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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der deutsche Stcrat5gebe>ille

prüfen, ob wir nur aus dem natürlichen Instinkt völkischer Zusammen¬
gehörigkeit heraus diesen unseren Staat um jeden Preis erhalten wollen. Für
Naturvölker und werdende Nationen mag solcher natürlicher Trieb zur Art¬
erhaltung als Grund für einen Kampf auf Leben und Tod genügen. Ein
reifes Volk muß wissen, daß der Staatsgedanke jenseits der Grenze des --
wenn auch noch so erweiterten -- Egoismus steht. Kein Staat hat ein Daseins¬
recht bloß aus dem Grunde, weil er mein Staat ist. Es muß ein durchaus
unpersönlicher, unnationaler, sachlicher Grund deu Staatsgedanken bilden, wenn
wir ihn als berechtigt, als Kulturgedanken anerkennen wollen.

So sangen wir als Studenten, und die in diesen Worten gärenden Vor¬
stellungen waren gewiß noch dunkel und unklar; denn ein neues Vaterland
kann sich niemand schaffen, wohl aber einen neuen Staat. Aber das eben
meinten wir auch: daß der Mensch den Staat schafft oder vernichtet, je nachdem
er das Recht dieses Staates anerkennt oder nicht, und daß nicht umgekehrt
der Staat durch sein bloßes Dasein und Sosein treue Staatsbürger zu erzengen
fähig ist.

Jeder Staat steht unter einer Bedingung: daß er eine Idee in sich berge,
die ewigen Wert hat. Wo ein Staat diese Bedingung nicht achtet und sich
damit begnügt, sein Recht bloß historisch zu erweisen, wird er schließlich seine
besten Glieder sich entfremden, und sein Leben wird, sei es auch noch so lang
und glanzvoll gewesen, ablaufen, ohne daß es der Menschheit und der Ewigkeit
irgendetwas Bleibendes hinterließ. Deshalb war Bonapartes Machtbereich
kein Staat, weil er keiner sittlichen Idee entsprungen war noch einer solchen
diente, sondern auf einem ganz individuellen Machtwillen beruhte. Anderseits
erscheint uns die Geschichte der kleinen griechischen Staatswesen des klassischen
Altertums trotz ihrer Kleinheit als ein unvergängliches, reiches Erbe der
Menschheit. Nicht wegen der Lebendigkeit dieser Geschichte und des menschlichen
Interesses an einzelnen politischen Charakterköpfen, sondern wegen der Kraft
des in diesem geschichtlichen Auf und Ab spürbaren antiken Staatsgedankens,
der seinen klaren Ausdruck schließlich in den politischen Werken Plato fand.
Nur ein Staat mit solchem inneren Leben ist ein wirklicher Staat. Einem
Staat, der nur ein individuell-zufälliges, rein historisches Gebilde ist, wohnt
kein unbedingter Wert inne. Ihm zu dienen, und wäre er der Staat des
eigenen Vaterlandes, ist keine sittliche Tat, und es wäre selbst die Erhebung
gegen diesen Staat der notwendige Appell an das göttliche Recht gegen
menschliches Unrecht. Man erinnere sich hierbei an die Gründe, die Fichte


Der deutsche Stcrat5gebe>ille

prüfen, ob wir nur aus dem natürlichen Instinkt völkischer Zusammen¬
gehörigkeit heraus diesen unseren Staat um jeden Preis erhalten wollen. Für
Naturvölker und werdende Nationen mag solcher natürlicher Trieb zur Art¬
erhaltung als Grund für einen Kampf auf Leben und Tod genügen. Ein
reifes Volk muß wissen, daß der Staatsgedanke jenseits der Grenze des —
wenn auch noch so erweiterten — Egoismus steht. Kein Staat hat ein Daseins¬
recht bloß aus dem Grunde, weil er mein Staat ist. Es muß ein durchaus
unpersönlicher, unnationaler, sachlicher Grund deu Staatsgedanken bilden, wenn
wir ihn als berechtigt, als Kulturgedanken anerkennen wollen.

So sangen wir als Studenten, und die in diesen Worten gärenden Vor¬
stellungen waren gewiß noch dunkel und unklar; denn ein neues Vaterland
kann sich niemand schaffen, wohl aber einen neuen Staat. Aber das eben
meinten wir auch: daß der Mensch den Staat schafft oder vernichtet, je nachdem
er das Recht dieses Staates anerkennt oder nicht, und daß nicht umgekehrt
der Staat durch sein bloßes Dasein und Sosein treue Staatsbürger zu erzengen
fähig ist.

Jeder Staat steht unter einer Bedingung: daß er eine Idee in sich berge,
die ewigen Wert hat. Wo ein Staat diese Bedingung nicht achtet und sich
damit begnügt, sein Recht bloß historisch zu erweisen, wird er schließlich seine
besten Glieder sich entfremden, und sein Leben wird, sei es auch noch so lang
und glanzvoll gewesen, ablaufen, ohne daß es der Menschheit und der Ewigkeit
irgendetwas Bleibendes hinterließ. Deshalb war Bonapartes Machtbereich
kein Staat, weil er keiner sittlichen Idee entsprungen war noch einer solchen
diente, sondern auf einem ganz individuellen Machtwillen beruhte. Anderseits
erscheint uns die Geschichte der kleinen griechischen Staatswesen des klassischen
Altertums trotz ihrer Kleinheit als ein unvergängliches, reiches Erbe der
Menschheit. Nicht wegen der Lebendigkeit dieser Geschichte und des menschlichen
Interesses an einzelnen politischen Charakterköpfen, sondern wegen der Kraft
des in diesem geschichtlichen Auf und Ab spürbaren antiken Staatsgedankens,
der seinen klaren Ausdruck schließlich in den politischen Werken Plato fand.
Nur ein Staat mit solchem inneren Leben ist ein wirklicher Staat. Einem
Staat, der nur ein individuell-zufälliges, rein historisches Gebilde ist, wohnt
kein unbedingter Wert inne. Ihm zu dienen, und wäre er der Staat des
eigenen Vaterlandes, ist keine sittliche Tat, und es wäre selbst die Erhebung
gegen diesen Staat der notwendige Appell an das göttliche Recht gegen
menschliches Unrecht. Man erinnere sich hierbei an die Gründe, die Fichte


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[0238] Der deutsche Stcrat5gebe>ille prüfen, ob wir nur aus dem natürlichen Instinkt völkischer Zusammen¬ gehörigkeit heraus diesen unseren Staat um jeden Preis erhalten wollen. Für Naturvölker und werdende Nationen mag solcher natürlicher Trieb zur Art¬ erhaltung als Grund für einen Kampf auf Leben und Tod genügen. Ein reifes Volk muß wissen, daß der Staatsgedanke jenseits der Grenze des — wenn auch noch so erweiterten — Egoismus steht. Kein Staat hat ein Daseins¬ recht bloß aus dem Grunde, weil er mein Staat ist. Es muß ein durchaus unpersönlicher, unnationaler, sachlicher Grund deu Staatsgedanken bilden, wenn wir ihn als berechtigt, als Kulturgedanken anerkennen wollen. So sangen wir als Studenten, und die in diesen Worten gärenden Vor¬ stellungen waren gewiß noch dunkel und unklar; denn ein neues Vaterland kann sich niemand schaffen, wohl aber einen neuen Staat. Aber das eben meinten wir auch: daß der Mensch den Staat schafft oder vernichtet, je nachdem er das Recht dieses Staates anerkennt oder nicht, und daß nicht umgekehrt der Staat durch sein bloßes Dasein und Sosein treue Staatsbürger zu erzengen fähig ist. Jeder Staat steht unter einer Bedingung: daß er eine Idee in sich berge, die ewigen Wert hat. Wo ein Staat diese Bedingung nicht achtet und sich damit begnügt, sein Recht bloß historisch zu erweisen, wird er schließlich seine besten Glieder sich entfremden, und sein Leben wird, sei es auch noch so lang und glanzvoll gewesen, ablaufen, ohne daß es der Menschheit und der Ewigkeit irgendetwas Bleibendes hinterließ. Deshalb war Bonapartes Machtbereich kein Staat, weil er keiner sittlichen Idee entsprungen war noch einer solchen diente, sondern auf einem ganz individuellen Machtwillen beruhte. Anderseits erscheint uns die Geschichte der kleinen griechischen Staatswesen des klassischen Altertums trotz ihrer Kleinheit als ein unvergängliches, reiches Erbe der Menschheit. Nicht wegen der Lebendigkeit dieser Geschichte und des menschlichen Interesses an einzelnen politischen Charakterköpfen, sondern wegen der Kraft des in diesem geschichtlichen Auf und Ab spürbaren antiken Staatsgedankens, der seinen klaren Ausdruck schließlich in den politischen Werken Plato fand. Nur ein Staat mit solchem inneren Leben ist ein wirklicher Staat. Einem Staat, der nur ein individuell-zufälliges, rein historisches Gebilde ist, wohnt kein unbedingter Wert inne. Ihm zu dienen, und wäre er der Staat des eigenen Vaterlandes, ist keine sittliche Tat, und es wäre selbst die Erhebung gegen diesen Staat der notwendige Appell an das göttliche Recht gegen menschliches Unrecht. Man erinnere sich hierbei an die Gründe, die Fichte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/238>, abgerufen am 22.07.2024.