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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Englands Kampf gegen den "Militarismus"

Frankreichs in Europa nicht vermindert werden darf, ist erklärlich. Dieselbe
war, wie ich glaube, mit dem Frankfurter Frieden erreicht, und diese Tatsache
war vielleicht 1870 und 1871 in Petersburg noch nicht in dem Maße zum
Bewußtsein gekommen, wie fünf Jahre später.....Im Jahre 1875 nahm
ich an, daß an der Newa schon einige Zweifel darüber herrschten, ob es richtig
gewesen sei, die Dinge soweit kommen zu lassen, ohne in die Entwicklung ein¬
zugreifen." (II. 259.) Und wie hatten sich die Verhältnisse seit 1875 verschoben.
Die Scheu vor dem republikanischen Frankreich wurde an der Newa überwunden
und wich einer engen Freundschaft, die in einem Schutz- und Trutzbündnis
ihren Ausdruck fand. Denn auch Rußland fühlte sich gehemmt durch die
anwachsende Macht Deutschlands, besonders seitdem es sich für den nahen
Orient interessiert zeigte. England fand also den Boden gut vorbereitet, als
es seine antideutsche Politik auf dem Festlande energisch zu betreiben begann.
Seinen Diplomaten gelang das Unwahrscheinliche, die Interessen Rußlands
mit den eigenen für den beabsichtigten Weltkrieg miteinander in Einklang zu
bringen gegen den einen Gegner Deutschland und seinen Bundesgenossen
Österreich-Ungarn. Wie in den Zeiten seiner glänzenden Vergangenheit hat es
im Namen des europäischen Gleichgewichts, der Freiheit ein Bündnis der
Festlandsstaaten gegen seinen gefährlichsten Nebenbuhler zusammengeschweißt.
Es ist der alte Lockruf, den England heute wie im achtzehnten und zu Beginn
des neunzehnten Jahrhunderts hat ertönen lassen, der an betörender Kraft,
wie der Widerhall beweist, nichts eingebüßt hat. Es ist das alte England
selbst, das heute in den Kampf um Sein oder Nichtsein zieht, ein furchtbarer
Gegner, für den das Ende dieses Weltkriegs von entscheidender Bedeutung
sein muß. Wenn dieser auch gar kein anderes Resultat hätte als die Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht, so wäre das Ende des Weltreichs nicht mehr fern.

Ein Weltkrieg wie der, der die Welt jetzt erfüllt, hat tiefere Ursachen als
etwa die frevelhafte Herrschsucht einiger weniger oder einer kleinen Gruppe von
Zeitungsmännern, Diplomaten und Bankiers oder Generalen. Nur große die
Wurzeln des Daseins der Völker berührende Fragen konnten diesen Weltbrand
entfachen. Die Einsicht in das Walten einer unerbittlichen Notwendigkeit läßt
die Gefahr für das Deutsche Reich in ihrer ganzen Größe erkennen: es gibt
nur Sieg oder Verderben in solchen Kämpfen ganzer Völker widereinander.
Dem Enthusiasmus, für die gerechte Sache des Vaterlands zu kämpfen, muß
der unbeugsame Entschluß zur Seite gehen, die große Stunde nützen und die
Waffen nicht eher niederlegen zu wollen, als bis die Entscheidung zu unseren
Gunsten gefallen ist und das Wort Schillers sich erfülle: "Jedes Volk hat
seinen Tag in der Geschichte; doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der
ganzen Zeit." Denn in dem Kampfe um unser politisches Dasein kämpfen wir
auch für das Deutschland Schillers und Goethes.




Englands Kampf gegen den „Militarismus"

Frankreichs in Europa nicht vermindert werden darf, ist erklärlich. Dieselbe
war, wie ich glaube, mit dem Frankfurter Frieden erreicht, und diese Tatsache
war vielleicht 1870 und 1871 in Petersburg noch nicht in dem Maße zum
Bewußtsein gekommen, wie fünf Jahre später.....Im Jahre 1875 nahm
ich an, daß an der Newa schon einige Zweifel darüber herrschten, ob es richtig
gewesen sei, die Dinge soweit kommen zu lassen, ohne in die Entwicklung ein¬
zugreifen." (II. 259.) Und wie hatten sich die Verhältnisse seit 1875 verschoben.
Die Scheu vor dem republikanischen Frankreich wurde an der Newa überwunden
und wich einer engen Freundschaft, die in einem Schutz- und Trutzbündnis
ihren Ausdruck fand. Denn auch Rußland fühlte sich gehemmt durch die
anwachsende Macht Deutschlands, besonders seitdem es sich für den nahen
Orient interessiert zeigte. England fand also den Boden gut vorbereitet, als
es seine antideutsche Politik auf dem Festlande energisch zu betreiben begann.
Seinen Diplomaten gelang das Unwahrscheinliche, die Interessen Rußlands
mit den eigenen für den beabsichtigten Weltkrieg miteinander in Einklang zu
bringen gegen den einen Gegner Deutschland und seinen Bundesgenossen
Österreich-Ungarn. Wie in den Zeiten seiner glänzenden Vergangenheit hat es
im Namen des europäischen Gleichgewichts, der Freiheit ein Bündnis der
Festlandsstaaten gegen seinen gefährlichsten Nebenbuhler zusammengeschweißt.
Es ist der alte Lockruf, den England heute wie im achtzehnten und zu Beginn
des neunzehnten Jahrhunderts hat ertönen lassen, der an betörender Kraft,
wie der Widerhall beweist, nichts eingebüßt hat. Es ist das alte England
selbst, das heute in den Kampf um Sein oder Nichtsein zieht, ein furchtbarer
Gegner, für den das Ende dieses Weltkriegs von entscheidender Bedeutung
sein muß. Wenn dieser auch gar kein anderes Resultat hätte als die Einführung
der allgemeinen Wehrpflicht, so wäre das Ende des Weltreichs nicht mehr fern.

Ein Weltkrieg wie der, der die Welt jetzt erfüllt, hat tiefere Ursachen als
etwa die frevelhafte Herrschsucht einiger weniger oder einer kleinen Gruppe von
Zeitungsmännern, Diplomaten und Bankiers oder Generalen. Nur große die
Wurzeln des Daseins der Völker berührende Fragen konnten diesen Weltbrand
entfachen. Die Einsicht in das Walten einer unerbittlichen Notwendigkeit läßt
die Gefahr für das Deutsche Reich in ihrer ganzen Größe erkennen: es gibt
nur Sieg oder Verderben in solchen Kämpfen ganzer Völker widereinander.
Dem Enthusiasmus, für die gerechte Sache des Vaterlands zu kämpfen, muß
der unbeugsame Entschluß zur Seite gehen, die große Stunde nützen und die
Waffen nicht eher niederlegen zu wollen, als bis die Entscheidung zu unseren
Gunsten gefallen ist und das Wort Schillers sich erfülle: „Jedes Volk hat
seinen Tag in der Geschichte; doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der
ganzen Zeit." Denn in dem Kampfe um unser politisches Dasein kämpfen wir
auch für das Deutschland Schillers und Goethes.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/18>, abgerufen am 01.10.2024.