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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Staatsgedanke

anführte, um zu beweisen, daß ein Volk, selbst in einer sogenannten Revolution,
sich nicht empören könne. Der Staat bekommt damit den Charakter einer
Person, insofern sein Leben nicht mehr der Güter höchstes ist, wenn es sich
nicht einen des Lebens würdigen Inhalt gegeben hat.

Unter dieser Bedingung steht auch unsere Staatsgesinnung. Ja, nur um
die sittliche Staatsidee, an die wir glauben, gegen eine zwar mächtige, aber
grundsätzlich minderwertige, die uns in den sogenannten Demokratien Frankreichs
und Englands gegenübersteht, zu retten, führen wir diesen Krieg und dürfen
wir ihn führen. Wer in Deutschland diese unsere innere Lage so mißverstehen
kann, daß er. den Sinn dieses Krieges für uns Deutsche zusammenfassend,
meint, wir wollten das in der Welt zur Entwicklung bringen, was an wirt¬
schaftlichen Kräften in uns liegt, der hat die Bedeutung dieser Zeitenwende
nicht im entferntesten begriffen. Denn er will dann nichts, als ein neues
England (mit deutscher Sprache) an die Stelle des alten setzen, oder, da auch
hier dafür gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen: er will
als höchstes weltpolitisches Ziel das längst bekannte des Kampfes um "den Platz
an der Sonne", nur solle Deutschland von nun an etwas günstigere Bedingungen
in diesem Kampfe haben. Also dafür kämpften wir: daß das deutsche Kapital
und damit der Kapitalismus überhaupt gestärkt werde. Und für diesen Kampf
sollen wir Schiller, Fichte, Stein und all die anderen großen Präger des deutschen
Gedankens als Zeugen und Helfer anrufen?

Nein, wir kämpfen letzten Endes doch für etwas anderes: für das, was
wir den deutschen Staatsgedanken nennen. Wir kämpfen zunächst für uns
selbst, dann aber auch -- ein freilich noch weites Ziel -- für eine Neu¬
orientierung der gesamten Weltpolitik nach dieser in uns lebenden Staatsidee.

Diesen deutschen Staatsgedanken finden wir nicht an der Oberfläche der
deutschen Geschichte, wir kennen auch längst noch nicht des Deutschen Staat,
wenn wir Deutschlands Technik, Kunst, Handel und Wissen kennen. Am besten
gewinnen wir über diesen Gedanken Klarheit, wenn wir die Männer danach
fragen, die diesen Staat geschaffen haben. Sie müssen den Gedanken in sich
geboren haben, der dem deutschen Staat sein Recht gibt -- oder er hat kein
Necht, da zu sein.

Das neuere Deutschland hat drei schöpferische und eigentlich so zu nennende
Staatsmänner gesehen: Friedrich den Zweiten, den Freiherrn vom Stein und Bismarck.
Fragen wir, welcher Staatsgedanke sie trieb, so werden wir dem Verständnis
dessen, was der Deutsche unter Staat versteht, näher kommen.

Die Staatsgesinnung des großen Friedrich ist bekannt. Sie ist gekennzeichnet
durch das Wort: "Der erste Diener des Staates." Wir, denen die damit
bezeugte Gesinnung als etwas Selbstverständliches erscheint, wissen doch trotzdem,
daß sie ein Wunder in jener Zeit war, die eben das andere Wort gehört hatte:
"Der Staat, das bin ich." Wir wissen nun zum mindesten über eine Seite
des preußischen Staatsgedankens, der später zum deutschen wurde, Bescheid.


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Der deutsche Staatsgedanke

anführte, um zu beweisen, daß ein Volk, selbst in einer sogenannten Revolution,
sich nicht empören könne. Der Staat bekommt damit den Charakter einer
Person, insofern sein Leben nicht mehr der Güter höchstes ist, wenn es sich
nicht einen des Lebens würdigen Inhalt gegeben hat.

Unter dieser Bedingung steht auch unsere Staatsgesinnung. Ja, nur um
die sittliche Staatsidee, an die wir glauben, gegen eine zwar mächtige, aber
grundsätzlich minderwertige, die uns in den sogenannten Demokratien Frankreichs
und Englands gegenübersteht, zu retten, führen wir diesen Krieg und dürfen
wir ihn führen. Wer in Deutschland diese unsere innere Lage so mißverstehen
kann, daß er. den Sinn dieses Krieges für uns Deutsche zusammenfassend,
meint, wir wollten das in der Welt zur Entwicklung bringen, was an wirt¬
schaftlichen Kräften in uns liegt, der hat die Bedeutung dieser Zeitenwende
nicht im entferntesten begriffen. Denn er will dann nichts, als ein neues
England (mit deutscher Sprache) an die Stelle des alten setzen, oder, da auch
hier dafür gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen: er will
als höchstes weltpolitisches Ziel das längst bekannte des Kampfes um „den Platz
an der Sonne", nur solle Deutschland von nun an etwas günstigere Bedingungen
in diesem Kampfe haben. Also dafür kämpften wir: daß das deutsche Kapital
und damit der Kapitalismus überhaupt gestärkt werde. Und für diesen Kampf
sollen wir Schiller, Fichte, Stein und all die anderen großen Präger des deutschen
Gedankens als Zeugen und Helfer anrufen?

Nein, wir kämpfen letzten Endes doch für etwas anderes: für das, was
wir den deutschen Staatsgedanken nennen. Wir kämpfen zunächst für uns
selbst, dann aber auch — ein freilich noch weites Ziel — für eine Neu¬
orientierung der gesamten Weltpolitik nach dieser in uns lebenden Staatsidee.

Diesen deutschen Staatsgedanken finden wir nicht an der Oberfläche der
deutschen Geschichte, wir kennen auch längst noch nicht des Deutschen Staat,
wenn wir Deutschlands Technik, Kunst, Handel und Wissen kennen. Am besten
gewinnen wir über diesen Gedanken Klarheit, wenn wir die Männer danach
fragen, die diesen Staat geschaffen haben. Sie müssen den Gedanken in sich
geboren haben, der dem deutschen Staat sein Recht gibt — oder er hat kein
Necht, da zu sein.

Das neuere Deutschland hat drei schöpferische und eigentlich so zu nennende
Staatsmänner gesehen: Friedrich den Zweiten, den Freiherrn vom Stein und Bismarck.
Fragen wir, welcher Staatsgedanke sie trieb, so werden wir dem Verständnis
dessen, was der Deutsche unter Staat versteht, näher kommen.

Die Staatsgesinnung des großen Friedrich ist bekannt. Sie ist gekennzeichnet
durch das Wort: „Der erste Diener des Staates." Wir, denen die damit
bezeugte Gesinnung als etwas Selbstverständliches erscheint, wissen doch trotzdem,
daß sie ein Wunder in jener Zeit war, die eben das andere Wort gehört hatte:
„Der Staat, das bin ich." Wir wissen nun zum mindesten über eine Seite
des preußischen Staatsgedankens, der später zum deutschen wurde, Bescheid.


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[0239] Der deutsche Staatsgedanke anführte, um zu beweisen, daß ein Volk, selbst in einer sogenannten Revolution, sich nicht empören könne. Der Staat bekommt damit den Charakter einer Person, insofern sein Leben nicht mehr der Güter höchstes ist, wenn es sich nicht einen des Lebens würdigen Inhalt gegeben hat. Unter dieser Bedingung steht auch unsere Staatsgesinnung. Ja, nur um die sittliche Staatsidee, an die wir glauben, gegen eine zwar mächtige, aber grundsätzlich minderwertige, die uns in den sogenannten Demokratien Frankreichs und Englands gegenübersteht, zu retten, führen wir diesen Krieg und dürfen wir ihn führen. Wer in Deutschland diese unsere innere Lage so mißverstehen kann, daß er. den Sinn dieses Krieges für uns Deutsche zusammenfassend, meint, wir wollten das in der Welt zur Entwicklung bringen, was an wirt¬ schaftlichen Kräften in uns liegt, der hat die Bedeutung dieser Zeitenwende nicht im entferntesten begriffen. Denn er will dann nichts, als ein neues England (mit deutscher Sprache) an die Stelle des alten setzen, oder, da auch hier dafür gesorgt ist, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen: er will als höchstes weltpolitisches Ziel das längst bekannte des Kampfes um „den Platz an der Sonne", nur solle Deutschland von nun an etwas günstigere Bedingungen in diesem Kampfe haben. Also dafür kämpften wir: daß das deutsche Kapital und damit der Kapitalismus überhaupt gestärkt werde. Und für diesen Kampf sollen wir Schiller, Fichte, Stein und all die anderen großen Präger des deutschen Gedankens als Zeugen und Helfer anrufen? Nein, wir kämpfen letzten Endes doch für etwas anderes: für das, was wir den deutschen Staatsgedanken nennen. Wir kämpfen zunächst für uns selbst, dann aber auch — ein freilich noch weites Ziel — für eine Neu¬ orientierung der gesamten Weltpolitik nach dieser in uns lebenden Staatsidee. Diesen deutschen Staatsgedanken finden wir nicht an der Oberfläche der deutschen Geschichte, wir kennen auch längst noch nicht des Deutschen Staat, wenn wir Deutschlands Technik, Kunst, Handel und Wissen kennen. Am besten gewinnen wir über diesen Gedanken Klarheit, wenn wir die Männer danach fragen, die diesen Staat geschaffen haben. Sie müssen den Gedanken in sich geboren haben, der dem deutschen Staat sein Recht gibt — oder er hat kein Necht, da zu sein. Das neuere Deutschland hat drei schöpferische und eigentlich so zu nennende Staatsmänner gesehen: Friedrich den Zweiten, den Freiherrn vom Stein und Bismarck. Fragen wir, welcher Staatsgedanke sie trieb, so werden wir dem Verständnis dessen, was der Deutsche unter Staat versteht, näher kommen. Die Staatsgesinnung des großen Friedrich ist bekannt. Sie ist gekennzeichnet durch das Wort: „Der erste Diener des Staates." Wir, denen die damit bezeugte Gesinnung als etwas Selbstverständliches erscheint, wissen doch trotzdem, daß sie ein Wunder in jener Zeit war, die eben das andere Wort gehört hatte: „Der Staat, das bin ich." Wir wissen nun zum mindesten über eine Seite des preußischen Staatsgedankens, der später zum deutschen wurde, Bescheid. 1ö*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/239>, abgerufen am 23.07.2024.