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Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

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Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

halten aller Beamten mehr Interesse, als für ihre moralische Führung. Um
die Revolutionszeit aber sah sie es sogar gern, wenn der Freiheitsdrang vom
politischen auf das erotische Gebiet abgelenkt wurde, und drückte nötigenfalls
beide Augen zu.

Manche der Berichte über priesterliche Moral sind sachlich und summarisch,
wie das folgende: "Nach Bericht des Gendarmerievorstehers aus K. vom
31. Mai 1893 zeichnet sich der Priester W. durch Hang zum Trunk, aus¬
schweifenden Lebenswandel, Grobheit und Verleumdungssucht aus." Andere
lesen sich wie ein kleiner Roman:

"Auf Verordnung des Generalgouverneurs in Warschau vom 28. Januar 1892
wegen ausschweifenden Lebenswandels und Ungehorsams gegen die geistliche
Behörde auf ein Jahr in das Kloster P. gesperrt.

Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 23. Mai 1892
anläßlich seiner Flucht aus dem Kloster M. in das Kloster L. im Gouvernement
Petrikau übergeführt.

Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 27. Januar 1893
die Klosterhaft noch um ein Jahr verlängert mit Überführung in das
Reformatenkloster P. -- Infolge mehrmaligen Entweichens aus dem Kloster
in P. auf Befehl des Kreisvorstehers vom 25. Januar 1894 in das Kloster M.
übergeführt. -- 1895 wurde diese Haft um ein Jahr, bis zum 1. Mai 1896
verlängert.

Durch Verfügung des Kreisvorstehers vom 18. Mai 1901 wurde der
Vikar K. wegen seines für eine geistliche Person unpassenden Lebenswandels
und Ungehorsams gegen die geistliche Behörde auf zwei Jahre in das Kloster M.
gesperrt.

Wegen Entweichens aus dem Kloster M. durch Verfügung des Kreis¬
vorstehers vom 23. September 1902 in das Kloster N. im Gouvernement
Petrikau übergeführt.

Durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 10. Juli 1903
wurde die Zeit seines Aufenthalts im Kloster N. noch um ein Jahr ver¬
längert.

Wegen des Ablaufs der Bestrafungsfrist und auf Grund eines Beschlusses
des Konsistoriums wurde der Priester K. am 1. September 1904 von der
Haft befreit.

Wegen seiner des geistlichen Gewandes unwürdigen Lebensweise wurde der
Priester K. durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 2. Juni
1905 vom geistlichen Amte entfernt und auf zwei Jahre in das Kloster N.
gesperrt, wohin er am 30. Juni 1905 übergeführt wurde.

Im November 1905 entlief er aus dem Kloster N. und treibt sich
herum.

Am 19. September 1907 wurde er wieder in das Kloster A. im Gouvernement
Witebsk eingebracht zur Verbüßung der ihm im Jahre 1905 zuerkannten Strafe.


Der katholische Priester unter russischer Herrschaft

halten aller Beamten mehr Interesse, als für ihre moralische Führung. Um
die Revolutionszeit aber sah sie es sogar gern, wenn der Freiheitsdrang vom
politischen auf das erotische Gebiet abgelenkt wurde, und drückte nötigenfalls
beide Augen zu.

Manche der Berichte über priesterliche Moral sind sachlich und summarisch,
wie das folgende: „Nach Bericht des Gendarmerievorstehers aus K. vom
31. Mai 1893 zeichnet sich der Priester W. durch Hang zum Trunk, aus¬
schweifenden Lebenswandel, Grobheit und Verleumdungssucht aus." Andere
lesen sich wie ein kleiner Roman:

„Auf Verordnung des Generalgouverneurs in Warschau vom 28. Januar 1892
wegen ausschweifenden Lebenswandels und Ungehorsams gegen die geistliche
Behörde auf ein Jahr in das Kloster P. gesperrt.

Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 23. Mai 1892
anläßlich seiner Flucht aus dem Kloster M. in das Kloster L. im Gouvernement
Petrikau übergeführt.

Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 27. Januar 1893
die Klosterhaft noch um ein Jahr verlängert mit Überführung in das
Reformatenkloster P. — Infolge mehrmaligen Entweichens aus dem Kloster
in P. auf Befehl des Kreisvorstehers vom 25. Januar 1894 in das Kloster M.
übergeführt. — 1895 wurde diese Haft um ein Jahr, bis zum 1. Mai 1896
verlängert.

Durch Verfügung des Kreisvorstehers vom 18. Mai 1901 wurde der
Vikar K. wegen seines für eine geistliche Person unpassenden Lebenswandels
und Ungehorsams gegen die geistliche Behörde auf zwei Jahre in das Kloster M.
gesperrt.

Wegen Entweichens aus dem Kloster M. durch Verfügung des Kreis¬
vorstehers vom 23. September 1902 in das Kloster N. im Gouvernement
Petrikau übergeführt.

Durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 10. Juli 1903
wurde die Zeit seines Aufenthalts im Kloster N. noch um ein Jahr ver¬
längert.

Wegen des Ablaufs der Bestrafungsfrist und auf Grund eines Beschlusses
des Konsistoriums wurde der Priester K. am 1. September 1904 von der
Haft befreit.

Wegen seiner des geistlichen Gewandes unwürdigen Lebensweise wurde der
Priester K. durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 2. Juni
1905 vom geistlichen Amte entfernt und auf zwei Jahre in das Kloster N.
gesperrt, wohin er am 30. Juni 1905 übergeführt wurde.

Im November 1905 entlief er aus dem Kloster N. und treibt sich
herum.

Am 19. September 1907 wurde er wieder in das Kloster A. im Gouvernement
Witebsk eingebracht zur Verbüßung der ihm im Jahre 1905 zuerkannten Strafe.


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[0144] Der katholische Priester unter russischer Herrschaft halten aller Beamten mehr Interesse, als für ihre moralische Führung. Um die Revolutionszeit aber sah sie es sogar gern, wenn der Freiheitsdrang vom politischen auf das erotische Gebiet abgelenkt wurde, und drückte nötigenfalls beide Augen zu. Manche der Berichte über priesterliche Moral sind sachlich und summarisch, wie das folgende: „Nach Bericht des Gendarmerievorstehers aus K. vom 31. Mai 1893 zeichnet sich der Priester W. durch Hang zum Trunk, aus¬ schweifenden Lebenswandel, Grobheit und Verleumdungssucht aus." Andere lesen sich wie ein kleiner Roman: „Auf Verordnung des Generalgouverneurs in Warschau vom 28. Januar 1892 wegen ausschweifenden Lebenswandels und Ungehorsams gegen die geistliche Behörde auf ein Jahr in das Kloster P. gesperrt. Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 23. Mai 1892 anläßlich seiner Flucht aus dem Kloster M. in das Kloster L. im Gouvernement Petrikau übergeführt. Auf Verordnung des Generalgouverneurs von Warschau vom 27. Januar 1893 die Klosterhaft noch um ein Jahr verlängert mit Überführung in das Reformatenkloster P. — Infolge mehrmaligen Entweichens aus dem Kloster in P. auf Befehl des Kreisvorstehers vom 25. Januar 1894 in das Kloster M. übergeführt. — 1895 wurde diese Haft um ein Jahr, bis zum 1. Mai 1896 verlängert. Durch Verfügung des Kreisvorstehers vom 18. Mai 1901 wurde der Vikar K. wegen seines für eine geistliche Person unpassenden Lebenswandels und Ungehorsams gegen die geistliche Behörde auf zwei Jahre in das Kloster M. gesperrt. Wegen Entweichens aus dem Kloster M. durch Verfügung des Kreis¬ vorstehers vom 23. September 1902 in das Kloster N. im Gouvernement Petrikau übergeführt. Durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 10. Juli 1903 wurde die Zeit seines Aufenthalts im Kloster N. noch um ein Jahr ver¬ längert. Wegen des Ablaufs der Bestrafungsfrist und auf Grund eines Beschlusses des Konsistoriums wurde der Priester K. am 1. September 1904 von der Haft befreit. Wegen seiner des geistlichen Gewandes unwürdigen Lebensweise wurde der Priester K. durch Verordnung des Warschauer Generalgouverneurs vom 2. Juni 1905 vom geistlichen Amte entfernt und auf zwei Jahre in das Kloster N. gesperrt, wohin er am 30. Juni 1905 übergeführt wurde. Im November 1905 entlief er aus dem Kloster N. und treibt sich herum. Am 19. September 1907 wurde er wieder in das Kloster A. im Gouvernement Witebsk eingebracht zur Verbüßung der ihm im Jahre 1905 zuerkannten Strafe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/144>, abgerufen am 23.07.2024.