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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Die heutige Soldatensprache -- ein Vorschlag zu ihrer Sammlung

nicht eine Welt von Anschauung darin, daß im Osten der österreichische
Soldat als Herr "Servus", der deutsche als Herr "Morjen" bezeichnet wird;
es sind zwar nur Grußformen, aus denen das Volk den Unterschied empfunden
hat, aber man sieht hinter dem "Servus" das höfliche weiche "Hab' die Ehr'"
auftauchen, hinter dem "Morjen" das härter gefügte, starrere, aber auch stärkere
Wesen des Preußen sich erheben -- Welten, die verschieden sind, aber sich gut
ergänzen in gemeinsamer blutiger Arbeit.

Aber diese Ausdrücke, die den Soldaten als Objekt umfassen, sind gering¬
fügig gegenüber der Fülle von Worten, die der Soldat selbst schuf, neu- oder
umbildete, bewußt oder unbewußt von Motiven bestimmt, aus deren vielfädigem
Gewebe wenigstens einige herausgegriffen seien.

Zunächst ist es der Drang nach Verständigung, der sich nach zwei Richtungen
wendet. Auf der einen Seite entstehen aus den verschiedenen Dialekten desselben
Volkes oder aus der Berührung mit den verbündeten, anderssprechenden Truppen
neue Wortgebilde, auf der anderen Seite bringt der Versuch, mit den fremd¬
sprachlichen Angehörigen feindlicher Staaten sich auseinanderzusetzen, Ausdrücke
hervor, die oft mißverstanden, aber nicht mißverständlich der selbstherrlichen
Sprachgewalt des Soldaten ihr Dasein verdanken. Mit eigenwilliger Ableitung,
durch Gleichklang, durch Hörfehler, durch Volksetymologie werden alte, eigene
und fremde Worte zurechtgestutzt, zusammengefaßt, bis das neue Wort da ist,
allgemein verständlich, bei Freund und Feind gleich gebräuchlich. Werkzeuge
des täglichen Lebens, Verkehrsmittel. Personen unterliegen dieser Verwandlung,
die aus der Not eine Tugend macht; nur am Anfang, nur auf der untersten
Stufe des Verkehrs gebraucht der Soldat die pantomimische Verständigung,
dann tritt Schulkenntnis, Wörterbuch, mitunter in mißverständlicher Umdeutung,
ein, modelt die Worte um -- das alles verstärkt und befestigt durch tägliche
Wiederholung in Fordern und Feilschen, in Gebrauch und Bedürfnis. Und
der Kulturhistoriker noch mehr als der Sprachforscher wird in späteren Zeiten
an manchen Worten, die dann selbstverständlich, verblaßt, ins allgemeine
Leben übergegangen sind, ablesen können, welche Länder der Soldat betreten,
und wie die Vielfarbigkeit dieses Weltkriegs, der keine Grenzen kennt, auf
Sprachempfinden und Sprachschatz abgefärbt hat; nicht nur die Sprach¬
geschichte, sondern auch die Sprachgeographie wird daraus Stoff und Be¬
lehrung gewinnen.

Neben diesen Zwang und Wunsch der Verständigung, der aus dem Verkehr von
Freund und Feind Elemente und Motive schöpfte, tritt der Drang, die Ge¬
schehnisse zu vereinfachen. Ein verwickelter Vorgang, eine komplizierte Maschine,
das Vielerlei von technischen Handhaben und Verrichtungen sucht man auf eine
Formel zu bringen, das Außergewöhnliche, fast Wunderbare -- was psychologisch
begreiflich und menschlich verständlich ist -- durch Ausdrücke aus dem
täglichen Leben, aus eigenem, engeren Horizont sich näher zu bringen, so daß
ihre Größe dadurch zwar nicht verkleinert, aber doch vertrauter wird, ihre


Die heutige Soldatensprache — ein Vorschlag zu ihrer Sammlung

nicht eine Welt von Anschauung darin, daß im Osten der österreichische
Soldat als Herr „Servus", der deutsche als Herr „Morjen" bezeichnet wird;
es sind zwar nur Grußformen, aus denen das Volk den Unterschied empfunden
hat, aber man sieht hinter dem „Servus" das höfliche weiche „Hab' die Ehr'"
auftauchen, hinter dem „Morjen" das härter gefügte, starrere, aber auch stärkere
Wesen des Preußen sich erheben — Welten, die verschieden sind, aber sich gut
ergänzen in gemeinsamer blutiger Arbeit.

Aber diese Ausdrücke, die den Soldaten als Objekt umfassen, sind gering¬
fügig gegenüber der Fülle von Worten, die der Soldat selbst schuf, neu- oder
umbildete, bewußt oder unbewußt von Motiven bestimmt, aus deren vielfädigem
Gewebe wenigstens einige herausgegriffen seien.

Zunächst ist es der Drang nach Verständigung, der sich nach zwei Richtungen
wendet. Auf der einen Seite entstehen aus den verschiedenen Dialekten desselben
Volkes oder aus der Berührung mit den verbündeten, anderssprechenden Truppen
neue Wortgebilde, auf der anderen Seite bringt der Versuch, mit den fremd¬
sprachlichen Angehörigen feindlicher Staaten sich auseinanderzusetzen, Ausdrücke
hervor, die oft mißverstanden, aber nicht mißverständlich der selbstherrlichen
Sprachgewalt des Soldaten ihr Dasein verdanken. Mit eigenwilliger Ableitung,
durch Gleichklang, durch Hörfehler, durch Volksetymologie werden alte, eigene
und fremde Worte zurechtgestutzt, zusammengefaßt, bis das neue Wort da ist,
allgemein verständlich, bei Freund und Feind gleich gebräuchlich. Werkzeuge
des täglichen Lebens, Verkehrsmittel. Personen unterliegen dieser Verwandlung,
die aus der Not eine Tugend macht; nur am Anfang, nur auf der untersten
Stufe des Verkehrs gebraucht der Soldat die pantomimische Verständigung,
dann tritt Schulkenntnis, Wörterbuch, mitunter in mißverständlicher Umdeutung,
ein, modelt die Worte um — das alles verstärkt und befestigt durch tägliche
Wiederholung in Fordern und Feilschen, in Gebrauch und Bedürfnis. Und
der Kulturhistoriker noch mehr als der Sprachforscher wird in späteren Zeiten
an manchen Worten, die dann selbstverständlich, verblaßt, ins allgemeine
Leben übergegangen sind, ablesen können, welche Länder der Soldat betreten,
und wie die Vielfarbigkeit dieses Weltkriegs, der keine Grenzen kennt, auf
Sprachempfinden und Sprachschatz abgefärbt hat; nicht nur die Sprach¬
geschichte, sondern auch die Sprachgeographie wird daraus Stoff und Be¬
lehrung gewinnen.

Neben diesen Zwang und Wunsch der Verständigung, der aus dem Verkehr von
Freund und Feind Elemente und Motive schöpfte, tritt der Drang, die Ge¬
schehnisse zu vereinfachen. Ein verwickelter Vorgang, eine komplizierte Maschine,
das Vielerlei von technischen Handhaben und Verrichtungen sucht man auf eine
Formel zu bringen, das Außergewöhnliche, fast Wunderbare — was psychologisch
begreiflich und menschlich verständlich ist — durch Ausdrücke aus dem
täglichen Leben, aus eigenem, engeren Horizont sich näher zu bringen, so daß
ihre Größe dadurch zwar nicht verkleinert, aber doch vertrauter wird, ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/188>, abgerufen am 23.07.2024.