegen die Komitees für Kriegsfürsorge und bürgerliche Mobilisierung und gegen die Art ihrer Arbeit. Der Avanti hat in einem Aufsatz ihre mangelhafte Organisation und ihren dilettantischen Betrieb bloßgestellt: er fordert, daß der Staat alle für den Krieg notwendigen Maßnahmen treffen solle, die er nicht privater Initiative überlassen dürfe. Man staunt allerdings auch, wenn man verfolgt, wie sich allenthalben Vereinigungen nicht nur zur Unterstützung der im Felde Stehenden und Daheimgebliebenen, sondern auch für militärische Zwecke, für Munitionsversorgung und Kriegserfindungen, gebildet haben. Und wenn man erfährt, daß sich in Bologna ein Komitee für Munitionsversorgung mit einem Kapital von 250000 Lire begründet hat, so dürfte das außerhalb Italiens wohl in das Kapitel des Kriegshumors gerechnet werden. Ermutigend auf das Durchhalten wirkt gewiß auch nicht die Summe, die durch öffentliche Sammeltätigkeit bisher aufgebracht worden ist. Es ist interessant zu sehen, wie sich die Ziffern auf einige der größeren Städte verteilen: Mailand..... 5 300 993 Lire Rom...... 1 557 522 „ Genua...... 1555305 „ Turin...... 1 365110 „ Venedig...... 783 415 „ Florenz...... 552 452 „ Palermo..... 323 075 „ Brescia...... 257 861 „ Neapel...... 250401 „ Perugia...... 51 696 „ Zugleich gibt sich in der Aufstellung kund — was man schon vor dem Eingreifen Italiens in den Weltkrieg wußte — daß das Unternehmen je weiter nach dem Süden hin umso unpopulärer wird. Wenn Neapel, eine Stadt von 750 000 Einwohnern, mag auch ein großer Prozentsatz der ärmeren Bevölkerung angehören, nur 250 000 Lire beigesteuert hat, so ist das doch ein Ergebnis, das zu denken gibt. Es ist auch nicht nur die oppositionelle, sondern ebenso die bürgerliche Presse, die bittere Klagen erhebt, daß der Gemetnsinn der großen patriotischen Sache gegenüber gänzlich versage. Mit heftigen Vorwürfen ist von dem Geiz der Römer gesprochen worden, der sich dessen, was auf dem Spiel stände, gar nicht bewußt zu sein schiene. Daß ein allgemeiner Burgfriede nicht durchzuführen ist. geht aus der Haltung der Presse deutlich hervor. Einzelne bürgerliche Blätter toben sich aus gegen die offiziellen Sozialdemokraten und gegen den Avanti wegen seiner Stellungnahme. Sie rächen sich damit, daß sie von Bestechungen mit deutschem Grenzboten III 191ö 2"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/317>, abgerufen am 26.06.2024.