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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der Krieg und der Neubau der höheren Schule

neuen Geistes bewußt, der unser Volk durchzieht; dieser Geist wird sich seine
Schule schaffen.

Soviel kann man schon heute sagen: die Schule der Zukunft, welche äußeren
Formen sie sich auch geben wird, sie wird sein müssen eine Schule der Mann¬
haftigkeit, eine Schule des sozialen und politischen Verständnisses, eine Schule
des Deutschtums. Wie können wir der Erfüllung dieser Forderungen mit
unseren höheren Knabenschulen näher kommen?

Im Sinne der ersten Forderung liegen die bereits lebendigen Bestrebungen
zur leiblichen Stählung der Jugend; von ihnen rede ich hier nicht, denn sie
werden sich ohnehin durchsetzen. Wohl aber wird, so hoffe ich, die Neigung zur
Weichlichkeit, die durch allzugroße Milde bei Urteil und Versetzung der Persönlich¬
keit der Schüler Gefahr drohte, einer straffen, rücksichtslosen Auslese der Tüchtigen
Platz machen; es wird die von unmännlicher Völkern bei uns eingeschleppte,
auf falschen Voraussetzungen beruhende "Koedukation" verschwinden; es wird
der wunde Punkt des gegenseitigen Mißtrauens zwischen Lehrer und Schüler,
das zu würdeloser Unaufrichtigkeit führt, ausgeheilt werden.

Der zweiten Forderung werden die Schulen künftig gerecht werden müssen,
indem sie das Verständnis unseres nationalen Daseins fördern -- nach innen
durch die Wirkung der Einsicht in die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens
aller Volksschichten und Berufe zum Nutzen des Ganzen, nach außen durch die
Gewöhnung des Schülers, in weltpolitischen Begriffen zu denken und hiernach
die Lage unseres Vaterlandes einzuschätzen.

Das dritte Ziel aber, das des Deutschtums, wird eine scharfe Durchsicht
und Auslese unter den Werten erfordern, die man künftig in der Schule des
neuen Deutschland pflegen darf; und eine Beseitigung der Zerfahrenheit, wie
sie unseren höheren Schulen herkömmlich ist. Ohne Beziehung auf einen
gemeinsamen Mittelpunkt werden heute die Schüler von Fach zu Fach geführt,
müssen ein quälendes Nebeneinander von Unterrichtswegen durchlaufen, deren
Schnittpunkte sie nicht abzusehen vermögen. Hinzu tritt der Wechsel der Lehrer,
so daß zum Beispiel schon in Quarta -- von den technischen Fächern ab¬
gesehen -- unter Umständen sechs bis acht Lehrer aneinander vorbei unterrichten.
Gerade dann aber, wenn dem heranreifenden Jüngling die Lebens- und Welt¬
anschauungsfragen sich aufdrängen und nach Lösung rufen, in den oberen Klassen,
wo also die Vielheit der Stoffe am ehesten nach einer inneren Einheit verlangt,
ist diese am wenigsten vorhanden. Keiner seiner Lehrer beherrscht in vollständigem
Überblick das, was ihre Gesamtheit von dem Schüler täglich verlangt. Gewiß
kann und muß die Schule mit der großen Elastizität der jugendlichen Geistes¬
kräfte rechnen, aber es ist doch nicht ihre Aufgabe, geistige Verwandlungskünstter
zu erziehen, deren hauptsächliche Brauchbarkeit darin bestünde, daß sie in kürzester
Zeit den Saltomortale vom Pliozän über den Optativ mit und die Determinanten
zur Navigattonsakte ausführen. In diesen fortgesetzten geistigen Umschaltungen
wird nützliche Kraft vergeudet.


Der Krieg und der Neubau der höheren Schule

neuen Geistes bewußt, der unser Volk durchzieht; dieser Geist wird sich seine
Schule schaffen.

Soviel kann man schon heute sagen: die Schule der Zukunft, welche äußeren
Formen sie sich auch geben wird, sie wird sein müssen eine Schule der Mann¬
haftigkeit, eine Schule des sozialen und politischen Verständnisses, eine Schule
des Deutschtums. Wie können wir der Erfüllung dieser Forderungen mit
unseren höheren Knabenschulen näher kommen?

Im Sinne der ersten Forderung liegen die bereits lebendigen Bestrebungen
zur leiblichen Stählung der Jugend; von ihnen rede ich hier nicht, denn sie
werden sich ohnehin durchsetzen. Wohl aber wird, so hoffe ich, die Neigung zur
Weichlichkeit, die durch allzugroße Milde bei Urteil und Versetzung der Persönlich¬
keit der Schüler Gefahr drohte, einer straffen, rücksichtslosen Auslese der Tüchtigen
Platz machen; es wird die von unmännlicher Völkern bei uns eingeschleppte,
auf falschen Voraussetzungen beruhende „Koedukation" verschwinden; es wird
der wunde Punkt des gegenseitigen Mißtrauens zwischen Lehrer und Schüler,
das zu würdeloser Unaufrichtigkeit führt, ausgeheilt werden.

Der zweiten Forderung werden die Schulen künftig gerecht werden müssen,
indem sie das Verständnis unseres nationalen Daseins fördern — nach innen
durch die Wirkung der Einsicht in die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens
aller Volksschichten und Berufe zum Nutzen des Ganzen, nach außen durch die
Gewöhnung des Schülers, in weltpolitischen Begriffen zu denken und hiernach
die Lage unseres Vaterlandes einzuschätzen.

Das dritte Ziel aber, das des Deutschtums, wird eine scharfe Durchsicht
und Auslese unter den Werten erfordern, die man künftig in der Schule des
neuen Deutschland pflegen darf; und eine Beseitigung der Zerfahrenheit, wie
sie unseren höheren Schulen herkömmlich ist. Ohne Beziehung auf einen
gemeinsamen Mittelpunkt werden heute die Schüler von Fach zu Fach geführt,
müssen ein quälendes Nebeneinander von Unterrichtswegen durchlaufen, deren
Schnittpunkte sie nicht abzusehen vermögen. Hinzu tritt der Wechsel der Lehrer,
so daß zum Beispiel schon in Quarta — von den technischen Fächern ab¬
gesehen — unter Umständen sechs bis acht Lehrer aneinander vorbei unterrichten.
Gerade dann aber, wenn dem heranreifenden Jüngling die Lebens- und Welt¬
anschauungsfragen sich aufdrängen und nach Lösung rufen, in den oberen Klassen,
wo also die Vielheit der Stoffe am ehesten nach einer inneren Einheit verlangt,
ist diese am wenigsten vorhanden. Keiner seiner Lehrer beherrscht in vollständigem
Überblick das, was ihre Gesamtheit von dem Schüler täglich verlangt. Gewiß
kann und muß die Schule mit der großen Elastizität der jugendlichen Geistes¬
kräfte rechnen, aber es ist doch nicht ihre Aufgabe, geistige Verwandlungskünstter
zu erziehen, deren hauptsächliche Brauchbarkeit darin bestünde, daß sie in kürzester
Zeit den Saltomortale vom Pliozän über den Optativ mit und die Determinanten
zur Navigattonsakte ausführen. In diesen fortgesetzten geistigen Umschaltungen
wird nützliche Kraft vergeudet.


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[0152] Der Krieg und der Neubau der höheren Schule neuen Geistes bewußt, der unser Volk durchzieht; dieser Geist wird sich seine Schule schaffen. Soviel kann man schon heute sagen: die Schule der Zukunft, welche äußeren Formen sie sich auch geben wird, sie wird sein müssen eine Schule der Mann¬ haftigkeit, eine Schule des sozialen und politischen Verständnisses, eine Schule des Deutschtums. Wie können wir der Erfüllung dieser Forderungen mit unseren höheren Knabenschulen näher kommen? Im Sinne der ersten Forderung liegen die bereits lebendigen Bestrebungen zur leiblichen Stählung der Jugend; von ihnen rede ich hier nicht, denn sie werden sich ohnehin durchsetzen. Wohl aber wird, so hoffe ich, die Neigung zur Weichlichkeit, die durch allzugroße Milde bei Urteil und Versetzung der Persönlich¬ keit der Schüler Gefahr drohte, einer straffen, rücksichtslosen Auslese der Tüchtigen Platz machen; es wird die von unmännlicher Völkern bei uns eingeschleppte, auf falschen Voraussetzungen beruhende „Koedukation" verschwinden; es wird der wunde Punkt des gegenseitigen Mißtrauens zwischen Lehrer und Schüler, das zu würdeloser Unaufrichtigkeit führt, ausgeheilt werden. Der zweiten Forderung werden die Schulen künftig gerecht werden müssen, indem sie das Verständnis unseres nationalen Daseins fördern — nach innen durch die Wirkung der Einsicht in die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens aller Volksschichten und Berufe zum Nutzen des Ganzen, nach außen durch die Gewöhnung des Schülers, in weltpolitischen Begriffen zu denken und hiernach die Lage unseres Vaterlandes einzuschätzen. Das dritte Ziel aber, das des Deutschtums, wird eine scharfe Durchsicht und Auslese unter den Werten erfordern, die man künftig in der Schule des neuen Deutschland pflegen darf; und eine Beseitigung der Zerfahrenheit, wie sie unseren höheren Schulen herkömmlich ist. Ohne Beziehung auf einen gemeinsamen Mittelpunkt werden heute die Schüler von Fach zu Fach geführt, müssen ein quälendes Nebeneinander von Unterrichtswegen durchlaufen, deren Schnittpunkte sie nicht abzusehen vermögen. Hinzu tritt der Wechsel der Lehrer, so daß zum Beispiel schon in Quarta — von den technischen Fächern ab¬ gesehen — unter Umständen sechs bis acht Lehrer aneinander vorbei unterrichten. Gerade dann aber, wenn dem heranreifenden Jüngling die Lebens- und Welt¬ anschauungsfragen sich aufdrängen und nach Lösung rufen, in den oberen Klassen, wo also die Vielheit der Stoffe am ehesten nach einer inneren Einheit verlangt, ist diese am wenigsten vorhanden. Keiner seiner Lehrer beherrscht in vollständigem Überblick das, was ihre Gesamtheit von dem Schüler täglich verlangt. Gewiß kann und muß die Schule mit der großen Elastizität der jugendlichen Geistes¬ kräfte rechnen, aber es ist doch nicht ihre Aufgabe, geistige Verwandlungskünstter zu erziehen, deren hauptsächliche Brauchbarkeit darin bestünde, daß sie in kürzester Zeit den Saltomortale vom Pliozän über den Optativ mit und die Determinanten zur Navigattonsakte ausführen. In diesen fortgesetzten geistigen Umschaltungen wird nützliche Kraft vergeudet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/152>, abgerufen am 22.07.2024.