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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Staatsgedanke

des Krieges das deutsche Volk für diejenige Nation erklärt haben, die den
vollkommenen Staat suche. Das ist gewiß nicht in dem Sinne richtig und
auch nicht gemeint, daß wir Deutschen eine besondere politische Veranlagung
von Natur hätten. Unsere Geschichte beweist das Gegenteil. Aber eins hat
dieses Volk: die Fähigkeit, etwas, was es als wahr und notwendig erkannt
hat, auch gegen seine eigene widerstrebende Natur sich anzueignen, und zwar
so. daß es sich selbst darüber vergessen kann. Das nennen wir in unserer
Sprache: Sachlichkeit. Wir haben etwas davon erlebt an der Art. wie das
deutsche Volk den Staatsgedanken behandelt hat. Kein Staat und Volk ist
wohl von Natur weniger geeignet gewesen, die politischen Ideen der großen
Revolution in sich aufzunehmen als Preußen. Daß diese Ideen wider seine
eigene Natur gingen, lehrt jede Seite seiner Geschichte bis zum heutigen Tage.
Ebenso aber auch, daß der ethische Staatsgedanke hier eine, wenn auch nicht
fertige, sondern noch sehr problematische, aber doch sichere Heimstätte gefunden
hat. Die Spannung, in der sich hier die höhere Staatsidee mit den natürlichen
politischen Instinkten weiter Kreise befindet, bedeutet zugleich das Leben dieser
Idee. Der Glaube an die politische Sendung Deutschlands bedeutet den
Glauben an die Zukunft, nicht an etwas gegenwärtig Fertiges. Wenn man
uns daher entgegenhält, die Verwendung hoher sozialethischer Ideen zu bloß
nationaler Organisation sei ein Mißbrauch dieser Ideen, so antworten wir:
ganz recht, nur glauben wir, daß es für das erste immer noch besser ist, sich im
kleineren Kreise zu organisieren, als, da sich augenblicklich im großen nichts
endgültiges machen läßt, die Hände in den Schoß zu legen. Dafür wollen
wir schon sorgen, daß auf die Dauer über den tiefsten Gedanken dieser
Organisation kein Zweifel bleibt. Das Bessere ist der Feind des Guten, eben
deshalb ist es nicht weise, dem Guten nicht die Ehre lassen zu wollen, daß es
doch immerhin gut ist. --

Worauf richtet sich nun unserer Glaube und Wille? Auf den deutschen
Staat? Auf den Zukunftsstaat? Auf etwas was beides in einem ist: civitas Oel.




Der deutsche Staatsgedanke

des Krieges das deutsche Volk für diejenige Nation erklärt haben, die den
vollkommenen Staat suche. Das ist gewiß nicht in dem Sinne richtig und
auch nicht gemeint, daß wir Deutschen eine besondere politische Veranlagung
von Natur hätten. Unsere Geschichte beweist das Gegenteil. Aber eins hat
dieses Volk: die Fähigkeit, etwas, was es als wahr und notwendig erkannt
hat, auch gegen seine eigene widerstrebende Natur sich anzueignen, und zwar
so. daß es sich selbst darüber vergessen kann. Das nennen wir in unserer
Sprache: Sachlichkeit. Wir haben etwas davon erlebt an der Art. wie das
deutsche Volk den Staatsgedanken behandelt hat. Kein Staat und Volk ist
wohl von Natur weniger geeignet gewesen, die politischen Ideen der großen
Revolution in sich aufzunehmen als Preußen. Daß diese Ideen wider seine
eigene Natur gingen, lehrt jede Seite seiner Geschichte bis zum heutigen Tage.
Ebenso aber auch, daß der ethische Staatsgedanke hier eine, wenn auch nicht
fertige, sondern noch sehr problematische, aber doch sichere Heimstätte gefunden
hat. Die Spannung, in der sich hier die höhere Staatsidee mit den natürlichen
politischen Instinkten weiter Kreise befindet, bedeutet zugleich das Leben dieser
Idee. Der Glaube an die politische Sendung Deutschlands bedeutet den
Glauben an die Zukunft, nicht an etwas gegenwärtig Fertiges. Wenn man
uns daher entgegenhält, die Verwendung hoher sozialethischer Ideen zu bloß
nationaler Organisation sei ein Mißbrauch dieser Ideen, so antworten wir:
ganz recht, nur glauben wir, daß es für das erste immer noch besser ist, sich im
kleineren Kreise zu organisieren, als, da sich augenblicklich im großen nichts
endgültiges machen läßt, die Hände in den Schoß zu legen. Dafür wollen
wir schon sorgen, daß auf die Dauer über den tiefsten Gedanken dieser
Organisation kein Zweifel bleibt. Das Bessere ist der Feind des Guten, eben
deshalb ist es nicht weise, dem Guten nicht die Ehre lassen zu wollen, daß es
doch immerhin gut ist. —

Worauf richtet sich nun unserer Glaube und Wille? Auf den deutschen
Staat? Auf den Zukunftsstaat? Auf etwas was beides in einem ist: civitas Oel.




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[0247] Der deutsche Staatsgedanke des Krieges das deutsche Volk für diejenige Nation erklärt haben, die den vollkommenen Staat suche. Das ist gewiß nicht in dem Sinne richtig und auch nicht gemeint, daß wir Deutschen eine besondere politische Veranlagung von Natur hätten. Unsere Geschichte beweist das Gegenteil. Aber eins hat dieses Volk: die Fähigkeit, etwas, was es als wahr und notwendig erkannt hat, auch gegen seine eigene widerstrebende Natur sich anzueignen, und zwar so. daß es sich selbst darüber vergessen kann. Das nennen wir in unserer Sprache: Sachlichkeit. Wir haben etwas davon erlebt an der Art. wie das deutsche Volk den Staatsgedanken behandelt hat. Kein Staat und Volk ist wohl von Natur weniger geeignet gewesen, die politischen Ideen der großen Revolution in sich aufzunehmen als Preußen. Daß diese Ideen wider seine eigene Natur gingen, lehrt jede Seite seiner Geschichte bis zum heutigen Tage. Ebenso aber auch, daß der ethische Staatsgedanke hier eine, wenn auch nicht fertige, sondern noch sehr problematische, aber doch sichere Heimstätte gefunden hat. Die Spannung, in der sich hier die höhere Staatsidee mit den natürlichen politischen Instinkten weiter Kreise befindet, bedeutet zugleich das Leben dieser Idee. Der Glaube an die politische Sendung Deutschlands bedeutet den Glauben an die Zukunft, nicht an etwas gegenwärtig Fertiges. Wenn man uns daher entgegenhält, die Verwendung hoher sozialethischer Ideen zu bloß nationaler Organisation sei ein Mißbrauch dieser Ideen, so antworten wir: ganz recht, nur glauben wir, daß es für das erste immer noch besser ist, sich im kleineren Kreise zu organisieren, als, da sich augenblicklich im großen nichts endgültiges machen läßt, die Hände in den Schoß zu legen. Dafür wollen wir schon sorgen, daß auf die Dauer über den tiefsten Gedanken dieser Organisation kein Zweifel bleibt. Das Bessere ist der Feind des Guten, eben deshalb ist es nicht weise, dem Guten nicht die Ehre lassen zu wollen, daß es doch immerhin gut ist. — Worauf richtet sich nun unserer Glaube und Wille? Auf den deutschen Staat? Auf den Zukunftsstaat? Auf etwas was beides in einem ist: civitas Oel.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/247>, abgerufen am 01.07.2024.