Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Rriegsliteratur

unter dem Titel: "England und Ägypten. Mit besonderer Rücksicht auf
Bismarcks Ägyptenpolitik" in der Sammlung "Deutsche Kriegsschriften"
(A. Marcus und E. Webers Verlag, Bonn) veröffentlicht. An der Hand einer
sorgfältigen Literaturkenntnis gibt der Verfasser ein sehr interessantes Bild von
der Politik Bismarcks in der ägyptischen Frage. Er zeigt, wie Bismarck es
meisterhaft verstanden hat, die beiden damaligen Rivalen im Niltale -- Gro߬
britannien und Frankreich -- gegeneinander auszuspielen, indem er bald dem
einen, bald dem anderen seine Unterstützung lieh, während er gleichzeitig der
jungen deutschen Kolonialpolitik eben durch dieses Manöverieren auf die Beine
half. Von besonderem Interesse dürfte die wenig bekannte Tatsache sein, daß
Bismarck damals als Äquivalent für eine tatkräftige deutsche Unterstützung in
der ägyptischen Frage wiederholt, wenn auch vergeblich, von England die
Abtretung der Insel Helgoland an Deutschland gefordert hat.

Am Schluß seiner Untersuchung führt von Hagen aus, "daß seit Bismarcks
Sturz eine Beeinträchtigung der englischen Stellung in Ägypten immer schwieriger
wurde, da Deutschland seitdem die Mittel fehlten, mit denen es andere Mächte
in Ägypten wie in der Epoche Ferrys gegen England hätte unterstützen können.
Denn der .neue Kurs' gab die Rückversicherung mit Nußland preis, um die
englische Freundschaft zu gewinnen und opferte damit eine Waffe, die Bismarck
zur Sicherung gegen England geschmiedet hatte." Die Folge davon war, daß
nach einigen vorübergehenden Verschärfungen im Jahre 1896 schließlich doch
1904 eine Einigung zwischen England und Frankreich zustande kam, die Ägypten
völlig England auslieferte.

Durch diesen englisch-französischen Vertrag hatte die politische Stellung
Englands in Ägypten eine deutlich bemerkbare Kräftigung erfahren, deren Folge
auf der anderen Seite die Lockerung des Verhältnisses Ägyptens zur Türkei war.
Wie Erich Meyer in seiner in der Sammlung "Der deutsche Krieg" erschienenen
Broschüre: "Deutschland und Ägypten" ausführt, tritt von jetzt ab ein Um¬
schwung in der durch französische Blätter gemachten "öffentlichen Preßmeinung"
Ägyptens ein, die allmählich einen immer deutschfeindlicheren Ton anschlägt. --
An dem ägyptischen Handel hat Deutschland in den letzten Jahren einen stetig
wachsenden Anteil gehabt, wozu die Ausfuhr von Baumwolle nach Deutschland
besonders beigetragen hat. Mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes
hat weder die finanzielle -- schon seit jeher der schwache Punkt des Nillandes --
noch die kulturelle Schritt gehalten, und in hygienischer und sozialer Gesetz¬
gebung ist bis in die letzte Zeit von feiten der englisch ägyptischen Verwaltung
nichts durchgreifendes geschehen.

Leider ist es, wie der Verfasser mit Recht beklagt, den in Ägypten
bestehenden deutschen Schulen noch nicht gelungen, diejenige Stelle einzunehmen,
die das Deutsche Reich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und politischen
Bedeutung nach beanspruchen und bei der nötigen Unterstützung durch die in
Betracht kommenden Stellen in der Heimat auch erreichen könnte. Auf diesem,


Rriegsliteratur

unter dem Titel: „England und Ägypten. Mit besonderer Rücksicht auf
Bismarcks Ägyptenpolitik" in der Sammlung „Deutsche Kriegsschriften"
(A. Marcus und E. Webers Verlag, Bonn) veröffentlicht. An der Hand einer
sorgfältigen Literaturkenntnis gibt der Verfasser ein sehr interessantes Bild von
der Politik Bismarcks in der ägyptischen Frage. Er zeigt, wie Bismarck es
meisterhaft verstanden hat, die beiden damaligen Rivalen im Niltale — Gro߬
britannien und Frankreich — gegeneinander auszuspielen, indem er bald dem
einen, bald dem anderen seine Unterstützung lieh, während er gleichzeitig der
jungen deutschen Kolonialpolitik eben durch dieses Manöverieren auf die Beine
half. Von besonderem Interesse dürfte die wenig bekannte Tatsache sein, daß
Bismarck damals als Äquivalent für eine tatkräftige deutsche Unterstützung in
der ägyptischen Frage wiederholt, wenn auch vergeblich, von England die
Abtretung der Insel Helgoland an Deutschland gefordert hat.

Am Schluß seiner Untersuchung führt von Hagen aus, „daß seit Bismarcks
Sturz eine Beeinträchtigung der englischen Stellung in Ägypten immer schwieriger
wurde, da Deutschland seitdem die Mittel fehlten, mit denen es andere Mächte
in Ägypten wie in der Epoche Ferrys gegen England hätte unterstützen können.
Denn der .neue Kurs' gab die Rückversicherung mit Nußland preis, um die
englische Freundschaft zu gewinnen und opferte damit eine Waffe, die Bismarck
zur Sicherung gegen England geschmiedet hatte." Die Folge davon war, daß
nach einigen vorübergehenden Verschärfungen im Jahre 1896 schließlich doch
1904 eine Einigung zwischen England und Frankreich zustande kam, die Ägypten
völlig England auslieferte.

Durch diesen englisch-französischen Vertrag hatte die politische Stellung
Englands in Ägypten eine deutlich bemerkbare Kräftigung erfahren, deren Folge
auf der anderen Seite die Lockerung des Verhältnisses Ägyptens zur Türkei war.
Wie Erich Meyer in seiner in der Sammlung „Der deutsche Krieg" erschienenen
Broschüre: „Deutschland und Ägypten" ausführt, tritt von jetzt ab ein Um¬
schwung in der durch französische Blätter gemachten „öffentlichen Preßmeinung"
Ägyptens ein, die allmählich einen immer deutschfeindlicheren Ton anschlägt. —
An dem ägyptischen Handel hat Deutschland in den letzten Jahren einen stetig
wachsenden Anteil gehabt, wozu die Ausfuhr von Baumwolle nach Deutschland
besonders beigetragen hat. Mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes
hat weder die finanzielle — schon seit jeher der schwache Punkt des Nillandes —
noch die kulturelle Schritt gehalten, und in hygienischer und sozialer Gesetz¬
gebung ist bis in die letzte Zeit von feiten der englisch ägyptischen Verwaltung
nichts durchgreifendes geschehen.

Leider ist es, wie der Verfasser mit Recht beklagt, den in Ägypten
bestehenden deutschen Schulen noch nicht gelungen, diejenige Stelle einzunehmen,
die das Deutsche Reich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und politischen
Bedeutung nach beanspruchen und bei der nötigen Unterstützung durch die in
Betracht kommenden Stellen in der Heimat auch erreichen könnte. Auf diesem,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0266" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324239"/>
          <fw type="header" place="top"> Rriegsliteratur</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_806" prev="#ID_805"> unter dem Titel: &#x201E;England und Ägypten. Mit besonderer Rücksicht auf<lb/>
Bismarcks Ägyptenpolitik" in der Sammlung &#x201E;Deutsche Kriegsschriften"<lb/>
(A. Marcus und E. Webers Verlag, Bonn) veröffentlicht. An der Hand einer<lb/>
sorgfältigen Literaturkenntnis gibt der Verfasser ein sehr interessantes Bild von<lb/>
der Politik Bismarcks in der ägyptischen Frage. Er zeigt, wie Bismarck es<lb/>
meisterhaft verstanden hat, die beiden damaligen Rivalen im Niltale &#x2014; Gro߬<lb/>
britannien und Frankreich &#x2014; gegeneinander auszuspielen, indem er bald dem<lb/>
einen, bald dem anderen seine Unterstützung lieh, während er gleichzeitig der<lb/>
jungen deutschen Kolonialpolitik eben durch dieses Manöverieren auf die Beine<lb/>
half. Von besonderem Interesse dürfte die wenig bekannte Tatsache sein, daß<lb/>
Bismarck damals als Äquivalent für eine tatkräftige deutsche Unterstützung in<lb/>
der ägyptischen Frage wiederholt, wenn auch vergeblich, von England die<lb/>
Abtretung der Insel Helgoland an Deutschland gefordert hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_807"> Am Schluß seiner Untersuchung führt von Hagen aus, &#x201E;daß seit Bismarcks<lb/>
Sturz eine Beeinträchtigung der englischen Stellung in Ägypten immer schwieriger<lb/>
wurde, da Deutschland seitdem die Mittel fehlten, mit denen es andere Mächte<lb/>
in Ägypten wie in der Epoche Ferrys gegen England hätte unterstützen können.<lb/>
Denn der .neue Kurs' gab die Rückversicherung mit Nußland preis, um die<lb/>
englische Freundschaft zu gewinnen und opferte damit eine Waffe, die Bismarck<lb/>
zur Sicherung gegen England geschmiedet hatte." Die Folge davon war, daß<lb/>
nach einigen vorübergehenden Verschärfungen im Jahre 1896 schließlich doch<lb/>
1904 eine Einigung zwischen England und Frankreich zustande kam, die Ägypten<lb/>
völlig England auslieferte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_808"> Durch diesen englisch-französischen Vertrag hatte die politische Stellung<lb/>
Englands in Ägypten eine deutlich bemerkbare Kräftigung erfahren, deren Folge<lb/>
auf der anderen Seite die Lockerung des Verhältnisses Ägyptens zur Türkei war.<lb/>
Wie Erich Meyer in seiner in der Sammlung &#x201E;Der deutsche Krieg" erschienenen<lb/>
Broschüre: &#x201E;Deutschland und Ägypten" ausführt, tritt von jetzt ab ein Um¬<lb/>
schwung in der durch französische Blätter gemachten &#x201E;öffentlichen Preßmeinung"<lb/>
Ägyptens ein, die allmählich einen immer deutschfeindlicheren Ton anschlägt. &#x2014;<lb/>
An dem ägyptischen Handel hat Deutschland in den letzten Jahren einen stetig<lb/>
wachsenden Anteil gehabt, wozu die Ausfuhr von Baumwolle nach Deutschland<lb/>
besonders beigetragen hat. Mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes<lb/>
hat weder die finanzielle &#x2014; schon seit jeher der schwache Punkt des Nillandes &#x2014;<lb/>
noch die kulturelle Schritt gehalten, und in hygienischer und sozialer Gesetz¬<lb/>
gebung ist bis in die letzte Zeit von feiten der englisch ägyptischen Verwaltung<lb/>
nichts durchgreifendes geschehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_809" next="#ID_810"> Leider ist es, wie der Verfasser mit Recht beklagt, den in Ägypten<lb/>
bestehenden deutschen Schulen noch nicht gelungen, diejenige Stelle einzunehmen,<lb/>
die das Deutsche Reich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und politischen<lb/>
Bedeutung nach beanspruchen und bei der nötigen Unterstützung durch die in<lb/>
Betracht kommenden Stellen in der Heimat auch erreichen könnte. Auf diesem,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0266] Rriegsliteratur unter dem Titel: „England und Ägypten. Mit besonderer Rücksicht auf Bismarcks Ägyptenpolitik" in der Sammlung „Deutsche Kriegsschriften" (A. Marcus und E. Webers Verlag, Bonn) veröffentlicht. An der Hand einer sorgfältigen Literaturkenntnis gibt der Verfasser ein sehr interessantes Bild von der Politik Bismarcks in der ägyptischen Frage. Er zeigt, wie Bismarck es meisterhaft verstanden hat, die beiden damaligen Rivalen im Niltale — Gro߬ britannien und Frankreich — gegeneinander auszuspielen, indem er bald dem einen, bald dem anderen seine Unterstützung lieh, während er gleichzeitig der jungen deutschen Kolonialpolitik eben durch dieses Manöverieren auf die Beine half. Von besonderem Interesse dürfte die wenig bekannte Tatsache sein, daß Bismarck damals als Äquivalent für eine tatkräftige deutsche Unterstützung in der ägyptischen Frage wiederholt, wenn auch vergeblich, von England die Abtretung der Insel Helgoland an Deutschland gefordert hat. Am Schluß seiner Untersuchung führt von Hagen aus, „daß seit Bismarcks Sturz eine Beeinträchtigung der englischen Stellung in Ägypten immer schwieriger wurde, da Deutschland seitdem die Mittel fehlten, mit denen es andere Mächte in Ägypten wie in der Epoche Ferrys gegen England hätte unterstützen können. Denn der .neue Kurs' gab die Rückversicherung mit Nußland preis, um die englische Freundschaft zu gewinnen und opferte damit eine Waffe, die Bismarck zur Sicherung gegen England geschmiedet hatte." Die Folge davon war, daß nach einigen vorübergehenden Verschärfungen im Jahre 1896 schließlich doch 1904 eine Einigung zwischen England und Frankreich zustande kam, die Ägypten völlig England auslieferte. Durch diesen englisch-französischen Vertrag hatte die politische Stellung Englands in Ägypten eine deutlich bemerkbare Kräftigung erfahren, deren Folge auf der anderen Seite die Lockerung des Verhältnisses Ägyptens zur Türkei war. Wie Erich Meyer in seiner in der Sammlung „Der deutsche Krieg" erschienenen Broschüre: „Deutschland und Ägypten" ausführt, tritt von jetzt ab ein Um¬ schwung in der durch französische Blätter gemachten „öffentlichen Preßmeinung" Ägyptens ein, die allmählich einen immer deutschfeindlicheren Ton anschlägt. — An dem ägyptischen Handel hat Deutschland in den letzten Jahren einen stetig wachsenden Anteil gehabt, wozu die Ausfuhr von Baumwolle nach Deutschland besonders beigetragen hat. Mit der raschen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes hat weder die finanzielle — schon seit jeher der schwache Punkt des Nillandes — noch die kulturelle Schritt gehalten, und in hygienischer und sozialer Gesetz¬ gebung ist bis in die letzte Zeit von feiten der englisch ägyptischen Verwaltung nichts durchgreifendes geschehen. Leider ist es, wie der Verfasser mit Recht beklagt, den in Ägypten bestehenden deutschen Schulen noch nicht gelungen, diejenige Stelle einzunehmen, die das Deutsche Reich seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und politischen Bedeutung nach beanspruchen und bei der nötigen Unterstützung durch die in Betracht kommenden Stellen in der Heimat auch erreichen könnte. Auf diesem,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/266
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/266>, abgerufen am 26.06.2024.