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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft

Hektar Erdboden 79000 Tonnen Stickstoff vorhanden sind; es genügt also
schon der Luftstickstoff, der über einer Fläche von 10 Hektar lagert, um den
ganzen jährlichen Chilisalpeterimport des deutschen Reiches zu ersetzen, falls es
gelingt, ihn zu binden.

Die ersten Bestrebungen, den Stickstoff der Atmosphäre zu binden, reichen
bis zum Jahre 1785 zurück und rühren von den berühmten Chemikern Priestley
und Cavendish her, aber erst hundert Jahre später gewannen ihre Versuche die
entsprechende Tragweite, als Menges in Haag das erste deutsche Reichspatent
über ein "Verfahren zur Reduktion oder Dissoziation von Verbindungen mittels
elektrischer Glühhitze" anmeldete. Die Elektrizität ist nämlich das einzige Mittel,
um den sonst so trägen Stickstoff zu verbrennen, ihn in die Form von Stick¬
oxyd zu zwingen, worauf die Erzeugung von Salpetersäure und von salpeter¬
sauren Salzen eine verhältnismäßig einfache Sache ist.

Von den Methoden, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf dem
Gebiet der Luftstickstoffgewinnung zu einem wirtschaftlichen Ergebnis geführt
haben, kommen in der Hauptsache zwei, höchstens drei in Frage. Die eine
stammt von den beiden Norwegern Chr. Birkeland und Sam. Eybe in Christiania.
Bei diesem Verfahren, das an das Vorhandensein bedeutender Wasserkräfte
gebunden ist, wird der Luftstickstoff durch eine Lichtbogenflamme, deren Temperatur
2500 bis 3000 Grad beträgt, mittels des in der Luft befindlichen Sauerstoffs
in einem elektrischen Ofen oxydiert. Die auf diese Weise oxidierte Luft enthält
ein bis zwei Prozent salpetersaure Dämpfe, aus denen in mit Quarz gefüllten,
mit Wasser berieselten Granittürmen die Salpetersäure gewonnen wird. Diese
wird dann, nachdem sie mit Kalkmilch gesättigt worden ist, eingedampft und
in körniger Form, mit einem garantierten Gehalt von dreizehn Prozent Stickstoff
in den Handel gebracht. Da nur ganz enorme Temperaturen von etwa
3000 Grad eine befriedigende Ausbeute an Stickoxyd gewähren und jene
wiederum nur durch einen elektrischen Strom von ganz außergewöhnlicher Stärke
hervorgebracht werden können, so ist die Benutzung dieses Verfahrens, mit dem
das der Badischen Anilin- und Sodafabrik nahe verwandt ist, nur dann
lohnend, wenn die Fabrikation im großen Umfang möglich ist und äußerst
billige und zugleich kräftige Energiekräfte zur Verfügung stehen, wie dies zum
Beispiel in Norwegen der Fall ist. Seit dem Jahre 1911 sind die großen
deutschen chemischen Fabriken an den Norwegischen Salpeterfabriken in Notodden
nur noch wenig beteiligt, diese arbeiten in der Hauptsache mit französischem
Kapital. Die Einfuhr von Norge- oder Kalksalpeter aus Norwegen belief sich
im Jahre 1913 auf 6.5 Millionen Mark, also auf eine verhältnismäßig geringe
Summe.

Für unsere deutschen Verhältnisse ist das geschilderte Verfahren, Kalk¬
salpeter herzustellen, unpraktisch, weil uns nicht so riesige Wasserkräfte zur Ver¬
fügung stehen, oder weil sie, wo sie vorhanden sind, wie etwa in einigen
Gegenden Süddeutschlands, in anderen Industrien gewinnbringender ausgenützt


Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft

Hektar Erdboden 79000 Tonnen Stickstoff vorhanden sind; es genügt also
schon der Luftstickstoff, der über einer Fläche von 10 Hektar lagert, um den
ganzen jährlichen Chilisalpeterimport des deutschen Reiches zu ersetzen, falls es
gelingt, ihn zu binden.

Die ersten Bestrebungen, den Stickstoff der Atmosphäre zu binden, reichen
bis zum Jahre 1785 zurück und rühren von den berühmten Chemikern Priestley
und Cavendish her, aber erst hundert Jahre später gewannen ihre Versuche die
entsprechende Tragweite, als Menges in Haag das erste deutsche Reichspatent
über ein „Verfahren zur Reduktion oder Dissoziation von Verbindungen mittels
elektrischer Glühhitze" anmeldete. Die Elektrizität ist nämlich das einzige Mittel,
um den sonst so trägen Stickstoff zu verbrennen, ihn in die Form von Stick¬
oxyd zu zwingen, worauf die Erzeugung von Salpetersäure und von salpeter¬
sauren Salzen eine verhältnismäßig einfache Sache ist.

Von den Methoden, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf dem
Gebiet der Luftstickstoffgewinnung zu einem wirtschaftlichen Ergebnis geführt
haben, kommen in der Hauptsache zwei, höchstens drei in Frage. Die eine
stammt von den beiden Norwegern Chr. Birkeland und Sam. Eybe in Christiania.
Bei diesem Verfahren, das an das Vorhandensein bedeutender Wasserkräfte
gebunden ist, wird der Luftstickstoff durch eine Lichtbogenflamme, deren Temperatur
2500 bis 3000 Grad beträgt, mittels des in der Luft befindlichen Sauerstoffs
in einem elektrischen Ofen oxydiert. Die auf diese Weise oxidierte Luft enthält
ein bis zwei Prozent salpetersaure Dämpfe, aus denen in mit Quarz gefüllten,
mit Wasser berieselten Granittürmen die Salpetersäure gewonnen wird. Diese
wird dann, nachdem sie mit Kalkmilch gesättigt worden ist, eingedampft und
in körniger Form, mit einem garantierten Gehalt von dreizehn Prozent Stickstoff
in den Handel gebracht. Da nur ganz enorme Temperaturen von etwa
3000 Grad eine befriedigende Ausbeute an Stickoxyd gewähren und jene
wiederum nur durch einen elektrischen Strom von ganz außergewöhnlicher Stärke
hervorgebracht werden können, so ist die Benutzung dieses Verfahrens, mit dem
das der Badischen Anilin- und Sodafabrik nahe verwandt ist, nur dann
lohnend, wenn die Fabrikation im großen Umfang möglich ist und äußerst
billige und zugleich kräftige Energiekräfte zur Verfügung stehen, wie dies zum
Beispiel in Norwegen der Fall ist. Seit dem Jahre 1911 sind die großen
deutschen chemischen Fabriken an den Norwegischen Salpeterfabriken in Notodden
nur noch wenig beteiligt, diese arbeiten in der Hauptsache mit französischem
Kapital. Die Einfuhr von Norge- oder Kalksalpeter aus Norwegen belief sich
im Jahre 1913 auf 6.5 Millionen Mark, also auf eine verhältnismäßig geringe
Summe.

Für unsere deutschen Verhältnisse ist das geschilderte Verfahren, Kalk¬
salpeter herzustellen, unpraktisch, weil uns nicht so riesige Wasserkräfte zur Ver¬
fügung stehen, oder weil sie, wo sie vorhanden sind, wie etwa in einigen
Gegenden Süddeutschlands, in anderen Industrien gewinnbringender ausgenützt


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[0222] Der Stickstoffbedarf der deutschen Landwirtschaft Hektar Erdboden 79000 Tonnen Stickstoff vorhanden sind; es genügt also schon der Luftstickstoff, der über einer Fläche von 10 Hektar lagert, um den ganzen jährlichen Chilisalpeterimport des deutschen Reiches zu ersetzen, falls es gelingt, ihn zu binden. Die ersten Bestrebungen, den Stickstoff der Atmosphäre zu binden, reichen bis zum Jahre 1785 zurück und rühren von den berühmten Chemikern Priestley und Cavendish her, aber erst hundert Jahre später gewannen ihre Versuche die entsprechende Tragweite, als Menges in Haag das erste deutsche Reichspatent über ein „Verfahren zur Reduktion oder Dissoziation von Verbindungen mittels elektrischer Glühhitze" anmeldete. Die Elektrizität ist nämlich das einzige Mittel, um den sonst so trägen Stickstoff zu verbrennen, ihn in die Form von Stick¬ oxyd zu zwingen, worauf die Erzeugung von Salpetersäure und von salpeter¬ sauren Salzen eine verhältnismäßig einfache Sache ist. Von den Methoden, die im Laufe der letzten zwanzig Jahre auf dem Gebiet der Luftstickstoffgewinnung zu einem wirtschaftlichen Ergebnis geführt haben, kommen in der Hauptsache zwei, höchstens drei in Frage. Die eine stammt von den beiden Norwegern Chr. Birkeland und Sam. Eybe in Christiania. Bei diesem Verfahren, das an das Vorhandensein bedeutender Wasserkräfte gebunden ist, wird der Luftstickstoff durch eine Lichtbogenflamme, deren Temperatur 2500 bis 3000 Grad beträgt, mittels des in der Luft befindlichen Sauerstoffs in einem elektrischen Ofen oxydiert. Die auf diese Weise oxidierte Luft enthält ein bis zwei Prozent salpetersaure Dämpfe, aus denen in mit Quarz gefüllten, mit Wasser berieselten Granittürmen die Salpetersäure gewonnen wird. Diese wird dann, nachdem sie mit Kalkmilch gesättigt worden ist, eingedampft und in körniger Form, mit einem garantierten Gehalt von dreizehn Prozent Stickstoff in den Handel gebracht. Da nur ganz enorme Temperaturen von etwa 3000 Grad eine befriedigende Ausbeute an Stickoxyd gewähren und jene wiederum nur durch einen elektrischen Strom von ganz außergewöhnlicher Stärke hervorgebracht werden können, so ist die Benutzung dieses Verfahrens, mit dem das der Badischen Anilin- und Sodafabrik nahe verwandt ist, nur dann lohnend, wenn die Fabrikation im großen Umfang möglich ist und äußerst billige und zugleich kräftige Energiekräfte zur Verfügung stehen, wie dies zum Beispiel in Norwegen der Fall ist. Seit dem Jahre 1911 sind die großen deutschen chemischen Fabriken an den Norwegischen Salpeterfabriken in Notodden nur noch wenig beteiligt, diese arbeiten in der Hauptsache mit französischem Kapital. Die Einfuhr von Norge- oder Kalksalpeter aus Norwegen belief sich im Jahre 1913 auf 6.5 Millionen Mark, also auf eine verhältnismäßig geringe Summe. Für unsere deutschen Verhältnisse ist das geschilderte Verfahren, Kalk¬ salpeter herzustellen, unpraktisch, weil uns nicht so riesige Wasserkräfte zur Ver¬ fügung stehen, oder weil sie, wo sie vorhanden sind, wie etwa in einigen Gegenden Süddeutschlands, in anderen Industrien gewinnbringender ausgenützt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/222>, abgerufen am 22.07.2024.