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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die künftige Stellung des Markwechsels auf dem Weltmarkte

weit mit Schrecken wahrgenommene Tatsache, daß die bisher als selbstverständlich
in Zahlung genommenen Wechsel nicht mehr bezahlt wurden. Die nackte Tat¬
sache, daß seit dem 5. August der Wechsel auf London nicht mehr eingelöst wurde,
offenbarte mit einem Schlage die Rechtlosigkeit fremder Kaufleute in der Geschäfts-
Vermittlung durch England; eine Selbstverständlichkeit war plötzlich nicht mehr
selbstverständlich, ein "stets nutzbares Zahlungsmittel" nicht mehr in Gold
umzuwandeln. Dadurch, daß London, die Abrechnungsstelle der Welt, seine Tore
dem internationalen Handel schloß, mußte der Wechsel auf London seinen Nimbus
einbüßen, mußte seine Alleinherrschaft im internationalen Geldverkehr erschüttert
werden.

Führten die angedeuteten Zahlungsverbote im Verein mit anderen Ma߬
nahmen der englischen Regierung schon an sich zu einer schweren Erschütterung
der Stellung Englands im internationalen Zahlungsverkehr, insbesondere bei Ver¬
mittlung des überseeischen Handels, so ist in der letzten Zeit eine konkrete Tat¬
sache in die Erscheinung getreten, die mit schlagender Deutlichkeit zeigt, daß
London in diesem Augenblick nicht mehr Mittelpunkt des Geldverkehrs ist: an
der Börse von New Jork befindet sich der Sterlingwechsel in dauerndem Sinken.
Die Engländer, die gleich bei Beginn der Steigerung der ausländischen Wechsel¬
kurse in Deutschland triumphierend das Märchen von der Erschütterung der deutschen
Valuta verbreiteten, müssen jetzt mit ansehen, daß die englischen Wechselkurse
einen Tiefstand in Amerika erreicht haben, wie er noch nie erreicht wurde. In
normalen Zeiten kann in New Dorr der Sterlingwechselkurs nicht mehr als zwei
oder drei Cents sinken, sonst würde es für die Londoner Bankwelt vorteilhafter
werden, Gold über den Ozean zu schicken, um die Wechsel auszulaufen, die so
billig zu haben sind. Schon ein geringer Unterschied reicht aus, um das Geschäft
gewinnreich zu machen. Wenn dies jetzt nicht geschieht, so ist damit bewiesen,
daß es nicht geschehen kann. Die Entwertung des Sterlingpreises auf dem
amerikanischen Geldmarkt bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die
Alleinherrschaft des Sterlingwechsels aufgehört hat. War bisher Kredit in
Sterlingwährung oberstes Bedürfnis des Weltverkehrs, so wird sich dieses
Bedürfnis nunmehr zunächst New Aork und der Dollarwährung zuwenden. Es
dürfte also eine Verschiebung am internationalen Geldmarkt in dem Sinne ein¬
treten, daß bei Begleichung der Welthandelsbilanz für die nächste Zukunft in
wachsendem Maße der Dollarwechsel gegenüber dem Sterlingwechsel zur Ver¬
wendung kommt.

Hiernach möchte es scheinen, daß die Hoffnungen und Wünsche, die man
bei uns in bezug auf die Ersetzung der englischen Institutionen durch neue,
mehr Sicherheit und Vorteil für den deutschen Handel bietende Einrichtungen
hegen zu dürfen glaubt, nicht realisierbar seien. In Wirklichkeit liegt indessen
gar kein Grund vor, die Frage, ob der Markwechsel nach dem Kriege die ihm
gebührende Stellung bei der Finanzierung des internationalen Geschäfts erlangen
werde, pessimistisch zu beurteilen. Zunächst darf man sich nicht durch den Hinweis


Die künftige Stellung des Markwechsels auf dem Weltmarkte

weit mit Schrecken wahrgenommene Tatsache, daß die bisher als selbstverständlich
in Zahlung genommenen Wechsel nicht mehr bezahlt wurden. Die nackte Tat¬
sache, daß seit dem 5. August der Wechsel auf London nicht mehr eingelöst wurde,
offenbarte mit einem Schlage die Rechtlosigkeit fremder Kaufleute in der Geschäfts-
Vermittlung durch England; eine Selbstverständlichkeit war plötzlich nicht mehr
selbstverständlich, ein „stets nutzbares Zahlungsmittel" nicht mehr in Gold
umzuwandeln. Dadurch, daß London, die Abrechnungsstelle der Welt, seine Tore
dem internationalen Handel schloß, mußte der Wechsel auf London seinen Nimbus
einbüßen, mußte seine Alleinherrschaft im internationalen Geldverkehr erschüttert
werden.

Führten die angedeuteten Zahlungsverbote im Verein mit anderen Ma߬
nahmen der englischen Regierung schon an sich zu einer schweren Erschütterung
der Stellung Englands im internationalen Zahlungsverkehr, insbesondere bei Ver¬
mittlung des überseeischen Handels, so ist in der letzten Zeit eine konkrete Tat¬
sache in die Erscheinung getreten, die mit schlagender Deutlichkeit zeigt, daß
London in diesem Augenblick nicht mehr Mittelpunkt des Geldverkehrs ist: an
der Börse von New Jork befindet sich der Sterlingwechsel in dauerndem Sinken.
Die Engländer, die gleich bei Beginn der Steigerung der ausländischen Wechsel¬
kurse in Deutschland triumphierend das Märchen von der Erschütterung der deutschen
Valuta verbreiteten, müssen jetzt mit ansehen, daß die englischen Wechselkurse
einen Tiefstand in Amerika erreicht haben, wie er noch nie erreicht wurde. In
normalen Zeiten kann in New Dorr der Sterlingwechselkurs nicht mehr als zwei
oder drei Cents sinken, sonst würde es für die Londoner Bankwelt vorteilhafter
werden, Gold über den Ozean zu schicken, um die Wechsel auszulaufen, die so
billig zu haben sind. Schon ein geringer Unterschied reicht aus, um das Geschäft
gewinnreich zu machen. Wenn dies jetzt nicht geschieht, so ist damit bewiesen,
daß es nicht geschehen kann. Die Entwertung des Sterlingpreises auf dem
amerikanischen Geldmarkt bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die
Alleinherrschaft des Sterlingwechsels aufgehört hat. War bisher Kredit in
Sterlingwährung oberstes Bedürfnis des Weltverkehrs, so wird sich dieses
Bedürfnis nunmehr zunächst New Aork und der Dollarwährung zuwenden. Es
dürfte also eine Verschiebung am internationalen Geldmarkt in dem Sinne ein¬
treten, daß bei Begleichung der Welthandelsbilanz für die nächste Zukunft in
wachsendem Maße der Dollarwechsel gegenüber dem Sterlingwechsel zur Ver¬
wendung kommt.

Hiernach möchte es scheinen, daß die Hoffnungen und Wünsche, die man
bei uns in bezug auf die Ersetzung der englischen Institutionen durch neue,
mehr Sicherheit und Vorteil für den deutschen Handel bietende Einrichtungen
hegen zu dürfen glaubt, nicht realisierbar seien. In Wirklichkeit liegt indessen
gar kein Grund vor, die Frage, ob der Markwechsel nach dem Kriege die ihm
gebührende Stellung bei der Finanzierung des internationalen Geschäfts erlangen
werde, pessimistisch zu beurteilen. Zunächst darf man sich nicht durch den Hinweis


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[0312] Die künftige Stellung des Markwechsels auf dem Weltmarkte weit mit Schrecken wahrgenommene Tatsache, daß die bisher als selbstverständlich in Zahlung genommenen Wechsel nicht mehr bezahlt wurden. Die nackte Tat¬ sache, daß seit dem 5. August der Wechsel auf London nicht mehr eingelöst wurde, offenbarte mit einem Schlage die Rechtlosigkeit fremder Kaufleute in der Geschäfts- Vermittlung durch England; eine Selbstverständlichkeit war plötzlich nicht mehr selbstverständlich, ein „stets nutzbares Zahlungsmittel" nicht mehr in Gold umzuwandeln. Dadurch, daß London, die Abrechnungsstelle der Welt, seine Tore dem internationalen Handel schloß, mußte der Wechsel auf London seinen Nimbus einbüßen, mußte seine Alleinherrschaft im internationalen Geldverkehr erschüttert werden. Führten die angedeuteten Zahlungsverbote im Verein mit anderen Ma߬ nahmen der englischen Regierung schon an sich zu einer schweren Erschütterung der Stellung Englands im internationalen Zahlungsverkehr, insbesondere bei Ver¬ mittlung des überseeischen Handels, so ist in der letzten Zeit eine konkrete Tat¬ sache in die Erscheinung getreten, die mit schlagender Deutlichkeit zeigt, daß London in diesem Augenblick nicht mehr Mittelpunkt des Geldverkehrs ist: an der Börse von New Jork befindet sich der Sterlingwechsel in dauerndem Sinken. Die Engländer, die gleich bei Beginn der Steigerung der ausländischen Wechsel¬ kurse in Deutschland triumphierend das Märchen von der Erschütterung der deutschen Valuta verbreiteten, müssen jetzt mit ansehen, daß die englischen Wechselkurse einen Tiefstand in Amerika erreicht haben, wie er noch nie erreicht wurde. In normalen Zeiten kann in New Dorr der Sterlingwechselkurs nicht mehr als zwei oder drei Cents sinken, sonst würde es für die Londoner Bankwelt vorteilhafter werden, Gold über den Ozean zu schicken, um die Wechsel auszulaufen, die so billig zu haben sind. Schon ein geringer Unterschied reicht aus, um das Geschäft gewinnreich zu machen. Wenn dies jetzt nicht geschieht, so ist damit bewiesen, daß es nicht geschehen kann. Die Entwertung des Sterlingpreises auf dem amerikanischen Geldmarkt bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß die Alleinherrschaft des Sterlingwechsels aufgehört hat. War bisher Kredit in Sterlingwährung oberstes Bedürfnis des Weltverkehrs, so wird sich dieses Bedürfnis nunmehr zunächst New Aork und der Dollarwährung zuwenden. Es dürfte also eine Verschiebung am internationalen Geldmarkt in dem Sinne ein¬ treten, daß bei Begleichung der Welthandelsbilanz für die nächste Zukunft in wachsendem Maße der Dollarwechsel gegenüber dem Sterlingwechsel zur Ver¬ wendung kommt. Hiernach möchte es scheinen, daß die Hoffnungen und Wünsche, die man bei uns in bezug auf die Ersetzung der englischen Institutionen durch neue, mehr Sicherheit und Vorteil für den deutschen Handel bietende Einrichtungen hegen zu dürfen glaubt, nicht realisierbar seien. In Wirklichkeit liegt indessen gar kein Grund vor, die Frage, ob der Markwechsel nach dem Kriege die ihm gebührende Stellung bei der Finanzierung des internationalen Geschäfts erlangen werde, pessimistisch zu beurteilen. Zunächst darf man sich nicht durch den Hinweis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/312>, abgerufen am 29.06.2024.