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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Kriegsliteratur

Hamburg im Druck erschienen ist. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin,
daß es vorläufig keine indische Nation mit einheitlichem Charakter und ein¬
heitlichen Zielen gibt, trotz der mannigfachen, aber schwachen Versuche, die in
den großen Städten von einzelnen unruhigen Elementen gemacht worden sind
und gemacht werden. Es fehlt an einer gemeinsamen Sprache, die im ganzen
Lande verstanden wird, und an einer gemeinsamen Religion. Die religiösen
Gegensätze zwischen Mohammedaner und Buddhisten find so tiefgreifend, und
Religion und religiöse Rücksichten spielen in Indien eine so große Rolle, daß
es den Engländern voraussichtlich auch ferner gelingen wird, mit Erfolg
die einen gegen die anderen auszuspielen. Wenigstens noch für einige Zeit.
Wie lange dies möglich sein wird, läßt sich natürlich nicht voraussehen.
Mancherlei Gefahren drohen der englischen Herrschaft in Indien, wenn diese
auch vielleicht noch entfernt sind.

Vor allem darf ein Moment auch bei der Beurteilung der indischen Frage
nicht unberücksichtigt gelassen werden, das tief in die asiatischen Verhältnisse
eingegriffen hat: der politische und wirtschaftliche Aufschwung Japans. Mag
Japan auch vorerst in China genug zu tun haben, so läßt sich doch kaum
leugnen, daß die Japaner ihre "Schlitzaugen" auch auf Indien mit seinen
reichen Schätzen geworfen haben. Diese Gefahr scheint man auch in England
allmählich zu begreifen; denn das freundschaftliche Verhältnis zwischen Japan
und England ist stark abgekühlt und die Begeisterung für den gelben Bundes¬
brüder hat bei John Bull bedeutend abgenommen, seitdem man erkannt hat,
daß die japanische Politik nicht uneigennützig genug ist, für England die
Kastanien aus dem Feuer zu holen, sondern bereits von seinem englischen
Lehrmeister in der Politik gelernt hat, den "tsrtiu8 Zauäens" zu spielen.




Auch in Ägypten ist es -- soviel man wenigstens hier gehört hat --
abgesehen von ein paar kleinen nationalistischen Kundgebungen zugunsten der
Türkei ruhig geblieben, und die, die gehofft hatten, ganz Ägypten werde sich
erheben, um dem Rufe des Khalifen zum heiligen Kriege Folge zu leisten,
sehen sich auch hier bitter enttäuscht. Ganz ungeniert setzten die Engländer
den rechtmäßigen Khediven ab, als er sich ihren Weisungen nicht fügte, und
fanden ein gefügiges Werkzeug in dem Prinzen Hussein Kamel, der seinem
Namen wohl alle Ehre machen wird.

Ägypten bildet eins jener zahlreichen Beispiele von Selbstlosigkeit in der
englischen Politik, die alles nur anderen zuliebe macht, ohne -- wie wir ja
jetzt so oft aus englischem Munde in den Zeitungen erfahren -- auch nur im
geringsten auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Die Besetzung des reichen
Nillandes durch England im Jahre 1382 und die aus diesem Akt
entspringenden politischen Folgen bilden den Hauptgegenstand einer wissen¬
schaftlich sehr brauchbaren, lesenswerten Schrift, die Dr. Maximilian von Hagen


Kriegsliteratur

Hamburg im Druck erschienen ist. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin,
daß es vorläufig keine indische Nation mit einheitlichem Charakter und ein¬
heitlichen Zielen gibt, trotz der mannigfachen, aber schwachen Versuche, die in
den großen Städten von einzelnen unruhigen Elementen gemacht worden sind
und gemacht werden. Es fehlt an einer gemeinsamen Sprache, die im ganzen
Lande verstanden wird, und an einer gemeinsamen Religion. Die religiösen
Gegensätze zwischen Mohammedaner und Buddhisten find so tiefgreifend, und
Religion und religiöse Rücksichten spielen in Indien eine so große Rolle, daß
es den Engländern voraussichtlich auch ferner gelingen wird, mit Erfolg
die einen gegen die anderen auszuspielen. Wenigstens noch für einige Zeit.
Wie lange dies möglich sein wird, läßt sich natürlich nicht voraussehen.
Mancherlei Gefahren drohen der englischen Herrschaft in Indien, wenn diese
auch vielleicht noch entfernt sind.

Vor allem darf ein Moment auch bei der Beurteilung der indischen Frage
nicht unberücksichtigt gelassen werden, das tief in die asiatischen Verhältnisse
eingegriffen hat: der politische und wirtschaftliche Aufschwung Japans. Mag
Japan auch vorerst in China genug zu tun haben, so läßt sich doch kaum
leugnen, daß die Japaner ihre „Schlitzaugen" auch auf Indien mit seinen
reichen Schätzen geworfen haben. Diese Gefahr scheint man auch in England
allmählich zu begreifen; denn das freundschaftliche Verhältnis zwischen Japan
und England ist stark abgekühlt und die Begeisterung für den gelben Bundes¬
brüder hat bei John Bull bedeutend abgenommen, seitdem man erkannt hat,
daß die japanische Politik nicht uneigennützig genug ist, für England die
Kastanien aus dem Feuer zu holen, sondern bereits von seinem englischen
Lehrmeister in der Politik gelernt hat, den „tsrtiu8 Zauäens" zu spielen.




Auch in Ägypten ist es — soviel man wenigstens hier gehört hat —
abgesehen von ein paar kleinen nationalistischen Kundgebungen zugunsten der
Türkei ruhig geblieben, und die, die gehofft hatten, ganz Ägypten werde sich
erheben, um dem Rufe des Khalifen zum heiligen Kriege Folge zu leisten,
sehen sich auch hier bitter enttäuscht. Ganz ungeniert setzten die Engländer
den rechtmäßigen Khediven ab, als er sich ihren Weisungen nicht fügte, und
fanden ein gefügiges Werkzeug in dem Prinzen Hussein Kamel, der seinem
Namen wohl alle Ehre machen wird.

Ägypten bildet eins jener zahlreichen Beispiele von Selbstlosigkeit in der
englischen Politik, die alles nur anderen zuliebe macht, ohne — wie wir ja
jetzt so oft aus englischem Munde in den Zeitungen erfahren — auch nur im
geringsten auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Die Besetzung des reichen
Nillandes durch England im Jahre 1382 und die aus diesem Akt
entspringenden politischen Folgen bilden den Hauptgegenstand einer wissen¬
schaftlich sehr brauchbaren, lesenswerten Schrift, die Dr. Maximilian von Hagen


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[0265] Kriegsliteratur Hamburg im Druck erschienen ist. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich darin, daß es vorläufig keine indische Nation mit einheitlichem Charakter und ein¬ heitlichen Zielen gibt, trotz der mannigfachen, aber schwachen Versuche, die in den großen Städten von einzelnen unruhigen Elementen gemacht worden sind und gemacht werden. Es fehlt an einer gemeinsamen Sprache, die im ganzen Lande verstanden wird, und an einer gemeinsamen Religion. Die religiösen Gegensätze zwischen Mohammedaner und Buddhisten find so tiefgreifend, und Religion und religiöse Rücksichten spielen in Indien eine so große Rolle, daß es den Engländern voraussichtlich auch ferner gelingen wird, mit Erfolg die einen gegen die anderen auszuspielen. Wenigstens noch für einige Zeit. Wie lange dies möglich sein wird, läßt sich natürlich nicht voraussehen. Mancherlei Gefahren drohen der englischen Herrschaft in Indien, wenn diese auch vielleicht noch entfernt sind. Vor allem darf ein Moment auch bei der Beurteilung der indischen Frage nicht unberücksichtigt gelassen werden, das tief in die asiatischen Verhältnisse eingegriffen hat: der politische und wirtschaftliche Aufschwung Japans. Mag Japan auch vorerst in China genug zu tun haben, so läßt sich doch kaum leugnen, daß die Japaner ihre „Schlitzaugen" auch auf Indien mit seinen reichen Schätzen geworfen haben. Diese Gefahr scheint man auch in England allmählich zu begreifen; denn das freundschaftliche Verhältnis zwischen Japan und England ist stark abgekühlt und die Begeisterung für den gelben Bundes¬ brüder hat bei John Bull bedeutend abgenommen, seitdem man erkannt hat, daß die japanische Politik nicht uneigennützig genug ist, für England die Kastanien aus dem Feuer zu holen, sondern bereits von seinem englischen Lehrmeister in der Politik gelernt hat, den „tsrtiu8 Zauäens" zu spielen. Auch in Ägypten ist es — soviel man wenigstens hier gehört hat — abgesehen von ein paar kleinen nationalistischen Kundgebungen zugunsten der Türkei ruhig geblieben, und die, die gehofft hatten, ganz Ägypten werde sich erheben, um dem Rufe des Khalifen zum heiligen Kriege Folge zu leisten, sehen sich auch hier bitter enttäuscht. Ganz ungeniert setzten die Engländer den rechtmäßigen Khediven ab, als er sich ihren Weisungen nicht fügte, und fanden ein gefügiges Werkzeug in dem Prinzen Hussein Kamel, der seinem Namen wohl alle Ehre machen wird. Ägypten bildet eins jener zahlreichen Beispiele von Selbstlosigkeit in der englischen Politik, die alles nur anderen zuliebe macht, ohne — wie wir ja jetzt so oft aus englischem Munde in den Zeitungen erfahren — auch nur im geringsten auf den eigenen Vorteil bedacht zu sein. Die Besetzung des reichen Nillandes durch England im Jahre 1382 und die aus diesem Akt entspringenden politischen Folgen bilden den Hauptgegenstand einer wissen¬ schaftlich sehr brauchbaren, lesenswerten Schrift, die Dr. Maximilian von Hagen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/265>, abgerufen am 29.06.2024.