Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ver katholische Priester unter russischer Herrschaft

Zeit und ungeachtet der Freiheitsmanifeste von 1905 und 1906 einer schmählichen
Behandlung, insbesondere einer entwürdigenden Geheimkontrolle, ausgesetzt
worden ist.

Interessante Beutestücke an Geheimakten und ähnlichem Material gestatten
uns, zahlreiche Belege hierfür beizubringen. So besitzen wir die geheimen
Konduitenlisten über die römische Geistlichkeit eines der Weichselgouvernements,
die eine Fundgrube für diese Frage und an sich interessante Kulturdokumente
sind. Der Zweck dieser Konduitenlisten erhellt unzweideutig aus einem Zirkular
des Generalgouverneurs von Warschau vom 13. Februar 1909, in dem es
heißt, daß er "die volle Bedeutung einer strengen Beaufsichtigung der Tätigkeit
der römisch-katholischen Geistlichkeit durch die Regierungsgewalt und die unbedingte
Notwendigkeit entschlossenen Eingreifens bei allen Erscheinungen von politisch¬
religiösem Fanatismus von ihrer Seite wohl zugestehe".

Strenge Überwachung nach der politischen Seite hin ist der Regierung
also die Hauptsache. Dazu gehört aber außerdem, daß die Regierung selbst in
unbedeutenden Formalien sich das Recht der Kontrolle und endgültigen
Bestimmung vorbehält und eifrig darüber wacht, daß die kirchlichen römischen
Behörden ihre Befugnisse nicht irgendwie erweitern. Nach dem Gesetz vom
26. Dezember 1905 darf kein römischer Geistlicher ohne Zustimmung der zu¬
ständigen Zivilvehörde angestellt oder befördert werden. Soweit Versetzungen
ohne Beförderung nicht neuer Genehmigung unterliegen, müssen sie wenigstens
der Zivilbehörde angezeigt werden, über gerichtliche und andere Bestrafungen
von Priestern soll stets nach Warschau berichtet werden. Bei der Einholung von
Auskunft über Priester, wie dies bei der Versetzung üblich ist, muß außer bei dem
Gouverneur des letzten Amtsbezirkes des betreffenden Priesters auch in Warschau
angefragt werden. Die Kontrolle geht so weit, daß Priester ihre Eparchien zu
gegenseitigem Besuch nur mit Erlaubnis der Zivilbehörden verlassen dürfen, wie
ein Zirkular des Ministers des Innern vom 2. September 1911 einschärft.
Überhaupt entstammen sämtliche oben genannte Vorschriften über die äußere
Kontrolle der katholischen Geistlichkeit Zirkularen des Warschauer General¬
gouverneurs oder des Ministers des Innern aus den Jahren 1907 bis 1913,
also aus der Zeit nach der Einführung der Konstitution und der Verkündung
des Glaubensmanifestes von 1905.

Die Ergebnisse der genauen und zum Teil heimlichen Kontrolle enthalten
die Konduitenlisten. Stets wird hier politisches und moralisches Wohlverhalten
unterschieden, aber das politische ist für die Regierungsbehörde das ausschlag¬
gebende Moment. In grotesker Weise zeigen dies die beiden folgenden Aus¬
züge aus zwei verschiedenen Personalnotizen:

"Nach Mitteilung des Gendarmerievorstehers in K. vom 1. Juli 1892
hat der Priester T. als Vikar an der Kathedrale zu K. die siebzehnjährige
Gymnasiastin I. K. ihrer Unschuld beraubt.

In politischer und moralischer Hinsicht hat er sich einwandfrei geführt."


Ver katholische Priester unter russischer Herrschaft

Zeit und ungeachtet der Freiheitsmanifeste von 1905 und 1906 einer schmählichen
Behandlung, insbesondere einer entwürdigenden Geheimkontrolle, ausgesetzt
worden ist.

Interessante Beutestücke an Geheimakten und ähnlichem Material gestatten
uns, zahlreiche Belege hierfür beizubringen. So besitzen wir die geheimen
Konduitenlisten über die römische Geistlichkeit eines der Weichselgouvernements,
die eine Fundgrube für diese Frage und an sich interessante Kulturdokumente
sind. Der Zweck dieser Konduitenlisten erhellt unzweideutig aus einem Zirkular
des Generalgouverneurs von Warschau vom 13. Februar 1909, in dem es
heißt, daß er „die volle Bedeutung einer strengen Beaufsichtigung der Tätigkeit
der römisch-katholischen Geistlichkeit durch die Regierungsgewalt und die unbedingte
Notwendigkeit entschlossenen Eingreifens bei allen Erscheinungen von politisch¬
religiösem Fanatismus von ihrer Seite wohl zugestehe".

Strenge Überwachung nach der politischen Seite hin ist der Regierung
also die Hauptsache. Dazu gehört aber außerdem, daß die Regierung selbst in
unbedeutenden Formalien sich das Recht der Kontrolle und endgültigen
Bestimmung vorbehält und eifrig darüber wacht, daß die kirchlichen römischen
Behörden ihre Befugnisse nicht irgendwie erweitern. Nach dem Gesetz vom
26. Dezember 1905 darf kein römischer Geistlicher ohne Zustimmung der zu¬
ständigen Zivilvehörde angestellt oder befördert werden. Soweit Versetzungen
ohne Beförderung nicht neuer Genehmigung unterliegen, müssen sie wenigstens
der Zivilbehörde angezeigt werden, über gerichtliche und andere Bestrafungen
von Priestern soll stets nach Warschau berichtet werden. Bei der Einholung von
Auskunft über Priester, wie dies bei der Versetzung üblich ist, muß außer bei dem
Gouverneur des letzten Amtsbezirkes des betreffenden Priesters auch in Warschau
angefragt werden. Die Kontrolle geht so weit, daß Priester ihre Eparchien zu
gegenseitigem Besuch nur mit Erlaubnis der Zivilbehörden verlassen dürfen, wie
ein Zirkular des Ministers des Innern vom 2. September 1911 einschärft.
Überhaupt entstammen sämtliche oben genannte Vorschriften über die äußere
Kontrolle der katholischen Geistlichkeit Zirkularen des Warschauer General¬
gouverneurs oder des Ministers des Innern aus den Jahren 1907 bis 1913,
also aus der Zeit nach der Einführung der Konstitution und der Verkündung
des Glaubensmanifestes von 1905.

Die Ergebnisse der genauen und zum Teil heimlichen Kontrolle enthalten
die Konduitenlisten. Stets wird hier politisches und moralisches Wohlverhalten
unterschieden, aber das politische ist für die Regierungsbehörde das ausschlag¬
gebende Moment. In grotesker Weise zeigen dies die beiden folgenden Aus¬
züge aus zwei verschiedenen Personalnotizen:

„Nach Mitteilung des Gendarmerievorstehers in K. vom 1. Juli 1892
hat der Priester T. als Vikar an der Kathedrale zu K. die siebzehnjährige
Gymnasiastin I. K. ihrer Unschuld beraubt.

In politischer und moralischer Hinsicht hat er sich einwandfrei geführt."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0142" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/324115"/>
          <fw type="header" place="top"> Ver katholische Priester unter russischer Herrschaft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_403" prev="#ID_402"> Zeit und ungeachtet der Freiheitsmanifeste von 1905 und 1906 einer schmählichen<lb/>
Behandlung, insbesondere einer entwürdigenden Geheimkontrolle, ausgesetzt<lb/>
worden ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_404"> Interessante Beutestücke an Geheimakten und ähnlichem Material gestatten<lb/>
uns, zahlreiche Belege hierfür beizubringen. So besitzen wir die geheimen<lb/>
Konduitenlisten über die römische Geistlichkeit eines der Weichselgouvernements,<lb/>
die eine Fundgrube für diese Frage und an sich interessante Kulturdokumente<lb/>
sind. Der Zweck dieser Konduitenlisten erhellt unzweideutig aus einem Zirkular<lb/>
des Generalgouverneurs von Warschau vom 13. Februar 1909, in dem es<lb/>
heißt, daß er &#x201E;die volle Bedeutung einer strengen Beaufsichtigung der Tätigkeit<lb/>
der römisch-katholischen Geistlichkeit durch die Regierungsgewalt und die unbedingte<lb/>
Notwendigkeit entschlossenen Eingreifens bei allen Erscheinungen von politisch¬<lb/>
religiösem Fanatismus von ihrer Seite wohl zugestehe".</p><lb/>
          <p xml:id="ID_405"> Strenge Überwachung nach der politischen Seite hin ist der Regierung<lb/>
also die Hauptsache. Dazu gehört aber außerdem, daß die Regierung selbst in<lb/>
unbedeutenden Formalien sich das Recht der Kontrolle und endgültigen<lb/>
Bestimmung vorbehält und eifrig darüber wacht, daß die kirchlichen römischen<lb/>
Behörden ihre Befugnisse nicht irgendwie erweitern. Nach dem Gesetz vom<lb/>
26. Dezember 1905 darf kein römischer Geistlicher ohne Zustimmung der zu¬<lb/>
ständigen Zivilvehörde angestellt oder befördert werden. Soweit Versetzungen<lb/>
ohne Beförderung nicht neuer Genehmigung unterliegen, müssen sie wenigstens<lb/>
der Zivilbehörde angezeigt werden, über gerichtliche und andere Bestrafungen<lb/>
von Priestern soll stets nach Warschau berichtet werden. Bei der Einholung von<lb/>
Auskunft über Priester, wie dies bei der Versetzung üblich ist, muß außer bei dem<lb/>
Gouverneur des letzten Amtsbezirkes des betreffenden Priesters auch in Warschau<lb/>
angefragt werden. Die Kontrolle geht so weit, daß Priester ihre Eparchien zu<lb/>
gegenseitigem Besuch nur mit Erlaubnis der Zivilbehörden verlassen dürfen, wie<lb/>
ein Zirkular des Ministers des Innern vom 2. September 1911 einschärft.<lb/>
Überhaupt entstammen sämtliche oben genannte Vorschriften über die äußere<lb/>
Kontrolle der katholischen Geistlichkeit Zirkularen des Warschauer General¬<lb/>
gouverneurs oder des Ministers des Innern aus den Jahren 1907 bis 1913,<lb/>
also aus der Zeit nach der Einführung der Konstitution und der Verkündung<lb/>
des Glaubensmanifestes von 1905.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_406"> Die Ergebnisse der genauen und zum Teil heimlichen Kontrolle enthalten<lb/>
die Konduitenlisten. Stets wird hier politisches und moralisches Wohlverhalten<lb/>
unterschieden, aber das politische ist für die Regierungsbehörde das ausschlag¬<lb/>
gebende Moment. In grotesker Weise zeigen dies die beiden folgenden Aus¬<lb/>
züge aus zwei verschiedenen Personalnotizen:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_407"> &#x201E;Nach Mitteilung des Gendarmerievorstehers in K. vom 1. Juli 1892<lb/>
hat der Priester T. als Vikar an der Kathedrale zu K. die siebzehnjährige<lb/>
Gymnasiastin I. K. ihrer Unschuld beraubt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_408"> In politischer und moralischer Hinsicht hat er sich einwandfrei geführt."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0142] Ver katholische Priester unter russischer Herrschaft Zeit und ungeachtet der Freiheitsmanifeste von 1905 und 1906 einer schmählichen Behandlung, insbesondere einer entwürdigenden Geheimkontrolle, ausgesetzt worden ist. Interessante Beutestücke an Geheimakten und ähnlichem Material gestatten uns, zahlreiche Belege hierfür beizubringen. So besitzen wir die geheimen Konduitenlisten über die römische Geistlichkeit eines der Weichselgouvernements, die eine Fundgrube für diese Frage und an sich interessante Kulturdokumente sind. Der Zweck dieser Konduitenlisten erhellt unzweideutig aus einem Zirkular des Generalgouverneurs von Warschau vom 13. Februar 1909, in dem es heißt, daß er „die volle Bedeutung einer strengen Beaufsichtigung der Tätigkeit der römisch-katholischen Geistlichkeit durch die Regierungsgewalt und die unbedingte Notwendigkeit entschlossenen Eingreifens bei allen Erscheinungen von politisch¬ religiösem Fanatismus von ihrer Seite wohl zugestehe". Strenge Überwachung nach der politischen Seite hin ist der Regierung also die Hauptsache. Dazu gehört aber außerdem, daß die Regierung selbst in unbedeutenden Formalien sich das Recht der Kontrolle und endgültigen Bestimmung vorbehält und eifrig darüber wacht, daß die kirchlichen römischen Behörden ihre Befugnisse nicht irgendwie erweitern. Nach dem Gesetz vom 26. Dezember 1905 darf kein römischer Geistlicher ohne Zustimmung der zu¬ ständigen Zivilvehörde angestellt oder befördert werden. Soweit Versetzungen ohne Beförderung nicht neuer Genehmigung unterliegen, müssen sie wenigstens der Zivilbehörde angezeigt werden, über gerichtliche und andere Bestrafungen von Priestern soll stets nach Warschau berichtet werden. Bei der Einholung von Auskunft über Priester, wie dies bei der Versetzung üblich ist, muß außer bei dem Gouverneur des letzten Amtsbezirkes des betreffenden Priesters auch in Warschau angefragt werden. Die Kontrolle geht so weit, daß Priester ihre Eparchien zu gegenseitigem Besuch nur mit Erlaubnis der Zivilbehörden verlassen dürfen, wie ein Zirkular des Ministers des Innern vom 2. September 1911 einschärft. Überhaupt entstammen sämtliche oben genannte Vorschriften über die äußere Kontrolle der katholischen Geistlichkeit Zirkularen des Warschauer General¬ gouverneurs oder des Ministers des Innern aus den Jahren 1907 bis 1913, also aus der Zeit nach der Einführung der Konstitution und der Verkündung des Glaubensmanifestes von 1905. Die Ergebnisse der genauen und zum Teil heimlichen Kontrolle enthalten die Konduitenlisten. Stets wird hier politisches und moralisches Wohlverhalten unterschieden, aber das politische ist für die Regierungsbehörde das ausschlag¬ gebende Moment. In grotesker Weise zeigen dies die beiden folgenden Aus¬ züge aus zwei verschiedenen Personalnotizen: „Nach Mitteilung des Gendarmerievorstehers in K. vom 1. Juli 1892 hat der Priester T. als Vikar an der Kathedrale zu K. die siebzehnjährige Gymnasiastin I. K. ihrer Unschuld beraubt. In politischer und moralischer Hinsicht hat er sich einwandfrei geführt."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/142
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 74, 1915, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341901_323972/142>, abgerufen am 25.08.2024.