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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft

werden können. Glücklicherweise besitzen wir aber in dem Verfahren zur
Herstellung von Kalkstickstoff eine Möglichkeit, unter Ausnutzung der vorhandenen
inneren Bodenschätze, unabhängig vom Auslande, ein Produkt zu erzeugen, das,
wie zahllose Düngungsversuche gezeigt haben, die Fruchtbarkeit des Landes
beträchtlich zu erhöhen imstande ist. Dieses Verfahren beruht auf der Eigen¬
schaft des Calciumkarbids in Pulverform und beim Erhitzen auf Rotglut be¬
gierig Stickstoff aufzunehmen und Calciumcyanamid zu bilden, das man mit
dem volkstümlichen Namen Kalkstickstoff belegt hat. Das Verdienst dieser
Entdeckung und ihrer praktischen Ausbeutung gebührt Adolf Frank in
Charlottenburg, dem hochverdienten Begründer der deutschen Kaliindustrie. Im
Jahre 1900 wurde die Cyanamidgesellschaft in. b. H. in Berlin begründet, aber
erst fünf Jahre später stellte das Werk Westeregeln bei Magdeburg Kalkstickstoff
im beschränktem Maße wirklich her und versandte es. Seitdem sind verschiedene
andere Werke in Betrieb gesetzt worden, von denen die größten die bayerischen
Stickstoffwerke A.-G. in München sind, die in der Nähe von Trostberg und
Tacherting gelegen, die Wasserkraft der Atz ausnutzen. Sind auch bei der
Kalkstickstoffabrikation große elektrische Energien vorhanden, so stellt sich doch
die Kraftverwertung wesentlich günstiger, als bei der Fabrikation von Norge-
salpeter. Wollte man die drei Viertel Millionen Tonnen Stickstoff, die im
Jahre 1911 in Deutschland importiert wurden, lediglich durch die Fabrikation
von Kalksalpeter ersetzen, so wären dafür nahezu eine Million Pferdekräfte
erforderlich, um aber dieselbe Menge Stickstoff in Form von Kalkstickstoff zu
erhalten, braucht man nur 340000 Pferdekräfte, eine Energiemenge, die die
Hälfte der bayerischen ausbaufähigen Wasserkräfte beinahe allein zu liefern in
der Lage ist.

In neuester Zeit ist es dem Deutschen Haber und dem Österreicher Serpek
gelungen, auf noch billigere Weise künstlich Stickstoffverbindungen herzustellen,-
die Methode von Haber wird von der Badischen Anilin- und Sodafabrik, die
von Serpek durch französische und norwegische Kapitalisten in Norwegen aus¬
gebeutet.

Der Blockadekrieg, den England gegen uns führt, hat zur Folge, daß sich
ein Finanzkonsortium gebildet hat, das die einschlägigen chemischen deutschen
Fabriken in die Lage versetzt, binnen kurzem so viel Kalkstickstoff zu erzeugen,
daß er für unsere deutsche Landwirtschaft ausreicht und uns von dem Bezug
auswärtiger Stickstoffmittel vollständig unabhängig macht, ein Ergebnis deutscher
Wissenschaft und Energie, das uns so leicht kein anderer Staat nachmacht.




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Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft

werden können. Glücklicherweise besitzen wir aber in dem Verfahren zur
Herstellung von Kalkstickstoff eine Möglichkeit, unter Ausnutzung der vorhandenen
inneren Bodenschätze, unabhängig vom Auslande, ein Produkt zu erzeugen, das,
wie zahllose Düngungsversuche gezeigt haben, die Fruchtbarkeit des Landes
beträchtlich zu erhöhen imstande ist. Dieses Verfahren beruht auf der Eigen¬
schaft des Calciumkarbids in Pulverform und beim Erhitzen auf Rotglut be¬
gierig Stickstoff aufzunehmen und Calciumcyanamid zu bilden, das man mit
dem volkstümlichen Namen Kalkstickstoff belegt hat. Das Verdienst dieser
Entdeckung und ihrer praktischen Ausbeutung gebührt Adolf Frank in
Charlottenburg, dem hochverdienten Begründer der deutschen Kaliindustrie. Im
Jahre 1900 wurde die Cyanamidgesellschaft in. b. H. in Berlin begründet, aber
erst fünf Jahre später stellte das Werk Westeregeln bei Magdeburg Kalkstickstoff
im beschränktem Maße wirklich her und versandte es. Seitdem sind verschiedene
andere Werke in Betrieb gesetzt worden, von denen die größten die bayerischen
Stickstoffwerke A.-G. in München sind, die in der Nähe von Trostberg und
Tacherting gelegen, die Wasserkraft der Atz ausnutzen. Sind auch bei der
Kalkstickstoffabrikation große elektrische Energien vorhanden, so stellt sich doch
die Kraftverwertung wesentlich günstiger, als bei der Fabrikation von Norge-
salpeter. Wollte man die drei Viertel Millionen Tonnen Stickstoff, die im
Jahre 1911 in Deutschland importiert wurden, lediglich durch die Fabrikation
von Kalksalpeter ersetzen, so wären dafür nahezu eine Million Pferdekräfte
erforderlich, um aber dieselbe Menge Stickstoff in Form von Kalkstickstoff zu
erhalten, braucht man nur 340000 Pferdekräfte, eine Energiemenge, die die
Hälfte der bayerischen ausbaufähigen Wasserkräfte beinahe allein zu liefern in
der Lage ist.

In neuester Zeit ist es dem Deutschen Haber und dem Österreicher Serpek
gelungen, auf noch billigere Weise künstlich Stickstoffverbindungen herzustellen,-
die Methode von Haber wird von der Badischen Anilin- und Sodafabrik, die
von Serpek durch französische und norwegische Kapitalisten in Norwegen aus¬
gebeutet.

Der Blockadekrieg, den England gegen uns führt, hat zur Folge, daß sich
ein Finanzkonsortium gebildet hat, das die einschlägigen chemischen deutschen
Fabriken in die Lage versetzt, binnen kurzem so viel Kalkstickstoff zu erzeugen,
daß er für unsere deutsche Landwirtschaft ausreicht und uns von dem Bezug
auswärtiger Stickstoffmittel vollständig unabhängig macht, ein Ergebnis deutscher
Wissenschaft und Energie, das uns so leicht kein anderer Staat nachmacht.




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[0223] Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft werden können. Glücklicherweise besitzen wir aber in dem Verfahren zur Herstellung von Kalkstickstoff eine Möglichkeit, unter Ausnutzung der vorhandenen inneren Bodenschätze, unabhängig vom Auslande, ein Produkt zu erzeugen, das, wie zahllose Düngungsversuche gezeigt haben, die Fruchtbarkeit des Landes beträchtlich zu erhöhen imstande ist. Dieses Verfahren beruht auf der Eigen¬ schaft des Calciumkarbids in Pulverform und beim Erhitzen auf Rotglut be¬ gierig Stickstoff aufzunehmen und Calciumcyanamid zu bilden, das man mit dem volkstümlichen Namen Kalkstickstoff belegt hat. Das Verdienst dieser Entdeckung und ihrer praktischen Ausbeutung gebührt Adolf Frank in Charlottenburg, dem hochverdienten Begründer der deutschen Kaliindustrie. Im Jahre 1900 wurde die Cyanamidgesellschaft in. b. H. in Berlin begründet, aber erst fünf Jahre später stellte das Werk Westeregeln bei Magdeburg Kalkstickstoff im beschränktem Maße wirklich her und versandte es. Seitdem sind verschiedene andere Werke in Betrieb gesetzt worden, von denen die größten die bayerischen Stickstoffwerke A.-G. in München sind, die in der Nähe von Trostberg und Tacherting gelegen, die Wasserkraft der Atz ausnutzen. Sind auch bei der Kalkstickstoffabrikation große elektrische Energien vorhanden, so stellt sich doch die Kraftverwertung wesentlich günstiger, als bei der Fabrikation von Norge- salpeter. Wollte man die drei Viertel Millionen Tonnen Stickstoff, die im Jahre 1911 in Deutschland importiert wurden, lediglich durch die Fabrikation von Kalksalpeter ersetzen, so wären dafür nahezu eine Million Pferdekräfte erforderlich, um aber dieselbe Menge Stickstoff in Form von Kalkstickstoff zu erhalten, braucht man nur 340000 Pferdekräfte, eine Energiemenge, die die Hälfte der bayerischen ausbaufähigen Wasserkräfte beinahe allein zu liefern in der Lage ist. In neuester Zeit ist es dem Deutschen Haber und dem Österreicher Serpek gelungen, auf noch billigere Weise künstlich Stickstoffverbindungen herzustellen,- die Methode von Haber wird von der Badischen Anilin- und Sodafabrik, die von Serpek durch französische und norwegische Kapitalisten in Norwegen aus¬ gebeutet. Der Blockadekrieg, den England gegen uns führt, hat zur Folge, daß sich ein Finanzkonsortium gebildet hat, das die einschlägigen chemischen deutschen Fabriken in die Lage versetzt, binnen kurzem so viel Kalkstickstoff zu erzeugen, daß er für unsere deutsche Landwirtschaft ausreicht und uns von dem Bezug auswärtiger Stickstoffmittel vollständig unabhängig macht, ein Ergebnis deutscher Wissenschaft und Energie, das uns so leicht kein anderer Staat nachmacht. 14*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/223>, abgerufen am 22.07.2024.